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Spiel mir das Lied von Dada. „Harfe“ von Jooostens ( 1922).

© Galerie Brockstedt

Paul Joostens in der Galerie Brockstedt: Im Widerspruch

Erst Pionier der Abstraktion, dann Provokateur: Die Galerie Brockstedt zeigt das Werk von Paul Joostens.

Paul Joostens war wohl kein einfacher Mensch. Er eckte an – dasselbe gilt für sein Werk. Joostens, Jahrgang 1889, durchlebte die ganze Palette künstlerischer Selbstfindung, die im 20. Jahrhundert möglich war. Ausgebildet als klassischer Maler in Antwerpen, versuchte der Belgier sich als junger Mann als Impressionist, Futurist und Kubist. Seine geometrischen Papierkollagen in Pastelltönen machten ihn zu einem Pionier der abstrakten Malerei – und doch fehlt hier der Schockfaktor seiner späteren Arbeiten.

In der Galerie Brockstedt ist jetzt ein Querschnitt seines Werkes (Preise: 3200-160 000 Euro) zu sehen. Durch nahezu all seine stilistischen Phasen zieht sich ein Motiv, ein Thema: die Frau. Er zeigt sie als entrücktes, nicht erreichbares Objekt des Begehrens in den späteren Arbeiten, wenn er Renaissance-Engel mit Pin-Up-Girls kombiniert, wenn das Gesicht der Madonna mit dem einer perfekt geschminkten Schauspielerin mit Schlafzimmerblick ersetzt wird.

Ein zwiespältiger Künstler

Es ist ein wilder Mix, mit dem Joostens den Betrachter konfrontiert. Gespickt mit Elementen der Renaissance und des Mittelalters – Säulen, Statuen, gemalte Gesichter, sakrale Gesten – und der blasphemisch anmutenden Krassheit des Dadaismus, in dem er schließlich seine wahre künstlerische Heimat fand, immer häufiger geprägt von schaurig romantischen Gothic-Einflüssen. Damit aber nicht genug. Joostens lässt seine Kunst schließlich dreidimensional werden. Hier baut er zum Beispiel aus einem Käfig und Holzstücken den Schrein der Heiligen Ursula nach, in dem ihre Überreste liegen – ein Foto des kirchlichen Originals klebt an der Rückwand des Käfigs, wie als Erinnerung daran, dass hier quasi ein Sakrileg begangen wird.

Joostens ist ein zwiespältiger Künstler. Sein Blick auf Frauen ist geprägt von Sexualisierung und Faszination, sein Bedürfnis zu schockieren, groß. So macht er aus der biblischen Figur der Salomé ein verführerisches Model, das das Silbertablett mit dem Kopf Johannes des Täufers in den Händen hält. Die Frau als Madonna oder Hure ist der Komplex, mit dem Joostens durch sein ganzes späteres Werk hindurch ringt – gepaart mit einer Verachtung gegenüber der katholischen Kirche, die zwischenzeitlich aber auch etwas von nahezu sehnsüchtiger Faszination hat.

Jostens spielt mit religiöser Ikonografie

Seine pornografischeren Zeichnungen sind in dieser Ausstellung nicht zu sehen – am bekanntesten unter ihnen ist wohl die Zeichnung einer riesenhaften Frau, deren Vagina zum offenen Schlund wird, in dessen Richtung eine religiöse Prozession zieht. Joostens spielt mit religiöser Ikonografie, er tobt sich geradezu in ihr aus: ein hölzerner Chimären-Altar. Ein schemenhafter Jesus, nur noch Torso, daneben ein schiefes Kreuz. Das Blut aus seiner Wunde ist ein mit Samt bezogener Draht, der sich durch die Collage windet. Die Blutstropfen sind, ein Nicken in Richtung seiner kubistischen Anfänge, stilisiert, genauso wie das Gesicht des Messias, das zu einer geometrischen Grimasse verzerrt ist. Das Bild trägt den Namen „Inri“.

Auf einer Fotografie ist zu sehen, dass Joostens es über einer Zimmertür aufgehängt hatte. Wie ein Kreuz. Nur dass dieses Kreuz kein Zeichen der Frömmigkeit ist. Es kippt beinahe aus dem Rahmen. Der Hintergrund: ein banales Fliegengitter. Joostens starb 1960 allein, in bitterer Armut, nahezu völlig in Vergessenheit geraten. Heute ziert er dank der späten Wiederentdeckung des Dada die Wände des Centre Pompidou oder des Museum of Modern Art in Ausstellungen. Es ist also eine fast museale Atmosphäre, die sich in dieser Ausstellung einstellt. So museal wie es bei einem Querdenker wie Joostens eben geht.

Galerie Brockstedt, Mommsenstr. 59; bis 28. 8., Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11-14 Uhr

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