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Perfekter Ort für klassische Musik. In Aix-en-Provence trifft ruhmreiche Vergangenheit auf eine lebendige Kulturszene.

© Getty Images

Osterfestival in Aix-en-Provence: Meisterliche Klassik vor Mittelmeerkulisse

Salzburg des Südens: Im französischen Aix-en-Provence wird die Festspielsaison eröffnet. Eindrücke vom Festival de Pâques – und der reichen Geschichte der Region.

Die Provence! Gesegneter Landstrich zwischen Rhonemündung und Alpen, wo Pinien, Zypressen und Oliven wachsen, wo der Flieder in der Mittagssonne leuchtet und die Dächer an der kalksteinfelsigen Küste ganz besonders rot zu glühen scheinen. Die Region in Frankreichs Südosten ist bekannt für gute Kräuter, große Malerei – und für seine A-Städte, also Arles, Avignon und natürlich Aix-en-Provence, die historische Hauptstadt der Region, Geburtsort Paul Cézannes.

Das Opernfestival, das jeden Juli im Hof des erzbischöflichen Palastes stattfindet, wurde vor über 70 Jahren explizit als „Salzburg des Südens“ gegründet. Und weil eine Kulisse wie Aix viel zu schade ist, um sie nur im Sommer zu nutzen, gibt es hier – wie in Salzburg – seit einigen Jahren auch Osterfestspiele. Ins Leben gerufen wurden das Festival de Pâques 2013 von dem umtriebigen Geiger Renaud Capuçon als künstlerischem Leiter und Dominique Bluzet, dem Direktor des Grand Théâtre de Provence in Aix.

Das ist ein moderner, 2007 mit Wagners „Walküre“ eröffneter Bau. In dem sich jetzt enthusiastischer Applaus Bahn bricht: Soeben ist das Osterfestival mit Bruckners 7. Symphonie zu Ende gegangen. Auf dem Podium umarmen sich neun Musiker lachend und erleichtert, darunter ein aktuelles (Soloklarinettist Daniel Ottensamer) und ein ehemaliges (Kontrabassist Alois Posch) Mitglied der Wiener Philharmoniker.

Moment mal, neun? Bei einer Bruckner-Symphonie? Richtig, es handelt sich um eine kammermusikalische Fassung, mit Klavier und Harmonium, arrangiert von Hanns Eisler. Und plötzlich wirkt diese kathedralartige Kolossalmusik unerhört fein, licht und zugänglich, die Stimmen und ihre Evolution sind viel nachvollziehbarer als im schweren Orchesterklang. Capuçon erzählt später: „Ich wollte das schon lange Mal aufführen.“ Ihm gehe es darum, sein Publikum zu überraschen: mit jungen Talenten oder selten aufgeführten Werken. Bei der Gestaltung des Programms vergleicht er sich, sehr französisch, mit einem Koch.

Endlich wieder mit Publikum

Zwei Wochen hat das Festival gedauert, mit über dreißig Konzerten. Die insgesamt 25.000 Besucher haben nicht viel Geld bezahlt. Verglichen mit anderen Osterfestspielen ist Aix bei Kartenpreisen von zehn bis sechzig Euro günstig. Exklusivität steht nicht im Vordergrund, jeder soll kommen können.

Dass überhaupt Publikum da ist, hält Capuçon für das großartigste Ereignis dieses Jahres. Wie überall fiel das Festival de Pâques 2020 komplett aus, 2021 fand es in gestreamter Form statt. Nach zwei Pandemiejahren wollte er jetzt vor allem den französischen Orchestern eine Bühne bieten, etwa dem Orchestre Philharmonique de Radio France. Das spielte zur Eröffnung Mozarts Requiem, mit Barbara Hannigan am Pult, in ihrer Spezialdisziplin: gleichzeitig dirigieren und den Sopranpart singen.

Beethoven, die volle Dröhnung: das Tripelkonzert mit dem Orchestre National des Pays de la Loire.
Beethoven, die volle Dröhnung: das Tripelkonzert mit dem Orchestre National des Pays de la Loire.

© Caroline Doutre

Gedanken an ein Requiem, eine Totenmesse, könnten nicht ferner liegen, wenn man ein bisschen durch Aix wandelt. Die Stadt ist unglaublich jung, dafür sorgen diverse Fakultäten der Universität im nahegelegene Marseille und ein eigenes Konservatorium, in dem die zum Festival de Pâques angereisten Profis Meisterkurse gaben – eine schöne Art, Brücken in die akademische Szene zu bauen. Der platanengesäumte Cours Mirabeau strahlt im Licht eines Nachmittags, an dem es Emmanuel Macron noch einmal schafft, Frankreich vor einer rechtspopulistischen Präsidentin zu bewahren.

Doch von Politik ist hier kaum etwas zu spüren. Der Cours Mirabeau ist die wichtigste Flaniermeile von Aix und wie so viele Boulevards (der Begriff geht zurück auf das Wort „Bollwerk“) entlang der Stadtmauer angelegt. An seinem Ende sprudelt ein Brunnen, die Fontaine du Roi René. Lächelnd blickt eine Statue auf den Betrachter herab: René I. von Anjou, auch genannt „René der Gute“, war im Spätmittelalter der letzte provenzalische Herrscher, bevor das Territorium in die Domaine Royale eingegliedert wurde, mit anderen Worten: ins Königreich Frankreich.

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Brunnen, überhaupt Quellen prägen das Stadtbild, schon die Römer badeten hier gerne: Der Name „Aix“ stammt vom lateinischen „Aqua“. Oft fließt das Wasser direkt aus den herrlich hellgelb verputzen Hausfassaden heraus, auch im Quartier Mazarin, das im Auftrag von Michel Mazarin erbaut wurde, dem Bruder des berühmten Kardinals. So spaziert man durch Viertel, die wie selbstverständlich seit der Barockzeit existieren – für Besucher aus Berlin, wo das architektonische Gedächtnis im besten Fall bis zur Reichsgründung 1871, meist aber nur bis zum Mauerfall zurückreicht, eine Offenbarung.

Lebendige Geschichte in historischem Setting

Der Bruch zwischen Tradition und Moderne ist hier viel sanfter ausgefallen, die Kontinuität viel größer als in Deutschland, wo vieles, was nicht zerbombt war, sinnlos abgerissen oder jahrzehntelang vernachlässigt und dann hyperkorrekt saniert wurde. Jetzt steht es da wie der Kaisersaal am Potsdamer Platz: steril, von seiner Geschichte abgeschnitten, jeglichen Geistes beraubt.

(www.festivalpaques.com. Auf Arte Concert sind drei Konzerte abrufbar, darunter das Eröffnungskonzert mit Barbara Hannigan. Das Opernfestival im Sommer eröffnet am 4. Juli mit Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie, es folgen Inszenierungen von Strauss’ „Salome“, Mozarts „Idomeneo“ und zwei Uraufführungen. Info: www.festival-aix.com)

Zum Glück kommt aus Deutschland auch dies: großartige Musik, sie spielt neben dem französischen Repertoire (Ravel, Franck, Messiaen) beim Festival de Pâques eine wichtige Rolle: Violinkonzerte von Bach, die Symphonischen Etüden von Schumann oder Brahms’ Liebeslieder, gesungen von Rachel Harnisch und Marina Viotti im kleinen Théâtre de Jeu de Paume. Am Abend dann: Beethoven, die volle Dröhnung. Erst das Tripelkonzert mit dem Trio Zeliha an den drei Soloinstrumenten, danach die Eroica. Gabór Takács-Nagy dirigiert das Orchestre National des Pays de la Loire – und selten dürfte man jemanden am Pult gesehen haben, der sich so ganzkörperhaft in die Musik stürzt. Bei dem bald 70-Jährigen bleibt buchstäblich kein Takt undirigiert – das Ergebnis könnte schrecklich hektisch und aufgesetzt klingen, aber nein, es funktioniert, die Musiker widmen sich ihrem Beethoven mit einer Leidenschaft, die sich der Details bewusst ist.

Am nächsten Abend führt Renaud Capuçon Martha Argerich zum Steinway. Die beiden kennen sich seit 20 Jahren, und das hört man auch: in Schumanns Sonate für Geige und Klavier op. 105, in Beethovens „Kreutzer“ – und in César Francks A-Dur Sonate. Da musizieren zwei Menschen allein auf dem großen Podium, die sich sehr vertraut sind: sie fast buddhistisch und meditativ, er kräftig zugreifend. Ein berührendes Erlebnis. Capuçon sagt, er wünsche sich bei seinen Festivals eine „Gravitation“. In diesem Abend wird deutlich, was er damit meint.

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