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Wild entschlossen. Die stumme Elise (Sally Hawkins) will den im militärischen Forschungsbunker gefangenen Fischmann retten, mit Hilfe ihrer Freundin Zelda (Octavia Spencer).

© Twentieth Century Fox

Oscar-Favorit "Shape of Water": Die Liebe ist wie das Wasser - und alles schwimmt

Der Oscar-Favorit: In seinem fabelhaften Fantasy-Thriller „Shape of Water“ verflüssigt Regisseur Guillermo del Toro die Welt. Eine Kinokritik.

Man müsste über diesen Film in einem einzigen Satz schreiben können, einem schier endlosen Fluss der Wörter. Sie könnten die Konsistenz von Wasser annehmen, tanzen wie Regentropfen an einer Fensterscheibe, dahintreiben wie in ozeanischen Tiefen, sich unaufhörlich verwandeln und über die Zeitungsseite mäandern, bis sie sich zum reißenden Strom vereinen – um im nächsten Moment feine Wellen zu schlagen, so leichtfüßig wie Elisa, wenn sie den Stepptanz der Musicalklassiker nachmacht. Man müsste fliegen können, nicht nur im Traum.

Allein wie die Genres changieren. Monsterfilm, Spionagethriller, Kalter- Kriegs-Drama, Märchen für Erwachsene, Entführungskomödie, Fantasy, Melodram, Romanze. Guillermo del Toro, der Mexikaner in Los Angeles und Alchemist unter den Hollywoodregisseuren, amalgamiert sie zu einem fantastischen Kinostoff, der eine alte Mär in ein neues, hochaktuelles Licht rückt.

Die Schöne und das Biest. Das Eigene und das Fremde. Wenn du ihn liebst, ist der Fremde nicht fremd, erzählt dieser in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Film, der mit 13 Nominierungen als Favorit ins Oscarrennen geht. Die Liebe ist wie das Wasser. Sie verwischt Identitäten, löst Gegensätze auf, sprengt Grenzen. Selbst die Gesetze der Biologie. Dich selber verwandelt sie auch.

Die Schöne und das Biest, das sind die taubstumme Putzfrau Elisa und der Fischmann vom Amazonas, der im Wassertank gefangen gehalten wird. Wir schreiben die frühen Sechzigerjahre, es ist die Zeit des Umbruchs kurz vor dem Kennedy-Attentat. Amerika erlebt den Höhepunkt der Atomkriegsangst, die Bürgerbewegung bahnt sich an, aber die alte Ordnung wehrt sich nach Kräften.

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Elisa lebt in Baltimore über dem Kino Morpheum (!), dessen flackernde Leuchtreklame ihre Wohnung in ein verwunschenes Licht taucht. Sally Hawkins verleiht ihr das kindliche und zugleich expressive Antlitz eines Stummfilmstars der dreißiger Jahre. Sie spricht Zeichensprache – weshalb Hawkins auch in der Synchron-Fassung untertitelt wird – mit ihrem Nachbarn Giles (Richard Jenkins), der sich als Gelegenheitsmaler über Wasser hält und als Homosexueller in homophoben Zeiten genauso einsam ist wie die gehörlose Elisa. Und mit Zelda, ihrer einzigen Freundin, als schwarze Frau ebenfalls diskriminiert. Die fabelhafte Octavia Spencer spielt sie als patente Person, unentwegt plappernd, das Gegenteil von stumm.

Eine hinreißende, komplett unmögliche Liebesgeschichte

Die beiden arbeiten als Reinigungskräfte in einem Hochsicherheitslabor der Regierung. Hier wird eines Tages das vermeintlich hochgefährliche Wasserwesen vom Amazonas (Doug Jones im Amphibienanzug) angeliefert – B-Movie-Fans denken an den Fünfziger-Jahre-Horrorstreifen „Der Schrecken vom Amazonas“. Es soll übernatürliche Fähigkeiten besitzen, wird mit einem Elektroschocker in Schach gehalten und beißt dem FBI-Agenten Strickland (Michael Shannon) einen Finger ab. Wehe, das Biest fällt den Russen in die Hände. Der Wissenschaftler Hoffstetler (Michael Stuhlbarg), ein Außenseiter wie Elisa und Zelda, spioniert für die Russen.

Ausgerechnet hier, in der unwirtlich-militärischen Atmosphäre eines Forschungsbunkers, entfaltet Guillermo del Toro eine erst scheue, dann hinreißende, komplett unmögliche Liebesgeschichte, die damit beginnt, das Elisa sich zu dem humanoiden Wesen hingezogen fühlt (erst am Ende versteht man, warum!) und ihm hartgekochte Eier aus ihrer Brotdose spendiert, um bald einen Plan zu dessen Befreiung zu schmieden. Sonst ist es im Kino ja meistens der Mann, der die Frau rettet. Umgekehrt wird ein Coup draus.

Das Leben ist das Schiffwrack unserer Pläne

„Shape of Water“ ist in die monochrome Aura der Melancholie getaucht. Retrolook, entsättigte Farben, elegante, auch scharfe Dialoge, tausend Sidekicks und Details von den steppenden Musicalstars in Giles’ Fernsehapparat über die schöne neue American-Dream-Welt zu Hause bei Stricklands wasserstoffblondierter Gattin bis zur Wasserhavarie im Kino, in dem gerade ein Bibel-, also Wüstenfilm läuft: Der Film gießt ein Füllhorn verrückter, berückender, auch trefflich böser Momente aus. Die schwebende, schwerelose Kamera des Dänen Dan Laustsen und der jazzige Soundtrack von Alexandre Desplat nehmen einen mit in diesen hypnotischen Flow.

Alles fließt, alles ist volatil, schon der Anfang mit Elisas immergleichem Tagesablauf. Weckerklingeln, Kalenderblatt abreißen, morgendliches Untertauchen (samt kleiner Wannenbad-Selbstbefriedigung), die kochenden Eier im sprudelnden Wasser, die Busfahrt mit den Tropfen am Fenster, die Schlange vor der Stechuhr am Laboreingang, in der Zelda sie täglich nach vorne schmuggelt. Elisa ist eine Traumtänzerin, sie kommt gerne zu spät. Die Zeit, heißt es einmal, ist ein Fluss, der in der Vergangenheit entspringt. Und dass das Leben nichts anderes ist als das Schiffswrack unserer Pläne. Wobei Guillermo del Toro seinem Liebespaar durchaus die große Showtreppe gönnt, eine glamouröse Tanz- und Traumeinlage als Hommage an Hollywoods Goldenes Zeitalter.

Del Toro entlarvt das wahre Monster im Film - den Menschen

Ähnlich wie in seinem meisterlichen, im Franco-Faschismus nach dem spanischen Bürgerkrieg angesiedelten Politfantasyfilm „Pans Labyrinth“ redet del Toro jedoch nicht dem Eskapismus das Wort. Auch „Shape of Water“ driftet nicht weg, sondern fantasiert sich mitten hinein ins Herz des finsteren 20. Jahrhunderts. Die Liebe ist eine Frage der Zivilcourage. die Gewalt, der Elisa zwecks Rettung des Fischmanns die Stirn bieten, ist unerbittlich. Bei aller Schönheit und Anmut der Bilder, „Shape of Water“ schönt nichts. Weder den Rassismus der Sechzigerjahre, der ja leider nicht Geschichte ist, noch den Sexismus und die Misshandlung von Frauen, noch die Brutalität des Staatsapparats.

Die wahren Monster, das machen Guillermo del Toro und seine Ko-Autorin Vanessa Taylor schnell klar, sind die Menschen. Der superfreundliche junge Mann hinter dem Tresen der Kuchenbar, der in dem Moment, in dem man ihn zu mögen beginnt, ein schwarzes Ehepaar seines Ladens verweist. Den Tortenliebhaber Giles umgarnt er genau so lange, bis er begreift, der Mann ist schwul. Oder Zeldas gewalttätiger Ehemann, der die Rettungsaktion beinahe vereitelt. Es braucht eine Menge Lügen, um eine Ehe aufrecht zu erhalten, seufzt Zelda einmal. Und vor allem Strickland, mit dem kantigen Gesicht Michael Shannons: Schon dessen Kiefergeräusche beim Bonbon-Zerbeißen vergisst man so schnell nicht wieder, auch nicht den wieder angenähten, alsbald schwärzlich faulenden Finger oder den messerscharfen Rassismus in einem Nebensatz. Keine Geschwister?, sagt er zu Zelda. Ungewöhnlich bei Leuten wie euch.

Das ist die wahre Größe Guillermo del Toros. Noch für diesen Unmenschen entwickelt sein Film Empathie. Der brutale Strickland steht als Befehlsempfänger selber unter Erfolgsdruck, schlägt sich mit Versagensängsten herum, liest „The Power of Positive Thinking“ und träumt von einem Cadillac. Auch er ist einsam, trotz Bilderbuchfamilie. Und auch dieses Monster hat Gnade verdient, Erlösung. Der Gott des Wassers ist ein gütiger Gott.

Ab Donnerstag in 18 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Eiszeit, Filmkunst 66, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Moviemento, Neues Off, Odeon, OV: CineStar im Sony Center, Delphi Lux, Rollberg

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