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Szene aus der Aufführung von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ auf der Waldbühne Sopot.

© Baltic Opera Festival/Krzysztof Mystkowski

Opernfestival im polnischen Sopot: Der weiße Nebel wunderbar 

Das neue Baltic Opera Festival reaktiviert die legendäre Waldoper Sopot mit einer von Marek Janowski dirigierten Neuinszenierung des „Fliegenden Holländers“.

Von Regine Müller

Wenn man Matthias Claudius‘ berühmtes „Abendlied“ liest, stellt sich der Stadtmensch an der Stelle „Der Wald steht schwarz und schweiget“ womöglich etwas ganz Falsches vor. Denn das Schweigen eines richtigen Waldes hat etwas Soghaftes, das lebt und atmet, eine beunruhigende Tiefe und Schwärze ausstrahlt.  

Einem echten, uralten Wald kann man bei der nächtlichen Arbeit des träumenden Seins zuhören und zusehen, wenn man in das Seebad Sopot in der Nähe von Danzig reist und dort die legendäre Waldoper besucht: Auf der Bühne des historischen Amphitheaters mit über 5000 Plätzen, das erstmals 1909 bespielt wurde, ist beim neuen Baltic Opera Festival Wagners „Fliegender Holländer“ zu erleben. 

Die Bühne gibt es seit 1909

Der künstlerische Leiter des neuen Festivals ist der polnische Bass-Bariton Tomasz Konieczny, derzeit auch amtierender Bayreuther Wotan, der mit dem Kleinflugzeug eines Freundes nun zwischen Sopot und Bayreuth hin- und hergeflogen wird. 2009 entdeckte er als Alberich bei einer konzertanten „Rheingold“- Aufführung die szenisch brachliegende Waldbühne und dachte über eine Wiederbelebung nach.  

Die bewegte Geschichte der Waldoper begann, als die wohlhabenden Gäste des aufstrebenden Seebads und die zahlreichen Danziger im Wochenend-Domizil nach gehobener Unterhaltung verlangten. Wie Konieczny erzählt, war der Gründer des Festivals Konzertmeister im Danziger Orchester, der mit seiner Geige in den Sopoter Wäldern wandern ging und am heutigen Ort eine ideale Naturakustik vorfand.

Ideale Naturakustik

Alsbald wurde im Wald gebaut, zur Eröffnung der Waldoper gab man Conradin Kreutzers „Das Nachtlager von Granada“, aber seit den 1920er Jahren wurde in der Waldoper auch Wagner gespielt. Etwa 4000 Sitz- und 4000 Stehplätze bot der Spielstätte, eine gewaltige Zahl. Kein Wunder, dass in den 1930er Jahren die Nazis hellhörig wurden und den auratischen Spielort für ihre Zwecke entdeckten. Alsbald erklärten sie die Waldoper zur „reichswichtigen Festspielstätte“ und funktionierten das bis dahin programmatisch offene Opern-Festival um, zu „Richard Wagner-Festpielen“. Im „Bayreuth des Nordens“ dirigierten Knappertsbusch und Erich Kleiber, die großen Wagner-Stimmen gaben sich die Ehre. 

Blick auf die Waldbühne Sopot.

© Baltic Opera Festival/Krzysztof Mystkowski

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wagner natürlich tabu, Danzig war nun polnisch und die Waldoper dümpelte mit seltenen Opernaufführungen und Konzerten vor sich hin, bevor sich in den 1950er Jahren dort ein Pop-Festival mit internationalen Gästen etablierte. „In der Zeit des Eisernen Vorhangs war das in Polen ein Atem der Freiheit“, so Konieczny, der natürlich weiß, dass Wagner immer heikel ist, aber besonders hier, an diesem kontaminierten Ort, an dem Goebbels und Hitler zu Gast waren. 

Präsidiale Schirmherren

Trotzdem oder gerade deshalb betrachtet Konieczny es als seine Mission, den Ort wiederzubeleben: „Die Zeit ist reif, es sind 80 Jahre vergangen, ich glaube, die Dämonen der Vergangenheit müssen wir begraben.“ Dabei ist er als Bayreuther „Ring“-Wotan eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Sängerkarriere angekommen, nutzt diese Prominenz aber, um sein Vorhaben möglichst hoch aufzuhängen und künstlerisch Erstklassiges einzukaufen.

Schirmherren des Festivals sind die Präsidenten Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier, im Festival-Kuratorium grüßen unter anderem der Wiener Staatsopernintendant Bogdan Roščić und Scala-Intendant Dominique Meyer, im Cast ein Best-of der reiferen Wagner-Garde: Franz Hawlata singt den Daland, Ricarda Merbeth die Senta, Stefan Vinke ist Eric und Koniecznys Fachkollege Andrzej Dobber singt die Titelpartie. Und für den heiklen Part des open-air-Orchester-Dompteurs konnte kein Geringerer als Marek Janowski überredet werden, der szenische Opernproduktionen sonst bewusst meidet. 

Szene aus Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ auf der Waldbühne Sopot.

© Baltic Opera Festival/Krzysztof Mystkowski

Tatsächlich versteht die Waldoper sich kaum als Ort von Regie-Experimenten, das Kreativteam um Lukasz Witt-Michalowski und Bühnenbildner Boris Kudlicka setzt auf einfache Bilder: Auf der zu den Seiten offenen Bühne unter ihrem weißen, segelartigen Dach werden sechs schrundige Wand-Teile hin- und hergeschoben und formieren sich immer wieder neu. Sie lassen den Blick frei auf den schweigend atmenden, kunstvoll illuminierten Wald, der den ganzen Abend faszinierend präsent bleibt.  

Hochkarätige Besetzung

Im gut einsehbaren Graben entlockt Marek Janowski derweil dem Orchester der Baltischen Oper Danzig ungewohnte Töne: Wagners massive Wucht mischt sich hier zu einem überraschend neuen Klang von großer Weite und Transparenz. Die Streicher klingen indirekter als sonst, das Blech weich und geheimnisvoll, wie von weit her. 

Im überwiegend polnischen Publikum spürt man keinerlei misstrauische Reserve gegenüber Wagner, es gibt sich vielmehr begeisterungsfähig. Aber hörbar unerfahren mit der durchkomponierten Musik - immer wieder brandet freundlicher Szenenapplaus auf. Schließlich steigen – wie bei Matthias Claudius – zarte weiße Nebel auf, oder ist es Pyrotechnik? Jedenfalls ist es wunderbar. 

Tomasz Konieczny ist unverdächtig, aus dem Baltic Opera Festival eine neue Kultstätte für ewig Gestrige zu machen. Eher scheint ihm die Neubelebung eines einzigartigen Ortes zu glücken. Mit oder ohne Wagner. 

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