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Eine Konzeptgrafik des Tempels der Emere, die im Spiel „The Wagadu Chronicles“ ein fiktives Volk sind.

© Twin Drums

Online-Rollenspiel „The Wagadu Chronicles“: Wie eine Fantasiewelt die Erfahrungen von Schwarzen verarbeitet

Mit „The Wagadu Chronicles“ legt das Spielestudio Twin Drums ein spannendes Game-Debüt vor. Die Macher:innen sitzen in Berlin und Accra.

Madugu Yin Ori ist in die Unterwelt von Wagadu hinabgefallen. Nun erwacht die junge Frau am Meeresufer und beginnt, das unbekannte Land zu erkunden. Wer oder was sie aus ihrem Leben herausgerissen und nach Wagadu gebracht hat, ist unklar; nun gilt es erst einmal, in der magischen Wildnis zu überleben.

Als Angehörige der Volksgruppe Asiman ist Madugu Yin Ori eng mit dem Element Erde verbunden, doch muss sie die Erinnerungen an ihr früheres Leben erst Schritt für Schritt zurückgewinnen. In einem nahen Dorf trifft sie schließlich den Schutzgeist Eyen, der ihr erste Orientierung und Aufgaben gibt. Später wird sich Madugu Yin Ori mit anderen Bewohnern von Wagadu zusammentun und eine florierende Dorfgemeinschaft errichten.

„The Wagadu Chronicles“ ist ein Online-Rollenspiel mit einem erfrischend neuen Setting. Aus der Vogelperspektive erkunden Spieler:innen eine Welt, die panafrikanische und Diaspora-Mythen mit magischen Elementen mischt. Mit eigens erschaffenen Charakteren gründen sie Dörfer, stellen Werkzeuge her, betreiben Landwirtschaft und Handel und messen sich im Kampf mit den Geistern des Waldes.

Dieses „Afrofantasy"-Konzept unterscheidet sich grundlegend von dem, was Rollenspiel-Fans zumeist geboten bekommen: Nämlich Games, die Magie und mittelalterliche europäische Mythen à la Tolkien kombinieren. Entwickelt wird das Spiel von der Firma Twin Drums, deren rund 15-köpfiges Team in Berlin und der ghanaischen Hauptstadt Accra sitzt. Seit Anfang Dezember ist „The Wagadu Chronicles“ in einer Vorabversion („Early Access“) verfügbar: Das PC-Game wird kontinuierlich weiterentwickelt, während sich die Spieler:innen bereits in der Fantasiewelt tummeln.

Die Firma Twin Drums gibt es seit 2020. Ihr Gründer Allan Cudicio hat ghanaisch-italienische Eltern und wuchs in Italien auf; 2013 kam er nach Berlin, wo er zunächst als Game-Designer für Firmen wie King und Wooga arbeitete. Schon als Kind las Cudicio „Der Herr der Ringe“, war von der tolkienschen Fantasy fasziniert und spielte auch die davon inspirierten Pen-and-Paper-Rollenspiele, etwa „Dungeons & Dragons“.

Allerdings hatte Cudicio „als Ghanaer und Italiener immer das Gefühl, dass meine afrikanische Seite in den Medien unterrepräsentiert war“, wie er sagt. Bei seinen früheren Arbeitgebern habe er sich für mehr Repräsentation stark gemacht, was aber häufig sehr mühsam gewesen sei. „Ich entschied mich deshalb, meine eigene Firma zu gründen – mit dem Fokus auf schwarze Narrative“, so Cudicio. „Meine Liebe zu Tolkien hat definitiv beeinflusst, welche Art von Welt und Spiel ich mir als erstes vorgenommen habe.“

Wagadu ist eine Fantasiewelt, folglich sind alle dargestellten Kulturen fiktiv. „Sie wurden aber definitiv von der realen Welt inspiriert“, betont Cudicio. Bei der Konzeption des Spiels unterteilte der Game-Designer die Landkarte Afrikas in sieben Gebiete – und nahm die dortigen Kulturen als Ausgangspunkt für die Kulturen Wagadus. Ethnische Gruppen wie die Yoruba oder die Massai dienten als Inspiration für die Völker des Spiels, afrikanische Landschaften wie Savanne, Wüste, Sümpfe und Regenwald finden sich auf den verschiedenen Inseln des fiktiven Kontinents wieder.

In „The Wagadu Chronicles“ gibt es keine „Rassen“ wie in anderen Fantasy-Rollenspielen – denn dieses Konzept sei stark von rassistischen Theorien der Kolonialzeit beeinflusst, sagt Cudicio. Stattdessen gibt es in der Welt von Wagadu sogenannte Abstammungslinien (lineages). „Sie ermöglichen den Spieler:innen, ihre Spielfigur individuell zu gestalten, indem sie an verschiedene Archetypen der Fantasy anknüpfen – zum Beispiel Magier aus frühen Zeit oder Krieger“, erläutert Cudicio.

Die eigene Figur kann auch queer sein

„Zugleich bilden sie einen ästhetischen Rahmen, der stark von einer Mischung verschiedener schwarzer Kulturen inspiriert ist.“ Gleich zu Beginn von „The Wagadu Chronicles“ können Spieler:innen zwischen sieben verschiedenen Abstammungslinien wählen – etwa den Waldbewohnern Emere oder den seefahrenden Ikaki. Anschließend können sie die Figur dann weiter ausdifferenzieren, zum Beispiel hinsichtlich ihrer magischen Fähigkeiten.

Allan Cudicio ist der Gründer des Spiele-Studios Twin Drums.

© Twin Drums

„The Wagadu Chronicles“ ist eine Welt mit vielen Facetten. Cudicio nennt sie „einen Ort der Vertreibung und des Verlusts“, an dem die Überlebenden ihre Identität und ihre Gemeinschaften nach dem Trauma wieder aufbauen können. Das Spiel verarbeite Erfahrungen der Schwarzen sowohl in der Diaspora als auch im postkolonialen Afrika. „Das schwingt in der Spielmechanik mit, in der man gemeinsam mit Fremden in eine neue Welt hinein aufbricht.“

Auch seine Erfahrungen als queere Person lässt Cudicio in das Spiel einfließen. „Bei der Figurenerstellung schreiben wir keine Schablonen für ,männlich’ oder ,weiblich’ vor“, sagt er. „Man kann selbst entscheiden, wie man seine Figur anpasst und ausbaut – und wie man ihre Eigenschaft mischt und aufeinander abstimmt.“ Auch die Rahmenhandlung (Fachbegriff: lore) von „The Wagadu Chronicles“ berücksichtigt gezielt Traditionen und Kulturen Afrikas, die queer-positiv sind. „Wenn man seiner Spielfigur einen wagadianischen Hintergrund gibt, ist es einfach, sie queer zu machen, ohne dass sie herausstechen oder eine Ausnahme sein muss“, sagt Cudicio.

Einmal im Jahr trifft sich das Team in Accra

Auch bei der eigenen Unternehmenskultur legt Twin Drums Wert auf Diversität und Toleranz: Etwa die Hälfte des Teams sind Frauen, ein Viertel ist queer und ein Drittel schwarz. Ein Teil des Teams arbeitet in Berlin-Neukölln, ein anderer im ghanaischen Accra, zudem beschäftigt Twin Drums Freelancer in Nigeria. „Wir arbeiten komplett remote“, berichtet Allan Cudicio.

Dass Afrika und Europa weitgehend in denselben Zeitzonen liegen, sei da sehr hilfreich. Etwa einmal pro Jahr trifft sich das gesamte Team in Accra, um den persönlichen Kontakt zu pflegen. Auch sei es für Twin Drums sehr wichtig, sich immer wieder neu mit dem afrikanischen Kontinent zu verbinden, sagt der Firmengründer. Berlin wiederum hält Cudicio für einen ausgezeichneten Standort: „Es gibt hier eine junge, dynamische und wachsende Gaming-Szene, bei der kleine kreative Entwicklerstudios im Mittelpunkt stehen“, lobt er. „Auch die Unterstützung auf Regional- und Bundesebene ist sehr gut.“

Finanziert hat sich Twin Drums bisher aus verschiedenen Quellen. Eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter erbrachte rund 160.000 Euro, die Regionalförderung des Medienboard Berlin-Brandenburg unterstützte „The Wagadu Chronicles“ mit 175.000 Euro. Geld gab es auch von der Firma Riot Games („League of Legends“), die mit ihrem „Underrepresented Founders Program“ Diversität in der Games-Branche fördert. Die derzeitige Early-Access-Phase auf der Download-Plattform Steam ist für Twin Drums eine weitere Möglichkeit, die Entwicklung von „The Wagadu Chronicles“ zu finanzieren.

Szene aus der Vorabversion von „The Wagadu Chronicles“.

© Twin Drums

Die bisherige Resonanz empfindet Cudicio als sehr positiv: „Um das Spiel herum hat sich eine kleine, gemütliche Community gebildet, die uns Feedback und Unterstützung anbietet“, berichtet er. Zentrale Plattform für den Erfahrungs- und Meinungsaustausch sei dabei die Online-Plattform Discord. Auf Steam erntete „The Wagadu Chronicles“ allerdings auch schon negative Kritiken. „Ein Teil der Leute aus dem Netz ist unglücklich darüber, dass das Spiel noch nicht fertig ist“, so Cudicio. „Das kommt aber im Early Access häufig vor – manche Leute erwarten da schon um jeden Preis eine Qualität wie beim Release.“

Die Welt von Wagadu wird künftig nicht nur online erlebbar sein: Parallel zum Computerspiel entwickelt Twin Drums auch ein Brettspiel, das bis März fertig sein soll – und dann als pdf-Datei heruntergeladen und ausgedruckt werden kann. „Wir hatten eine umfangreiche Hintergrundgeschichte erschaffen und fanden es sei eine gute Idee, das in einem anderen Format neu zu verpacken“, sagt Cudicio.

„The Wagadu Chronicles“ besitze eine starke Rollenspiel-DNA, etwa bei der Interaktion der Figuren und bei den rundenbasierten Kämpfen. „Es war naheliegend, ein Modul der fünften Dungeons-and-Dragons-Generation zu erschaffen.“ Das Spiel orientiert sich also am Regelwerk, das der D&D-Lizenzherausgeber Wizards of the Coast im Jahr 2014 veröffentlicht hat. Ob online oder als Brettspiel: „The Wagadu Chronicles“ hat als Spielwelt enormes Potenzial.

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