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© AFP

Stevie Wonder: Oh Tannenbaum

Verfrühte Bescherung: In Köln gibt Stevie Wonder sein erstes Deutschland-Konzert seit zehn Jahren. Der Tod seiner Mutter hat ihn dazu bewogen, wieder auf Tour zu gehen, bekennt er.

Einer der schönsten, grobpixelig flackernden Raubkopier-Clips, die man auf dem Online-Portal „Youtube“ finden kann, zeigt Stevie Wonder Anfang der siebziger Jahre bei einem Gastauftritt in der Sesamstraße. „One, two, three“, zählt ein Afro-bekrauster Wonder durch einen stimmverfremdenden Vocoder, „Sesame Street“. Schon gellen die funky Hörner. So sexy und futuristisch kam damals Kinderfernsehen daher.

Als Stevie Wonder am Montagabend in der Kölner Lanxess-Arena noch einmal in den Vocoder flüstert, hüpft das Herz des bekennenden Retrofuturisten. Und was singt der blinde Funkmeister mit knisternder Roboterstimme? „Muss i denn, muss i denn, zum Städele hinaus.“ Gefolgt von „Oh Tannenbaum“. Den sesamstraßenkompatiblen Humor hat er auch im 58. Lebensjahr nicht verloren. Doch, Stevie Wonder ist immer noch keine 60 Jahre alt. Für älter geschätzt zu werden, das ist wohl das Schicksal eines Künstlers, der seinen ersten Nummer Eins-Hit mit 13 Jahren feiern konnte – und das, was man später seine klassische Periode nennen wird, schon im Alter von 26 hinter sich hatte.

Später wird es ernst in Köln, wenn Wonder zu den ausklingenden Takten seines Schlüsselsongs „Visions“ erzählt, was ihn dazu bewogen hat, nach langer Bühnen-Abstinenz endlich wieder auf Tour zu gehen. Es war, so Wonder, der Tod seiner Mutter vor zwei Jahren. Und das Verlangen, all denen zu danken, die seine Tonträger erworben und der Mutter ein Leben weit abseits der Armut ermöglicht haben. Ha, denkt da der Zyniker angesichts der Ticketpreise. Was wird mein Geld Wonders Mutter jetzt noch nützen? Doch von der Bühne herab nimmt man Wonder jede Predigt ab, jeden Appell an die universelle Liebe und für Barack Obama.

Liest sich nicht auch Wonders Leben wie die Biographie eines Propheten? Blind geboren, wurde Stevland Hardaway Judkins mit elf Jahren von Motown-Boss Berry Gordy entdeckt und als „Little Steven“ der Welt präsentiert. An seinem 21. Geburtstag verlässt Wonder die autoritär geführte Hitfabrik und beginnt mit seiner Reise ins Ich. Das Aufnahmestudio ist der Wal, der ihn verschluckt. Mit Hilfe der Synthesizer-Pioniere Malcolm Cecil und Robert Margouleff generiert Wonder ungehörte Klänge. Zukunftsmusik, Kopfmusik. Aber während sich weiße psychedelische Musik zu oft in ätherischen Höhen verflüchtigt, verfügt Wonders „Music of my mind“ – so ein Albumtitel – über Herz, Seele und Hintern. Mit fünf Studioalben von Anfang bis Mitte der siebziger Jahre definiert Wonder die Möglichkeiten populärer Musik neu, nicht weniger einflussreich als sein Vorbild Ray Charles. Doch mit dem vor Ideen, Grooves und Melodien schier überquellenden Doppelalbum „Songs In The Key Of Life“ hat sich Wonder 1976 künstlerisch ausgepowert, die Reise ins eigene Ich ist beendet, der Egonaut kehrt zurück an die Oberfläche.

Den ersten Teil des Konzerts bestreiten Wonder und seine 14-köpfige Band fast ausschließlich mit Songs aus dem Album „Hotter Than July“. „A Wonder's Sommer Night“ hat der Multiinstrumentalist seine erste Tour seit über zehn Jahren übertitelt. Wonder spielt Mundharmonika, Piano, Keyboard und die „Hohner Clavinet“, deren Sound er mit „Superstition“ berühmt gemacht hat. Dazu beatboxt, summt, singt Wonder und zeigt, wie gut er sein erstes Instrument noch beherrscht. Wie er einen Vokal über viele Noten hinaus dehnen kann, wie er verborgene Melodien in dafür scheinbar ungeeigneten Konsonanten findet.

Sein Körper hat es sich bequem gemacht, Wonder verbirgt die Extrapfunde unter einem weiten schwarzen Hemd. An Wonders Wendigkeit an den Tasten hat sich jedoch nichts geändert. Seine größte Gabe bleibt wohl, mit Synthesizern Wärme, mit Jazz-affinen Tonarten und extravaganten Akkordfolgen unwiderstehliche Ohrwürmer zu erzeugen. „Master Blaster“, „Sir Duke“ oder „Living for the City“ sind so etwas wie mitsingbare Avantgarde-Musik. Leider versiegte Wonders formaler Einfallsreichtum in den Achtzigern. Weder das sülzige „I Just Called To Say I Love You“, noch das seelenlose „Part-Time Lover“ bleiben dem Publikum erspart. Mit seinen Burnout-Singles verdiente er mehr Geld als mit den Meisterwerken aus dem vorhergehenden Jahrzehnt. In Köln konnte man noch einmal den aufregenden, waghalsigen Pop-Avantgardisten Stevie Wonder erleben. Am Ende sang er das triumphale und doch elegante „As“.

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