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Kultur: Ödipussy

Blutiges Familienrachedrama in Bangkok: „Only God Forgives“ von Nicolas Winding Refn.

Von Jörg Wunder

Seit dem eleganten Fluchtwagenfahrerdrama „Drive“ gilt der Däne Nicolas Winding Refn als einer der großen Stilisten des zeitgenössischen Kinos. Auch beim Nachfolgefilm „Only God Forgives“ findet er Bilder von albtraumhafter Suggestionskraft. Wenn er mit präzisen Kamerafahrten die Raumhöhlungen des Rotlichtmilieus eines mythisch überhöhten Bangkok durchmisst, ist die Nähe zu Vorbildern wie David Lynch oder Gaspar Noé erkennbar; der Regisseur selbst widmet sein Werk dem chilenischen Surrealfilmer Alejandro Jodorowsky.

In diesem plüschig-schmierigen Ambiente lässt Winding Refn sein Ensemble wie hypnotisiert durch einen treibsandartigen Plot waten, der alle Figuren zu Rädchen in einer unerbittlichen Mechanik der Vergeltung degradiert. Die wird in Gang gesetzt, als der Amerikaner Billy (Tom Burke), der mit seinem kleinen Bruder Julian (Ryan Gosling) ein Kickboxstudio als Tarnung für Drogengeschäfte betreibt, eine junge Prostituierte ermordet. Billy wird mit polizeilicher Billigung vom Vater der Ermordeten erschlagen, der wiederum ohne großes Federlesen vom schwertschwingenden und karaokesingenden Polizeioffizier Chang (Vithaya Pansringarm) gerichtet wird.

Die aus den Staaten herbeieilende Mutter (hinreißend maliziös: Kristin Scott Thomas) entpuppt sich als skrupellose Strippenzieherin, die nicht zögert, ihren jüngeren Sohn mit ödipalen Kränkungen anzustacheln und für ihren Rachefeldzug zu instrumentalisieren. Wer Ryan Goslings stoischen Charakter aus „Drive“ noch gut erinnert, wird auch hier auf den überraschenden Temperamentsausbruch des wortkargen Minimalmimikers warten. Doch der als ungleiches Kampfkunstballett stilisierte Showdown mit dem Todesengel Chang unterläuft selbst diesen Handlungshöhepunkt.

Die Abfolge an Grausamkeiten, die Winding Refn mit schwer erträglichen Folter- und Verstümmelungsszenen bebildert, entbehrt zwar nicht einer inneren Logik, lässt einen aber, wie das Schicksal der Protagonisten überhaupt, seltsam unberührt zurück. Man könnte „Only God Forgives“ als bedrückende Gewaltballade zu den Akten legen, bliebe nicht der nagende Zweifel, im Labyrinth freudianischer oder religiöser Verweise womöglich Wesentliches übersehen zu haben. Der tiefere Sinn und Zweck dieses konsequent freudlosen Films erschließt sich dennoch nicht. Jörg Wunder

In 13 Berliner Kinos.

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