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Kämpferisch. Mit 96 Jahren denkt Klaus Wüsthoff gar nicht daran, die Verantwortung für die Zukunft an die Nachgeborenen zu delegieren.

© Hanno di Rosa

Komponist Klaus Wüsthoff: Nur noch kurz die Welt retten

Mit Musik gegen die Erderwärmung: Der 96-jährige Berliner Komponist Klaus Wüsthoff fördert mit seinem Klimaglocken-Projekt Umweltbewusstsein auf besondere Weise. Eine Begegnung.

Wer Klaus Wüsthoff in seinem Schlachtenseer Domizil besucht, wird mit Jazz begrüßt. Und zwar mit einer Improvisation über den eigenen Namen, die der Hausherr am Flügel mal eben lässig aus dem Ärmel schüttelt. „Frederik Hanssen? Da sind die Noten F,E,D,H,A und Es drin – daraus lässt sich was machen!“, strahlt der 96-jährige Komponist und legt los.

In einem Alter, das andere eher zur Lethargie zwingt, sprüht Klaus Wüsthoff vor Lebensenergie. Im Gespräch ist er kaum zu bremsen, so viele Ideen kreisen gleichzeitig in seinem Kopf und wollen erklärt werden. Denn er hat eine Mission: Nur noch schnell die Welt retten! Was der Pop-Barde Tim Benzko in seinem Hit selbstironisch singt, meint Wüsthoff ganz ernst. Hans Joachim Schellnhuber hat ihn vor zwei Jahren wachgerüttelt, der Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgeforschung und Vordenker im Kampf gegen die weitere Erderwärmung.

1967 komponierte Wüsthoff die "Regentrude" nach dem Märchen von Storm

„Meine Tochter lebt schon streng nach den Regeln zur Erreichung des Zwei- Grad-Ziels“, erzählt er, „macht immer das Licht aus, spart bewusst Wasser.“ Wüsthoff selber wiederum hat sich das liebste Werk aus seinem reichen Oeuvre vorgenommen, ein 1967 entstandenes Ballett nach dem Kunstmärchen „Die Regentrude“ von Theodor Storm, und es für den Konzertsaal adaptiert: Zwischen den einzelnen Musiknummern wird dabei eine Parabel erzählt, aus „alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat“. Es geht um eine Naturgöttin, die für gute Ernten sorgt, dann aber von ihrem Widersacher, dem Feuermann, durch einen hinterhältigen Trick in Dauerschlaf versetzt wird. Weil die Felder zu verdorren drohen, nimmt das junge Liebespaar Maren und Andrees den Kampf gegen den Feuermann auf, obsiegt – und darf zum Happy End dann endlich heiraten.

Keine Geringere als Martina Gedeck konnte als Sprecherin für die CD-Einspielung des Werkes mit dem Brandenburgischen Staatsorchester gewonnen werden, die im Sommer erschienen ist. Mittlerweile hat Wüsthoffs Komponistenkollege Max Doelemann auch noch eine Fassung des Stücks für Kammerorchester erstellt sowie eine Version für Klaviertrio. Zumindest vom Notenmaterial her steht der globalen Verbreitung der „Regentrude“ und ihrer gesellschaftlich engagierten Botschaft jetzt nichts mehr im Wege. Den Berliner Philharmonikern beispielsweise, findet Wüsthoff, stünde es gut an, wenn sie zum Zeichen dafür, dass ihnen die Zukunft des Planeten nicht egal ist, sein Stück bald mal aufführen würden.

Die Klimaglocken läuten zur Mahnung der Menschheit

Dabei ist das Werk lediglich ein Baustein im großen „Klimaglocken“-Projekt von Klaus Wüstoff. Aus einer Partiturpassage, die den fallenden Regen musikalisch einfängt, hat er eine Melodie entnommen, die sich von Carillons spielen lässt. 50 solcher Turmglockenspiele gibt es in Deutschland, Hunderte weltweit. In möglichst vielen davon sollen zur Mahnung die Klimaglocken läuten. In Berlin wird beispielsweise das Carillon im Tiergarten beteiligt sein, wenn am 1. Dezember vor dem Kanzleramt eine Demonstration unter dem Motto „Kohle stoppen! Klimaschutz jetzt!“ stattfindet, zu der ein breites Bündnis von Umweltschutzorganisationen aufgerufen hat. Max Doelemann arbeitet gerade daran, ein internationales Netz von Unterstützern unter den Carillonisten aufzubauen.

Think global, act local: Als flankierende Maßnahme hat Klaus Wüsthoff zudem aus dem Glocken-Thema einen Kanon erarbeitet, dessen Wirksamkeit er mit der Kirchengemeinde in Nikolassee schon erfolgreich ausprobieren konnte. Bald will er alle Gotteshäuser in Brandenburg mit Tutorial-Videos für die Verwendung des Kanons im Gottesdienst beschicken. Außerdem arbeitet er an einer Klima-Kantate für Kinder, die im kommenden Sommer an der Zehlendorfer Mühenau-Grundschule, einer Umweltschule, uraufgeführt werden wird.

Kinder zum Singen zu bringen, war stets sein Ziel

Überhaupt: die Schüler! Die hat Wüsthoff als ideale Zielgruppe für sein Anti-Erderwärmungs-Engagement ausgemacht. Weil die ja sowieso ständig auf ihre mobilen Endgeräte starren, könnten sie ja mal was Sinnvolles damit machen, findet der Komponist. Nämlich sich eine Klaviatur-App herunterladen und die Klimaglocken-Melodie darauf spielen. Und weil es schon immer Klaus Wüsthoffs Mission war, junge Leute zum Singen zu bringen, sieht er vor seinem geistigen Auge schon die Kids in Gruppen mit ihren Handys auf der Wiese lagern und seinen Kanon singen.

Mit Martina Gedeck schließlich hat Klaus Wüsthoff einen Klimaglocken-Radio-Spot produziert. Und er fände es nur recht und billig, wenn auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen mitmachen und die mahnenden Glocken ebenfalls läuten lassen würde, am besten direkt vor „heute“ und der „Tagesschau“ – weil man dann eine Uhr sieht, die tickt. Mit fast 97 hat man noch Träume...

Zum Abschluss des Gesprächs legt Klaus Wüsthoff eine CD auf: Der pas de deux des „Regentrude“-Balletts klingt durchs Wohnzimmer, eine romantische Liebesszene, angelegt als großes Crescendo der Gefühle. Während sich das Orchester immer mehr steigert, vom Träumerischen bis zur Fortissimo-Verzückung, umwölkt sich die Stirn des Komponisten. Er muss an seine Gisela denken, die vor zwei Wochen verstorben ist, 93-jährig, nach langem Leiden. „Als ich sie traf, war es für mich, als schlüge eine Atombombe ein“, sagt er. „Gisela war der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe, Musik aufzuschreiben.“ 66 Jahre lang waren die beiden verheiratet.

Informantionen zu den musikalischen Umweltschutzprojekten unter www.klimaglocken.net und www.klaus-wuesthoff.de

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