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Svenja Liesau und Julia Riedler werfen sich in den Ibsenschen Beziehungskonflikt.

©  Lutz Knospe

„Noorrrraaaaaaaa“ am Gorki Theater: Wir kriegen das hin

Leonie Böhm inszeniert Ibsens Emanzipationsklassiker als Zwei-Frauen-Stück am Maxim Gorki Theater Berlin. Dort heißt er „Noorrrraaaaaaaa“.

Die letzte Berliner „Nora“-Inszenierung, an die sich alle erinnern, endete für den männlichen Beziehungspartner tödlich. Anne Tismer erschoss in der Titelrolle kurzerhand ihren Nullchecker-Gatten Torvald. Es war eine Art emanzipatorischer Notwehr-Gewaltakt, den Thomas Ostermeier da in seiner Ibsen-Variante an der Schaubühne behauptete. Das liegt jetzt fast zwanzig Jahre zurück.

Gemessen daran, haben sich die Zeiten offenbar wirklich drastisch geändert. Heute gleiten die abendfüllenden Eheprobleme des norwegischen Mittelstandsehepaars glatt und achtsam in ein intimbeziehungstechnisches „Wir kriegen das hin“ hinüber – jedenfalls in Leonie Böhms „Nora“-Version am Maxim Gorki Theater.

Kollektiver Tiefengrabungsprozesses

Die beiden (einzigen) Schauspielerinnen des Abends, Svenja Liesau und Julia Riedler, finden sich nach knapp neunzig Minuten Beziehungsaufarbeitung erschöpft, aber alles andere als unglücklich zusammen mit dem Musiker Stefan Czura in einer weichen, bühnenfüllenden Art Sitz-Liege-Sack wieder, suchen mindestens Handkontakt zueinander und lauschen, wie die Beatles „We Can Work It Out“ schmettern.

Man durfte vor dieser Premiere von „Noorrrraaaaaaaa“, wie sie bei Leonie Böhm heißt wirklich gespannt sein. Wie – und warum eigentlich – greift eine junge Regisseurin zu diesem historisch zwar sicher gar nicht genug zu würdigenden Emanzipationsklassiker, dessen Problemlage sich aber zumindest in den zentralen Punkten über die letzten anderthalb Jahrhunderte deutlich entschärft hat? (Als Ibsen „Nora“ 1879 schrieb, verwechselten die Torvalds ihre Ehefrauen permanent mit „Singvögelchen“.)

Interessant war aber vor allem, was speziell die Regisseurin Leonie Böhm mit diesem Ibsen-Hit anfangen würde, die für die Auseinandersetzung mit kanonischen Stoffen tatsächlich eine ganz eigene Methode entwickelt hat. Während ein großer Branchentrend ja eher zur dramatischen Überschreibung geht – also dahin, die Konfliktlagen überlieferter Stoffe auf der Bühne in einer heutigen Sprache neu zu verhandeln – geht Böhm, die dieses Jahr mit ihrer Zürcher „Medea*“ erstmals zum Theatertreffen eingeladen war, praktisch den umgekehrten Weg: Sie hält an den kanonischen Texten fest, schafft dabei im Idealfall aber tatsächlich das Kunststück, sie wie die spontane Äußerung eines Zeitgenossen klingen zu lassen. Was in der Tiefenstruktur harter Goethe-, Lessing- oder Schillerstoff ist, sieht an der Inszenierungsoberfläche nach dem letzten Performance-Schrei aus.

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Böhm geht es nicht mehr um lineare Handlungsverläufe, und auch die Figurenzuteilung interessiert sie herzlich wenig. Ihre Arbeiten wirken eher wie das Ergebnis eines kollektiven Tiefengrabungsprozesses, in dem alle Mitwirkenden diejenigen Themen und Motive zutage gefördert haben, die auch heute noch relativ unmittelbar zu ihnen sprechen.

Dass sich da die reinste Faustische Seele im nächsten Moment mit dem tiefsten Mephistophelischen Abgrund identifizieren kann, liegt auf der Hand. Oder eben der emanzipationsahnungsloseste Torvald mit der ausbruchswilligen Nora.

Böhm sucht bei ihrem Debüt am Gorki mit den beiden Schauspielerinnen nicht nach dem oder der Schuldigen am Beziehungselend, sondern fragt eher nach dem emanzipatorischen Potenzial des (bei Ibsen stückbeendenden) offenen Gesprächs an und für sich, und zwar für alle beteiligten Konfliktparteien. Entsprechend schonungslos verausgaben sich Riedler und Liesau beim Versuch, die Masken (beziehungsweise hier: die panzernden Jogginghosen) fallen und wirklich alle Lügen hinter sich zu lassen.

[Wieder am 16., 23. und 30. September]

Da nun aber jede Beziehung bekanntlich ureigenen intimen Gesetzmäßigkeiten folgt, die in den meisten Fällen von entsprechend eingeschränkter Nachvollziehbarkeit und bedingtem öffentlichen Interesse sind, wirkt das über weite Strecken wirklich sehr privat. Völlig okay, wenn es für die eine der größte Liebesbeweis ist, dass das Gegenüber einen Pinguin imitiert!

Und kein Problem, wenn die andere angesichts partnerschaftlicher Zumutungen eher zum Rückzug ins Innenleben einer überdimensionalen Gummischlange neigt! Nur eben, allgemein betrachtet, von begrenztem Erkenntnisgehalt.

Böhms Methode an sich ist an diesem Abend trotzdem gut zu beobachten – und bleibt auf jeden Fall spannend!

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