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Die 1967 in Kanada geborene britische Schriftstellerin Rachel Cusk.

© Siemon Scamell-Katz/Suhrkamp Verlag

Neues Buch von Rachel Cusk: Zertrümmerter Alltag

Die britische Schriftstellerin Rachel Cusk analysiert in ihrem Buch "Danach" ihre Ehe und die Scheidung von ihrem Mann.

Manchmal habe sie sich gefragt, schreibt Rachel Cusk in ihrem Buch über Ehe und Trennung, „ob das moderne Familienleben mit seiner unerbittlichen Fröhlichkeit, seinem absolut unbegründeten Optimismus und seinem Vertrauen (…) auf das Prinzip der Liebe an dem Versäumnis scheitert, das menschliche Bedürfnis nach Krieg anzuerkennen und sich dagegen zu wappnen“.

Es mangelt nicht an solchen präzise formulierten, stachligen, den Frohsinn verweigernden Sätzen in „Danach“. Das Buch ist jetzt auf Deutsch kurz nach Cusks anderem autobiographischen Essay „Lebenswerk – Über das Mutterwerden“ in der vorzüglichen Übersetzung von Eva Bonné erschienen, was insofern ein Glücksfall ist, als beide Werke thematisch zusammengehören, auch wenn sie im Original 2001 und 2012 publiziert wurden. Für beide Bücher wurde die 1967 in Kanada geborene, in England lebende Schriftstellerin stark angefeindet.

Feminismus spielte in der Beziehung eine wichtige Rolle

Ungewappnet geriet Cusk in den Ehekrieg mit ihrem Mann, der hier nur X. genannt wird: „Unser Gespräch ist wie Rasierklingen zu kauen.“ „Danach“ heißt das Buch aber auch deshalb, weil vom „Vorher“ darin kaum die Rede ist. Es gibt keine ausgemalten Szenen einer scheiternden Ehe, keine Schuldzuweisungen und kein feministisches Nachtreten, auch wenn der Feminismus eine wichtige Rolle spielte in der Beziehung.

Es war allerdings nicht so, dass Cusks Partner den Ansprüchen an eine ebenbürtige Beteiligung bei der Familienarbeit nicht genügt hätte. Vielmehr verzichtete er den Kindern und dem Haushalt zuliebe auf die eigene Berufsausübung, sodass sich Cusk dem Schreiben widmen konnte. Er begriff es offenbar als eine Art feministischer Pflichterfüllung: „Er war überzeugt, in unserer Ehe die Rolle der Frau gespielt zu haben.“

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Man versteht, wie irritiert er gewesen sein muss, als Cusk nach der Trennung die beiden Töchter plötzlich ganz für sich reklamierte, weil sie „die Mutter“ sei: „Es sind meine Kinder. Sie gehören zu mir.“

Die vorherige Flexibilität des Paares bei der Rollenaufteilung erscheint ihr im Nachhinein als gegenseitiges „Crossdressing“, mit dem man sich etwas vorgemacht habe. Denn die Ehe sei – um wie viel „Weiblichkeit“ sich der Mann auch bemühe –, prinzipiell eine „männliche Struktur“, um sich das „weibliche Chaos“ gefügig zu machen.

Rachel Cusk ist recht fix bei der Applizierung von Geschlechterkategorien. Ehrgeiz, Schulerfolg, Studium, Karriere – das gehört für sie zum männlichen Wertesystem. Da aber keiner Tochter heute mehr von ihren Eltern empfohlen werde, sich in Mathematik nicht anzustrengen, weil es wichtiger sei, einen netten Ehemann und Versorger zu finden, bekämen auch Mädchen heute nur noch „gepanschte männliche Werte“ vermittelt.

"Schwarzer, giftiger Hass"

Cusk hadert damit: „Was ich als Feminismus lebte, war in Wahrheit eine Ansammlung männlicher Werte, die meine Eltern und andere Menschen mir in bester Absicht vermacht hatten … Ich bin keine Feministin, sondern ein von Selbsthass erfüllter Transvestit.“ Ganz egal, ob man das nun im Detail nachvollziehen kann – klar ist, dass die heutige Reflexion und Dekonstruktion der Geschlechterrollen nicht nur als Befreiung, sondern auch als starke Verunsicherung erfahren werden kann. Diese Erfahrung vermittelt Cusks autobiographische Prosa eindringlich.

Eine Trennung sei wie eine Ölpest an einer Küste: „Seit Monaten quillt der schwarze, giftige Hass aus der tödlichen Wunde unserer Ehe, (…) durchtränkt alles und überzieht die Kinder, wie Teer die flaumigen Köpfe der Küstenvögel überzieht.“ Cusk erlebt das Ende ihrer Ehe als Kollaps der Umgangsformen und der Rücksichtnahme.

Die Freunde ziehen sich von dem streitenden Paar zurück wie von ansteckenden Kranken. Das Buch schildert Szenen des „zertrümmerten“ Alltags mit den Töchtern, reflektiert aber auch historisch ausholend über die Ehen der Eltern und Großeltern, die erlebten Urbilder von Paaren. Halbherzig bleiben die Versuche, eine neue Beziehung zu beginnen.

Reflektierende und erzählerische Passagen wechseln

Beim Anblick „harmonischer“ Familien reagiert Cusk gereizt. Die Anfangsgründe der Misere macht sie im Christentum aus, bei den frömmelnden Bildern der Heiligen Familie. In den Mythen der Griechen und Römer dagegen verbinde sich „emotionale Gewalt“ mit Ehrlichkeit: „Dort gibt es keine aufopferungsvollen Mütter und keine perfekten Kinder.“ Cusk beschäftigt sich mit den mörderischen Familien-Konflikten der Atriden, aber auch mit der Geschichte von Ödipus

Dass Ödipus unwissentlich seine Mutter Iokaste heiratet – darin entdeckte Freud das in jedem Mann schlummernde, ins „Unbewusste“ verdrängte sexuelle Verlangen nach der eigenen Mutter. Cusk versteht den Mythos von Ödipus anders: „Seine Geschichte bringt eine zentrale menschliche Tragödie zum Ausdruck: den Umstand, dass wir ausgerechnet über jene Dinge nichts wissen, die unser Schicksal sind.“

Solche reflektierenden Passagen wechseln mit erzählerischen Abschnitten. Dazu gehört der fast albtraumhafte Versuch eines ersten Urlaubs mit den Töchtern nach der Trennung. Sehr einprägsam die Schilderung der einbeinigen Vermieterin eines vermeintlich „schönen Hauses auf dem Land“. Die unheimliche Frau sperrt Cusk in ein schäbiges Zimmer ein. Und eindringlich beschrieben ist auch ein Zahnarztbesuch – noch eine Trennung, in diesem Fall von einem widerspenstigen Backenzahn.

"Meistgehasste Schriftstellerin in England"

Immer wieder gelingen Cusk solche symbolischen Verdichtungen. Was hat es mit den großen Haken auf sich, die sich in einer Zimmerdecke ihres Hauses befinden? Sie erfährt von einer alten Frau aus der Nachbarschaft, dass dort früher eine Opernsängerin gewohnt habe, die an den Haken eine Hängematte befestigt hatte. Darin habe sie auf der einen Seite gesessen und gesungen, während ihr Mann auf der anderen Seite saß und sie auf einem Saiteninstrument begleitete. Lässt sich eine glücklichere Paar-Imagination denken?

In der fragmentarisch-tastenden, eine geradlinige Erzählweise vermeidenden Form führt „Danach“ bereits hinüber zu Cusks „Outline“-Trilogie. Das „lähmende Entsetzen“, das sensible Menschen angesichts normaler Lebensvorgänge erfassen kann, macht sich immer wieder geltend in den Büchern dieser Autorin, etwa in den Beschreibungen der eigenen Schwangerschaft in „Lebenswerk“. Es gehört einige Ignoranz dazu, in dieser Empfindlichkeit jene vermeintliche Kinder- oder Männerfeindlichkeit zu wittern, die Cusk eine Zeit lang zur „meistgehassten Schriftstellerin in England“ machte. Ihre Bücher sind große Leseerfahrungen für alle, die Literatur als ein Mittel zu schätzen wissen, um mit den Befremdlichkeiten des Lebens besser zurechtzukommen.
Rachel Cusk: Danach. Über Ehe und Trennung. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020,190 Seiten, 22 €.

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