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Michael Rother

© Rick Burger

Neues Album von Michael Rother: Zwischen Schlaf und Wirklichkeit

Er spielte bei Kraftwerk und wurde mit seiner Band Neu! legendär. Jetzt veröffentlicht Michael Rother sein erstes Album seit 16 Jahren

Um sich die musikhistorische Bedeutung von Michael Rother klar zu machen, kann man bei Youtube einen Ausschnitt aus der Fernsehshow „Wetten, dass...?“ aus dem Jahr 1997 anschauen. David Bowie ist als Stargast da, vom Moderator Thomas Gottschalk als eines der „drei großen Bs“ im Pop angekündigt, neben den Beatles und den BeeGees. Der Sänger nimmt Platz auf dem legendären Sofa, macht ein bisschen Werbung für das Album „Earthling“ und beginnt dann, von seiner Zeit im Mauer-Berlin der späten siebziger Jahre zu erzählen.

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Auf Gottschalks Frage, für welche Musik er sich damals begeistert habe, antwortet Bowie mit den Namen von drei Bands: Kraftwerk, Harmonia und Neu!. Thomas Gottschalk schaut irritiert, das Publikum wirkt überrumpelt. „Kennt irgendwer hier Harmonia?“, ruft David Bowie in die voll besetzte Münsterlandhalle. Schweigen. „Und Neu!?“ Man hört den Schrei eines einzelnen Zuschauers.

Der Groove von "Hallogallo"

Michael Rother, der vor zwei Wochen 70 geworden ist, war Teil all dieser Bands. Bei Kraftwerk spielte er Anfang der siebziger Jahre, als die späteren Computermusikpioniere psychedelischen Progrock machten und noch einen Gitarristen brauchten. Danach hat er mit dem Schlagzeuger Klaus Dinger Neu! und mit den Avantgardemusikern Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius Harmonia gegründet. Neu! nahmen mit dynamisch groovenden, von Gitarren-Drones durchflochtenen Songs wie „Hallogallo“ und „Super 16“ Elemente von Postpunk und New Wave vorweg. Harmonia gelang mit sphärischen Soundcollagen der Brückenschlag vom Rock zurück in die Romantik.

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Geschätzt wurden beide Gruppen, wie andere so genannte Krautrockbands auch, zunächst vor allem in Großbritannien und den USA. Aber spätestens, als das Musiklabel von Herbert Grönemeyer um die Jahrtausendwende die beiden lange vergriffenen Neu!-Alben wieder veröffentlichte, kam Rothers Ruhm auch in Deutschland an. Beinahe wäre Rother auch dabei gewesen, als Bowie 1977 in Berlin seine Platte „Heroes“ aufnahm. Bowie hatte ihn angerufen und ins Hansa- Studio eingeladen, aber die Zusammenarbeit zerschlug sich.

Minimalismus als Trademark

„Dreaming“ heißt Rothers gerade erschienenes Album, das erste seit 16 Jahren. „Dreaming“ ist auch das einzige Wort, das im Titelsong vorkommt. Sehr sanft von einer weiblichen Stimme gesungen, taucht es aus einem verhallten Klangstrudel auf, begleitet von Rothers unverkennbarer, minimalistisch Tonfolgen repetierender E-Gitarre. Man kennt diesen Trademark-Stil seit Rothers erstem Soloalbum „Flammende Herzen“, das 1977 herauskam, sich beachtliche 150 000 Mal verkaufte und zum Soundtrack eines Films wurde, in dem Peter Kern einen bayrischen Lederhosen-Bauern spielt, den es nach New York verschlägt. Mehr als vierzig Jahre später klingt „Dreaming“ tatsächlich wie geträumt, als würde es aus dem Übergang zwischen Schlaf und Wirklichkeit herüberwehen.

Rother hat das Album in seinem Studio eingespielt, das er seit den siebziger Jahren in einem Fachwerkhaus im Weserbergland-Flecken Forst betreibt. Eigentlich hatte er auf Tournee gehen wollen, dann zwang ihn der Lockdown zum Innehalten. „Mein Herz war beim Konzerte spielen“, hat er in einem Radiointerview über die Jahre erzählt, in denen er sehr viel unterwegs war, in Japan, Russland, China und Australien auftrat. Nun arbeitete er stattdessen an den Sessions und Skizzen weiter, die er 2004 mit der britischen Sängerin Sofie Joiner aufgenommen hatte, als sein Album „Remember (the Great Adventure)“ entstand.

Tracks, die trösten

Wenn Joiner im Song „Bitter Tang“ zu unheilvollen Störgeräuschen „Bitter Time of loneliness“ singt, liegt es nahe, an die derzeitige, von Unsicherheit und Sorge geprägte Situation zu denken. „Fierce Wind Blowing“ handelt von heftigen Winden, die über die Erde fegen, eine Metapher, die ebenfalls in die Pandemie-Gegenwart passt. Das ist Zufall, aber dennoch geht von den neun bis zu acht Minuten langen, vor sich hinfließenden Tracks eine Art Trost aus. „Nothing matters and everyone else is crazy“, murmelt Joiner in „Out On The Rain“ und empfiehlt: „Singing loud“. Wenn die Welt verrückt ist, hilft es, laut zu singen.

Das Genre Krautrock wurde von britischen Popjournalisten erfunden, die vor einem halben Jahrhundert einen Begriff für die seltsame neue Musik suchten, die aus Deutschland von Bands wie Can oder Faust kam. Rother hat das Label nie gemocht, für Rockmusik hat er sich nie besonders interessiert. Mit prahlerischen Gitarrensoli wollte er nicht glänzen, seine Virtuosität liegt in der Reduktion.

Mit der Welt verschmelzen

Anfang der Achtziger war er einer der ersten Musiker in Deutschland, die sich einen Fairlight CMI gekauft haben, den ersten Musikcomputer, mit dem man samplen konnte. Allein für die Software hat er damals knapp 100 000 Mark ausgegeben. Es waren experimentierfreudige Jahre, Brian Eno, der mit Harmonia in Forst das Album „Tracks & Traces“ aufgenommen hatte, prägte für die neue elektronische Musik den Begriff Ambient. Es ging darum, Töne zu finden, die mit der Welt verschmelzen sollten. Echos dieser Zeit sind auf „Dreaming“ zu hören, unbeirrt hat Michael Rother seine Visionen vorangetrieben. Vielleicht müssen wir nicht wieder 16 Jahre vergehen, bis daraus eine neue Platte entsteht („Dreaming“ ist bei Grönland erschienen. Gleichzeitig kam die Box „Solo II“ heraus, die Rothers Alben „Lust“, „Süßherz & Tiefenschärfe“, „Traumreisen“, „Esperanza“, „Remember (The Great Adventure)“ und Bonustracks enthält).

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