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Dota Kehr und Band.

© Annika Weinthal

Neues Album von Dota Kehr: Zwischen Musik und Medizin

Die Berliner Liedermacherin Dota Kehr widmet der Lyrikerin Mascha Kaléko ein Album. Gäste darauf sind auch Konstatin Wecker und Hannes Wader.

Sei klug und halte dich an Wunder. Nichts anderes hat Dota – auch bekannt als Dota Kehr oder die Kleingeldprinzessin – getan. Es kann ja nur ein Zeichen sein, wenn einem ein wildfremder Mann nach dem Konzert einen Gedichtband schenkt, der diese Zeile als Titel trägt. So finden sich zwei Berlinerinnen, von denen die Ältere schon vier Jahre tot ist, als die Jüngere 1979 das Licht der Welt erblickt: Mascha Kaléko, Dichterin der Neuen Sachlichkeit und Jungstar der Großstadtlyrik der späten Weimarer Republik. Und die Liedermacherin Dota, die sich beim Durchblättern des Buchs sofort mit den Texten der 1938 ins Exil getriebenen und ursprünglich aus Galizien stammenden Jüdin anfreundet.

Das ist nur zu verständlich, wenn man den Blick sieht, mit dem die junge Mascha vom Cover des ihr gewidmeten Albums „Kaléko“ schaut (Kleingeldprinzessin Records/Broken Silence). So abweisend und wach zugleich. Mit Hang zur Ironie und Schwermut. Eine Beobachterin, die der Stadt in kurzen, bildhaften Impressionen die Stirn kühlt. „Julinacht an der Gedächtniskirche“, „Kleine Havelansichtskarte“, so heißen zwei der zu Liedern gewordenen Gedichte, die Sängerin Dota und ihre fünfköpfige Band in pointierte Arrangements kleiden.

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„Die Dächer glühn als lägen sie im Fieber. / Es schlägt der vielgerühmte Puls der Stadt. / Grell sticht Fassadenlicht. Und hoch darüber / Erscheint der Vollmond schlecht rasiert und matt“, beginnt die Julinacht, untermalt von einem swingenden, rumpelnden Sound, dessen Tuba-Akzente Kabarettchansons der Dreißiger zitieren. Tuba, Trompete und Flügelhorn ergänzten die klassische Besetzung und geben den zwischen Pop und Folk rangierenden Zweieinhalbminüter einen jazzigen Stich. Der prägt die drei von Schlagzeuger Janis Görlich komponierten Zwischenspiele. Sie setzen Dotas federleichten Liedern einen dunkeldissonanten Klang entgegen, der an die Brüche in Mascha Kalékos nach New York und Jerusalem führendem Exilantinnenleben erinnert.

Sprachliche Dichte und Präzision

Das Drama der Heimatlosigkeit prägt auch die Ballade „Chanson von der Fremde“ mit schlichter Akustikgitarre, einem wehmütigen Akkordeon und den Zeilen „Die Fremde ist ein kaltes Kleid / mit einem engen Kragen“. Im Gespräch muss Dota nicht lange überlegen, was ihr an Kalékos Texten gefällt. „Der schonungslos analytisch-trockene Blick, der manchmal sogar ins Zynische geht“, sagt sie, lobt die sprachliche Dichte und Präzision der Lyrikerin. So wie im Opener „Resignation für Anfänger“, wo Dotas glockenheller Sopran über einem flockigen Rhythmusbett aus Drums und Fender Rhodes Piano brettharte Zeilen singt: „Suche du nichts. Es gibt nichts zu finden, / Nichts zu ergründen. Finde dich ab. / Kommt ihre Zeit, dann blühen die Linden / über dem frisch geschaufelten Grab.“

Mehr Distanz zu den „fremden“ Texten zu haben und nur als Komponistin und Arrangeurin wirken zu können, hat der Sängerin und Gitarristin gefallen. Seit ihrem Albumdebüt „Kleingeldprinzessin“ von 2003 hat Dota, die als Straßenmusikerin anfing, stets nur eigene Lieder gesungen. Ihre letzten beiden Alben „Keine Gefahr“ (2016) und „Die Freiheit“ (2018) haben es in die Top 20 der Charts geschafft. Als Texterin ist sie für den Deutschen Musikautorenpreis 2020 nominiert, dessen Verleihung sich aus bekannten Gründen gerade verzögert. Und da die „Kaléko“-Hommage eh eine Ausnahme ist, hat sie sich auch noch den Wunsch eines generationsübergreifenden Liedermacherprojekts erfüllt. Neben Jüngeren wie Alin Coen, Uta Köbernick, Max Prosa und Francesco Wilking von Die Höchste Eisenbahn singen auch zwei aus der Altherren-Liga mit: Hannes Wader und Konstantin Wecker.

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Der wackere Klampfenkämpe Wader ist offiziell schon im Künstlerruhestand. Doch Dota, die ihn – genauso wie Wecker – von gemeinsamen Auftritten kennt, hat ihn trotzdem gefragt, ob er mit ihr „Auf eine Leierkastenmelodie“ anstimmt. Natürlich wollte er. Er und auch Wecker sind mit dem Werk der Lyrikerin vertraut. „Also bin ich mit dem Tontechniker zu Hannes Wader nach Kassel gefahren und wir haben das Lied im Wohnzimmer aufgenommen.“

Dota legt Wert auf Unabhängigkeit

Wecker wiederum hat bei „Kompliziertes Innenleben“ mitgesungen. Wader und Wecker, der sonst mit seinem dramatischen Tremolo Hallen zum Wackeln bringt, halten sich in den Duetten angenehm zurück. Trotzdem ist es bewegend, Dotas unprätentiöse Songwriter-Attitüde und das Echo einstigen Politbarden-Furors gemeinsam zu erleben. Seit den Siebzigern sind halt ein paar Jahre vergangen. Und dass sich Kaléko gut singen lässt, ist auch schon ihren Zeitgenossen aufgefallen, zum Beispiel Claire Waldoff.

Dass es mit der Tour zum Album in der Corona-Zeit schwierig wird, treibt Dota, die als Mutter zweier Kinder in Kreuzberg lebt, durchaus Sorgenfalten auf die Stirn. Zwar ginge sie im Mai erst mal mit ihrer Band ins Studio, um das nächste Album mit eigenen Songs aufzunehmen, wie sie erzählt. Aber ab August sind die Konzerte zum „Kaléko“-Album geplant. „Wir wollen im September in der Volksbühne spielen und ich male mir gerade aus, dass man dann vielleicht nur noch halb so viele Karten verkaufen kann, damit die Leute auf Abstand sitzen können.“

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Dota legt Wert auf Unabhängigkeit. Sie produziert ihre Alben selber, managt auch die Konzerte. „Glücklicherweise gibt es viele Leute, die physische Tonträger kaufen, deswegen kommt zurzeit etwas Geld durch das Album herein.“ Aber ohne die Konzerte wird es auch für sie eng. Zumal die Tonträgerverkäufe nicht mal mehr die Studiokosten der Bands deckten.

Kehr ist examinierte Medizinerin

Und wie wäre es damit, sich in der Coronakrise auf brachliegende Kompetenzen zu besinnen? Dota Kehr ist examinierte Medizinerin. „Ich habe mich tatsächlich freiwillig bei Vivantes gemeldet, als die Aufforderung an die medizinisch vorgebildete Bevölkerung kam“, sagt sie. „Besser, ich helfe, als dass über 70-jährige Ärzte aus dem Ruhestand zurückkommen, die sind gefährdeter.“ Bislang ist aber außer einer Eingangsbestätigung nichts gekommen. Das sei okay, schließlich liege ihr Abschluss zehn Jahre zurück. Und ihr Ding ist dann doch die Musik und nicht die Medizin.

Wie schreibt Mascha Kaléko im zweiten Vers von Dotas Ballade „Resignation für Anfänger“: „Kommt seine Zeit, dann schwindet das Dunkel, / funkelt das wiedergeborene Licht. / Nichts ist zu Ende. Alles geht weiter. / Und du wirst heiter. Oder auch nicht.“

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