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Ausnahmeerscheinung. Im Roman übernimmt mit Grace eine Frau die Rolle der Einbrecherin.

© dpa

Neuer Roman von Garry Disher: Die geniale Diebin

Einbruch, Gentrifizierung und soziale Fragen: Garry Dishers Polizeiroman „Leiser Tod“ verflicht spannende Kriminalstory mit Gesellschaftskritik.

Es ist eine ruhige, ländliche Gegend hier südlich von Australiens Metropole Melbourne, auf der sogenannten Mornington-Halbinsel; eine Gegend, die mehr und mehr Städter und ihre Familien für sich als Rückzugsort entdeckt haben. Immer größere und immer protzigere Häuser lassen sie sich hinter hohe Zäune bauen, dazu kommen natürlich schicke Mode-, Feinschmecker- und Weinboutiquen für den täglichen Bedarf, und die ehemals alten Ortschaften wachsen so schnell, dass es laufend zu Verkehrsinfarkten kommt, Schulen, Krankenhäuser und Sozialhilfestationen an ihre Kapazitätsgrenzen geraten und die sozialen Gegensätze zwischen den Neureichen und den Abgehängten und Provinzlern immer größer werden.

„Hier wohnt ein Proll mit Geld“ ist noch einer der harmloseren Sprüche, die seit mehreren Monaten an den Toreinfahrten wohlhabender Bewohner der Mornington-Halbinsel stehen. Seit zwei Monaten treibt hier nun der „Sprühdosenrächer" sein Unwesen und hinterlässt oftmals noch viel obszönere Graffitis, wie etwa „Penisprothese“. Wegen der Gentrifizierung betrachtet die Polizistin Pam Murphy diese auch eher als pointierte Kommentare denn als Vergehen, die die ohnehin schon unterbesetzten und überstrapazierten Polizeikräfte des Viertels mit Nachdruck aufklären müssten. Wenngleich der zuständige Abgeordnete das anders sieht. Immerhin trifft es Menschen mit Geld und Einfluss. Doch dann bekommen es Pam Murphy und ihr Chef Inspector Hal Challis mit einem weitaus schwereren Verbrechen zu tun: Frauen werden von einem Mann in Polizeiuniform vergewaltigt.

Der Roman folgt routinierten Genremustern

Gentrifizierung, fehlendes Personal und eine mangelhafte technische Ausstattung der Polizei, dazu ein kollabierendes Verkehrwesen und Gewalt gegen Frauen – diese komplexen sozialen Themen verflicht der 1949 geborene australische Schriftsteller Garry Disher in seinem siebten Inspector-Challis-Roman „Leiser Tod“ in diverse Handlungsstränge, in denen es um kleine Ärgernisse genauso geht wie um schreckliche Verbrechen und nicht zuletzt das Privatleben der Polizisten. Mitunter erscheint das Polizeiromanmuster, dem Disher auch hier wieder folgt, allzu vertraut, allzu routiniert.

Aber glücklicherweise gibt es in „Leiser Tod“ einen weiteren Handlungsstrang, der lange losgelöst von den Fällen auf der Mornington-Halbinsel verläuft: Eine Einbrecherin namens Grace – „ein Name so gut wie jeder andere“, wie es gleich zu Beginn heißt – ist in verschiedenen australischen Distrikten auf Diebestour und geht stets so professionell vor, dass die lokalen Polizeikräfte weder vermuten, eine Frau stecke hinter der Tat, noch Verbindungen zwischen den Fällen entdecken. Nur ein Polizist von der Australian Federal Police, eine der „unfähigeren und moralisch korrupteren Einheiten unter allen australischen Polizeikräften“, taucht beständig an den Tatorten auf und weist die Behörden vor Ort auf die Brillanz der Einbrecherin hin.

Grace ist eine Ausnahmeerscheinung der Kriminalliteratur

Denn Grace passt sich immer perfekt ihrer Umgebung an, wenn sie zum Beispiel durch eine wohlhabende Gegend schlendert, „in ihren weißen Tennissachen über der Trainingshose, mit Sonnenbrille, Nike-Sneakers und keck getragener Cap“. Zudem bricht sie niemals in Apartmenthäuser ein, vermeidet Häuser mit Kindern oder neugierigen Nachbarn, mit Hunden und Autos vor der Tür, sie hinterlässt am Tatort falsche Spuren und wählt als Diebesgut hauptsächlich Bargeld, technische Geräte und Kunstgegenstände aus. Auf der Mornington-Halbinsel, auf der Dishers fiktive Stadt Waterloo liegt, war sie bisher jedoch noch nicht tätig, aus gutem Grund: Grace hat dort ihr Bankschließfach, nachdem sie bei einer zufälligen Vorbeifahrt „regelrecht das Geld gerochen“ hatte.

In den Schilderungen von Graces Einbrüchen, ihrem planvollen Vorgehen und der offensichtlichen Raffinesse ihres Verhaltens zeigt sich Disher als spannungsreicher Erzähler. Außerdem ist eine professionell agierende Räuberin, traurig genug, weiterhin eine Ausnahmeerscheinung in der weltweiten Kriminalliteratur. Garry Disher indes kennt sich sowieso bestens mit fiktionalen Raubzügen aus, schreibt er doch seit 1991 eine Krimireihe über den Berufsverbrecher Wyatt. Es ist die Professionalität und Rastlosigkeit, die Grace mit ebenjenem Wyatt verbindet – und es ist gut vorstellbar, dass Graces Weg mit „Leiser Tod“ nicht einfach endet.

Cleveres Finale

Auch mit dem sechsten inzwischen ins Deutsche übersetzten Roman um Inspector Challis, in Australien erschien „Leiser Tod“ schon im Jahr 2011, zielt Garry Disher auf die innere Verfasstheit der australischen Gesellschaft. Seine Themen sind die soziale Gerechtigkeit und auch der komplizierte Umgang mit der Vergangenheit. Allein der Titel ist ein Hinweis: „Leiser Tod" – im Original: „Whispering Death“ – nannten laut britischer Propaganda die Japaner im Zweiten Weltkrieg ein Flugzeug, den Bristol Beaufighter. Und genau auf dieses Flugzeug stößt Inspector Challis bei einem Kunst- und Antiquitätenhändler, der sich aufgrund der ungeklärten Herkunft der Maschine einigen Ärger einhandelt.

Es ist erstaunlich, wie Disher es gelingt, seine verschiedenen Handlungsstränge und die diversen Ermittlungen der Polizei zu verbinden, und natürlich gibt es da so einige Berührungspunkte auch zwischen einer Einbrecherin, die Kunstgegenstände stiehlt, und der historisch gewachsenen Problematik mit Raubkunst, für die der dubiose Kunsthändler steht. Garry Disher schreibt manchmal etwas gemächlich. Aber so, wie sich das Finale geradezu anschleicht und auf einen cleveren Höhepunkt zusteuert – das ist sehr beeindruckend

Garry Disher: Leiser Tod. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2018. 352 Seiten, 22 €.

Sonja Hartl

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