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Natalia Ginzburg.

© imago/ZUMA/Keystone

Natalia Ginzburgs „Die Straße in die Stadt“: Der Aufruhr der Jugendlichen

Das tragikomische Romandebüt von Natalia Ginzburg, das sie als 26-Jährige schrieb, wurde neu aufgelegt. Es zeugt bereits von einer immensen Menschenkenntnis.

Natalia Ginzburgs erster Roman „Die Straße in die Stadt“ erschien 1942 unter dem Pseudonym Alessandra Tornimparte. Damals lebte die junge Autorin – sie war gerade 26 Jahre alt – mit ihrem Mann Leone Ginzburg in einem Bergdorf in den Abruzzen. Der Journalist, Schriftsteller und Mitbegründer des Turiner Verlagshauses Einaudi, in dem Natalia Ginzburg ab 1945 als prägende Lektorin arbeiten wird, war Teil des Widerstands gegen die Faschisten gewesen und mit einer landinternen Verbannung belegt worden. Von diesen Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes und des Exils ist in Natalia Ginzburgs Debüt jedoch nicht die Rede.

Die Geschichte, die sie erzählt, ein Paradebeispiel für den italienischen Neorealismus, trägt sich auf dem öden Land zu. Die 17-jährige Delia nutzt jede Gelegenheit, den in jeglicher Hinsicht beengenden Familienverhältnissen im Dorf zu entkommen und in die nächstgelegene größere Stadt zu gelangen. Dort lebt die ältere Schwester Azalea, die sich aus ihrer provinziellen in eine kleinbürgerliche Welt geflüchtet hat.

Azalea scheint es geschafft zu haben: Sie hat einen älteren Mann geheiratet, den sie allerdings nicht liebt, der dafür aber ihren Müßiggang toleriert. Das Kind wird von einer Haushaltshilfe versorgt, während sich die junge Mutter den wechselnden Liebhabern widmet, die ihr ein Gefühl von Freiheit und mondänem Leben gewähren. Delia blickt zu ihrer Schwester auf, und bei den Spaziergängen mit ihrer Freundin träumt sie davon, so wie Azalea die Langeweile, die Gleichförmigkeit und das Eingepferchtsein mit ihren anderen Geschwistern hinter sich zu lassen. „Es heißt, ein Haus mit vielen Kindern sei lustig, aber ich fand es gar nicht lustig bei uns zu Haus.“

Als Giulio, der Sohn des wohlhabenden Doktors, Delia den Hof macht, erscheint das wie eine Lösung – die Heirat mit dem jungen Studenten könnte sie dem erträumten Wohlstand, schönen Kleidern, einem Dolce Vita näherbringen. Sie trifft sich mit ihm, die beiden kommen sich körperlich näher, auch wenn sie wenig gemein haben und Delia sich sehr viel stärker von ihrem Cousin Nini angezogen fühlt.

In den Knochen, in der Sprache

Natalia Ginzburg schildert diese spätpubertären Gefühlsverwirrungen und handfesten Liebesverwicklungen sehr nüchtern, spröde fast. Für romantische Empfindungen sind diese Figuren vielleicht durchaus geschaffen, aber nicht begabt; der Ton, in dem sie miteinander reden, ist wenig zimperlich, ihre Sehnsüchte klingen ziemlich naiv. Das Raue des Alltags steckt ihnen in den Knochen und in der Sprache.

Nur Nini passt da nicht recht hinein, und Delia spürt das genau. Dass er anders ist, zu sentimental vielleicht, zu verwundbar, das wird ihm im Übrigen nicht gut bekommen. Er hat das Nachsehen. Denn die spielerische und leidenschaftslose Sache zwischen Delia und Giulio wird unerwartet ernst – als sie von ihm ein Kind erwartet.

Wir sind im katholischen Italien der 1930er Jahre, als so eine Schwangerschaft eine Schande ist, die in einen bürgerlichen Schrecken ohne Ende verwandelt werden muss. Das Gezeter ist jedenfalls groß, eine Hochzeit unvermeidlich, obwohl sie keiner will. Und weil die voreheliche Katastrophe natürlich verborgen bleiben muss, wird Delia erst einmal zu einer Tante in ein anderes Dorf verbannt. Das zerstört dann vollends die Illusionen von einem heiteren Leben, zunächst zumindest.

Zwischen Pubertät und Erwachsensein

Die Zeit vergeht, „im Garten lag überall Schnee, und meine Füße wurden eiskalt. Welcher Tag war denn? Welcher Monat? Was machten sie zu Hause? Und war Giulio noch in der Stadt? Ich wusste nichts mehr. Ich wusste nur, dass mein Körper wuchs und wuchs und die Tante mir schon zweimal mein Kleid weiter gemacht hatte“. Natürlich weiß Delia auch, dass ihr nur die Ehe mit dem Arztsohn Giulio bleibt, obwohl die beiden einander nicht viel bedeuten.

Natalia Ginzburgs „Die Straße in die Stadt“ ist abschüssig, aber selbst wo sie bergauf geht, wartet keine schöne Aussicht. Die Verhältnisse bestimmen deutlich das Bewusstsein; für Träume gibt es zwischen Pubertät und Erwachsensein lediglich ein kleines Zeitfenster. Der kurze Aufruhr und Aufbruch der Jugendlichen endet rasch. Delia wird Mutter und ist selbst noch ein Kind. Sie arrangiert sich, aber ihren Vorrat an Liebe scheint sie bereits verbraucht zu haben. Um den Säugling kümmert sich das Dienstmädchen.

Delia liegt den ganzen Tag Bett, steht gegen Abend auf, schminkt sich und geht aus, „den Fuchs über die Schulter geworfen. Im Gehen blickte ich mich um und lächelte frech, wie Azalea es immer machte“. Ein glückliches Lächeln ist das nicht, eher eines, mit dem sich die Vergangenheit verscheuchen lässt und in dem ein schlummerndes Begehren zu erahnen ist. Ginzburgs schmales Debüt ist lakonisch, ein bisschen bitter, tragikomisch auch und von immenser Menschenkenntnis. Wie schön, dass „Die Straße in die Stadt“ in der ausgezeichneten Übersetzung von Maja Pflug nun wieder vorliegt.

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