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Judith Kerr 2015 in London

© Reuters

Nachfolger vom Rosa Kaninchen: Judith Kerrs Buch erzählt von den Kriegsjahren in London

„Warten bis der Frieden kommt“ ist der zweite Teil von Judith Kerrs Rosa-Kaninchen-Trilogie. Das Lebensbejahende steckt hier in jeder Zeile.

Es ist etwas unbefriedigend, dass Caroline Links ganz ansehnliche Adaption von Judith Kerrs Emigrationsgeschichte „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ einfach so endet mit der Schifffahrt der Familie Kerr über den Ärmelkanal, Richtung England.

Das entspricht der Buchvorlage, und doch würde man den Film gern weiterschauen. Oder man fragt sich zumindest: Wie ist es Anna, ihrem Bruder Max und deren Eltern in London von 1935 ab eigentlich ergangen?

Fällt der Name der 2019 im Alter von 95 Jahren verstorbenen Judith Kerr, denkt jede Leserin, jeder Leser sofort an ihr autobiografisches Kinder- und Jugendbuch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, das zu einem Weltbestseller wurde, nachdem es 1971 in England veröffentlicht worden war. Kerr erzählt darin leicht und authentisch mit der Stimme einer Zehnjährigen von ihrer Flucht 1933 aus Deutschland über die Schweiz und Frankreich nach England.

Doch hat die Autorin und Illustratorin ihre Lebensgeschichte weitergeschrieben, in „Warten bis der Frieden kommt“ [aus dem Englischen von Annemarie Böll. Ravensburger Verlag, Ravensburg. 352 Seiten, 7,99 €. Ab zwölf Jahren] und „Eine Art Familientreffen“, 1975 und 1979 erschienen [als Taschenbücher im Ravensburger Verlag].

Beide Bände stehen im Schatten des rosa Kaninchens; doch gerade „Warten bis der Frieden kommt“ ist so gut wie der erste Teil der Trilogie, wenn nicht besser, reifer. Das Buch handelt von der Zeit bis 1945, von den Londoner Jahren der Familie, erzählt nicht zuletzt in Form eines Bildungsromans.

Anna, wie Kerr sich ja nennt, ein Jahr jünger als die reale Judith, hat ein Zimmer bei einer amerikanischen Familie, den Bartholomews.

Ihre Eltern leben in einem Emigrantenhotel, dem Continental, noch beengter als in Paris, und Bruder Max studiert schon in Cambridge. Als die Bartholomews in die USA zurückkehren, muss auch Anna wieder ins Continental, wo sie sich mit der Mutter ein Zimmer teilt.

Ist Links Film bisweilen etwas zu idyllisch, zu unbeschwert, wie schon im Buch kongenial der Perspektive einer 10-jährigen entsprechend, so vermittelt „Warten bis der Frieden kommt“ sehr gut, wie schwer die Kerrs es in London hatten.

Kerr schildert all das detailliert und nüchtern

Sie leiden unter Geldmangel und Platznot, der Vater schreibt viel, kann aber nur wenige seiner Texte verkaufen. Das Geld verdienen Mutter und Tochter, der Bruder wird als Enemy Alien (feindlicher Ausländer) einige Monate interniert. Dazu kommen die deutschen Bombenangriffe, die eines Tages auch das Continental zerstören

Kerr schildert all das detailliert und nüchtern. Doch vergisst sie nie das pubertäre Erwachen ihres Alter Egos Anna, die in London vom Teenager zur Frau wird. Sie belegt einen Zeichenkurs, entdeckt ihre Malleidenschaft, verliebt sich in ihren Zeichenlehrer, und dann gibt es auch einen ersten, ihr aber Selbstbewusstsein verschaffenden Konflikt mit der Mutter.

Bewundernswert ist die meist positive Tonlage Kerrs, ihr Talent, sich als Frau um die fünfzig in das Mädchen, das sie war, einzufühlen, dessen Ziele und Wünsche mit der bedrückenden Kriegs- und Emigrationssituation abzugleichen, ohne in Larmoyanz zu verfallen.

Der Vater sagt ihr, nachdem er seinen ersten Schlaganfall bekommen hat: „Also verstehst du, solange ich denken und schreiben kann, bin ich dem alten Rabbi dort oben für jeden Tag dankbar, den er mich auf diesem außergewöhnlichen Planeten erleben lässt.“ Das Lebensbejahende steckt hier in jeder Zeile, allem Unbill zum Trotz. Nicht zuletzt das macht „Warten bis der Frieden kommt“ so lesenswert

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