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Liu Xia, Witwe von Liu Xiaobo, bei ihrer Ankunft am Flughafen Helsinki

© dpa/Jussi Nukari/Lehtikuva

Nach Entlassung von Liu Xia: Die Gespräche über Chinas Menschenrechtslage dürfen nie versiegen

Die überfällige Entlassung der Witwe von Liu Xiaobo aus der politischen Sippenhaft zeigt: Auch wirtschaftliche Interessen sind ein wirksames Motiv, Gespräche weiterzuführen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Welche Erleichterung, dass die schwer depressive Künstlerin Liu Xia nach acht Jahren Hausarrest in ihrer Pekinger Wohnung nun nach Deutschland ausreisen darf. Die jahrelangen Appelle von Menschenrechtlern und Freunden, eine Erklärung, die Dutzende namhafter Schriftsteller, unter ihnen Paul Auster und J.M. Coetzee, unterzeichnet hatten, und nicht zuletzt eine anhaltend stille Diplomatie haben zum Erfolg geführt. Es ist wider jede Beteuerung kein Zufall, dass die Nachricht von Liu Xias Freilassung mit dem Besuch von Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammenfällt.

Beide Seiten profitieren von diesem hochsymbolischen Fall, indem sie ihre wirtschaftspolitischen Verabredungen nun mit besserem Gewissen treffen können. Bedauerlich indes, dass Liu Xias Bruder Liu Hui, der 2013 unter ominösen Umständen zu elf Jahren Haft wegen Wirtschaftsbetrugs in einer Immobilienangelegenheit verurteilt wurde, inzwischen aber behördlich überwacht wieder auf freiem Fuß ist, nicht gleichfalls ausreisen kann: Er bleibt als Faustpfand in der Volksrepublik. Ein Beispiel jener Sippenhaft, der auch sie als Ehefrau des dissidentischen, im Juli 2017 an Leberkrebs gestorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo zum Opfer gefallen war – nur dass sie nie offiziell eines Vergehens bezichtigt wurde.

Peking zeigt sich weiterhin hartleibig

Die Hartleibigkeit, mit der sich Chinas Regierung bis zuletzt der Behandlung ihres todkranken Mannes im Ausland verweigerte, hatte allerdings ihre bittere Rationalität. Die Gnade, die China hätte gewähren können, konkurrierte mit einem doppelten Gesichtsverlust. Erstens hätten Chinas Ärzte zugeben müssen, dass Liu mit ihren Mitteln nicht zu helfen war. Zweitens hätte Lius Tod außerhalb Chinas ein Begräbnis nach sich gezogen, das als öffentliche Demonstration gegen Xi Jinping begangen worden wäre.

Die Seebestattung im engsten Kreis sollte diese Schmach vermeiden. Das bedeutet auch: Je weniger prominent die Fälle sind, desto großzügiger können die Behörden theoretisch auftreten – solange ein aufklärerisches Licht auf sie fällt. Leider ist der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement, das bürgerrechtliche Missstände vor allem in chinesischen Internet-Foren diskutierte, massiv geschrumpft. Die Grauzonen, in denen sie bisher verhandelt wurden, werden überwacht und sanktioniert.

Von daher gibt es keinen Königsweg, die Menschenrechtslage in China zu verbessern: bei Anwälten, die an der Ausübung ihres Berufes gehindert werden; oder auch bei den rund zehn Millionen Uiguren, einem muslimischen Turkvolk, das vor allem im eigentlich autonomen Gebiet Xinjiang lebt, aber von der han-chinesisch orientierten Zentralregierung in Peking schikaniert und bedroht wird. Es gibt nur einen kardinalen Fehler: den Gesprächsfaden abreißen zu lassen. Wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten sind vielleicht nicht das beste, aber das wirksamste Motiv, ihn aufrecht zu erhalten.

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