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Protest gegen die Schwerkraft. Ashley Chen am Sowjetischen Ehrenmal.

© Berliner Festpiele/Jansch

Auftakt des Festivals "Foreign Affairs": Muskel und Masse

Ein gelungener Auftakt des Tanzfestivals "Foreign Affairs": Choreograph Boris Charmatz brachte am Sowjetischen Ehrendenkmal im Treptower Park 20 Tänzer in Bewegung.

Von Sandra Luzina

Nicht nur Skater, Radfahrer und die obligatorischen Reisegruppen waren am Freitagnachmittag am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park anzutreffen. Das Festival Foreign Affairs lockte die kunstinteressierten Berliner an diesen monumentalen Ort – und sie kamen in Scharen. Der französische Choreograf Boris Charmatz zeigte hier sein Projekt „20 Dancers for the XX Century“. Den Parcours durch die Tanzgeschichte hat er zuvor schon in einer Bibliothek in Rennes und im Museum of Modern Art in New York aufgeführt. In Berlin verortet er das Projekt nun in einem historischen Kontext – was dem Unterfangen eine andere Dimension und Bedeutung verleiht. Charmatz betritt ein umstrittenes Gelände. Denn es stellt sich sogleich die Frage, ob man an einem Ort, der Siegerdenkmal, Mahnmal und Friedhof ist, überhaupt tanzen darf?

Doch das Konzept geht auf – besonders weil Charmatz nicht auf ein großes historisches Tableau aus ist. Die 20 Performer, die sich auf dem Hauptfeld verteilen, konfrontieren die steinerne Mahnung mit zum Leben erweckten Erinnerungen und setzen der Formensprache des sowjetischen Realismus andere Ausdrucksformen gegenüber. So entsteht eine Spannung zwischen Körperbildern und der monumentalen Architektur. Und immer wieder setzen die Performer sich mit Charme und Chuzpe über das Pathos des Ortes hinweg.

Wie politische Systeme den Tanz beeinflussen

Die Künstler, die Charmatz eingeladen hat, machen ihre Sache großartig. Als Erstes trifft man auf den Russen Dmitry Gutov, der sich vor den Fahnen aus rotem Granit platziert hat. Der verschmitzte Gutov gibt seiner Performance-Serie „Karl-Marx-School of the English Language“ einen neuen Dreh. Hier liest er einen Brief von Karl Marx an Arnold Ruge von1843 vor – seine Methode, um Deutsch zu lernen. Dabei wird er tatkräftig von den Zuschauern unterstützt.

Vor der Statue des Soldaten erklärt der schlitzohrige Janez Janša, wie politische Systeme den Tanz beeinflussen – und zwar am Beispiel der Contact Improvisation, die im Amerika der sechziger Jahre entstand. Doch es gibt nicht nur eine demokratische, sondern auch eine kommunistische Contact Improvisation, behauptet er. Die basiert nicht wie im Westen auf Vertrauen, im Gegenteil: Hier bliebt man nah beieinander, weil man sich misstraut. Der Clou ist dann die Demonstration zur neoliberalen Contact Impro. Hier gibt es keinen Kontakt, nur den Kontrakt. Man kommt kurz zusammen – solange ein Vertrag es regelt. Es ist von hinterlistiger Komik, wie hier ideologisches Denken ad absurdum geführt wird.

Ashley Chen zeigt Merce Cunningham

Die Choreografin Reinhild Hoffmann verkörpert selbst ein Kapitel deutscher Tanzgeschichte. Ihr Solo „Die Horatier“ zu einem Text von Heiner Müller wirkt, als es sei es extra für diesen Ort konzipiert worden. Vor einem Sarkophag hat sie rote Schürzen ausgebreitet, die sie sich eine nach der anderen umbindet. Sie beugt sich zu einer Schüssel mit Haarnadeln und steckt sie sich an. Die Parabel, von Müller selbst eingesprochen, handelt von den Siegern und Verlierern des Krieges. Hoffmann findet starke Bilder für das Morden und konfrontiert sie mit erstarrten Siegerposen.

Man kann gut und gern drei Stunden durch diesen Parcours flanieren. Ashley Chen zeigt Ausschnitte aus vier Werken von Merce Cunningham, die auch außerhalb der Bühne durch ihre komplexe Bewegungssprache fesseln. Dramatisch wird es bei Peggy Grelat-Dupont, die an Nijinskys „Sacre du Printemps“ erinnert, während Raphaelle Delaunay ein Thema von Pina Bausch variiert. Ko Murobushi gedenkt der japanischen Butoh-Legende Tatsumi Hijakata. Das Verschwinden von Gesten behandelt ein kluger Text von Tim Etchells, den Sara de Roo vorträgt. Und Olga Dukhovnaya interpretiert Charlie Chaplins Tanz aus „Modern Times“ – und dazu einen russischen Folkloretanz.

Charmatz schlägt den Bogen bis zu zeitgenössischen Choreografen wie Meg Stuart und Jérôme Bel. Auch an den Todestag von Michael Jackson wird erinnert. Der aus Kenia stammende Mani A. Mungai widmet ihm eine kleine Hommage. Alles steht hier gleichzeitig und gleichwertig nebeneinander.

Die 20 Tänzer laden den symbolbeladenen Ort des Sowjetischen Ehrenmals mit einer neuen ungewohnten Energie auf. Ein gelungener Auftakt für Boris Charmatz. Dem französischen Choreografen und seinem Musée de la danse widmet Foreign Affairs gleich einen ganzen Schwerpunkt.

Foreign Affairs ist ein internationales Festival zeitgenössischer performativer Künste in Berlin. Vom 26. Juni bis 13. Juli 2014 findet es zum dritten Mal im Haus der Berliner Festspiele und an weiteren Orten in ganz Berlin statt. Das gesamte Programm finden Sie hier.

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