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Das Ensemble Stegreif vermischt gern die Genres.

© Kassler Musiktage/ Bernd Schoelzchen

Musikfest-Abschluss: Das Ensemble Stegreif im Kammermusiksaal

Mit nachhaltiger Entwicklung und dem Werk von vier historischen Komponistinnen befasst sich das Ensemble Stegreif in seiner „Symphony of change“. Zur Musikfest-Dernière erklang das Stück im Kammermusiksaal.

Von Keno-David Schüler

Das Musikfest 2023 geht zu Ende: Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra ist zu Gast und präsentiert seine „Symphony of change“. Letztere ist wiederum der Abschluss der vom Orchester initiierten Reihe #bechange, die sich mit vier Premieren und 16 Workshops einerseits der Auseinandersetzung mit den 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN Agenda 2030, andererseits der Musik von vier historischen Komponistinnen widmete.

Heute verschmelzen Kompositionen von Hildegard von Bingen, Wilhelmine von Bayreuth, Emilie Mayer und Clara Schumann mit Arrangements, Improvisationen und szenischem Fazit des Marathon-Projektes.

Erwartet werden darf natürlich keine „Symphony“ im Sinne der musikalischen Gattung. Vielmehr ist der erste Teil des Titels als Metapher des Zusammenkommens vieler verschiedener Stimmen und deren Gestaltung von gemeinsamer Lebenswelt zu lesen.

Die Darstellung zwischen individuellem Bedürfnis und gesellschaftlicher Verantwortung wird Stegreif-typisch nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch umgesetzt. So werden die in Improvisationen hervor- oder in tutti-Parts zurücktretenden Einzelcharaktere auch immer ins Verhältnis zur Räumlichkeit des Kammermusiksaals gesetzt: Mal agieren die Musiker:innen frontal, mal hinter, über oder im Publikum.

Wie klingt der Wandel?

„Of change“ will fragen, wie denn Wandel, ob historisch oder gegenwärtig, klingen mag. Die so selbstverständliche Verbindung verschiedener Genres von Mittelaltermusik bis Jazz steht damit auch immer symbolisch für die Beziehungen zwischen Individuen. Sinnfällig ist es da, dass dem 17. Punkt der Agenda 2030 – „Partnerschaften“ – besonderes Gewicht gegeben wird: Die durchs Publikum entstehende Kartonkette oder das gemeinsame Einstimmen über einen geklatschten Rhythmus sollen hierfür Bewusstsein schaffen.

Durch den Abend führen Baby-Stimmen, die sich Gedanken über die Zukunft (in Babysprache „Kufuf“) machen. Kufuf, durch eine Pflanze symbolisiert, entschwebt schließlich unaufgelöst in einen Mollklang gehüllt und Scheinwerferlicht getaucht in die Dunkelheit. Die entlang des dramaturgischen Weges aufblitzenden musikhistorischen Fragmente werden dabei beständig durch Improvisation unterbrochen.

Brennende Aktualität

In 90 Minuten entsteht so ein prismatischer Wirbel aus szenischen Effekten und musikalischem Potpourri, der keinen Anspruch auf Abgeschlossenheit erhebt, sondern vielmehr als Prozess in Bezug auf die Arbeit des Ensembles speziell und auf die Entwicklung ähnlicher Formate im Allgemeinen verstanden werden sollte.

Folgt man Pablo Picasso, dass Kunst weder Vergangenheit noch Zukunft habe, sondern nach ihrer Fähigkeit für die Gegenwart von Bedeutung zu sein zu beurteilen sei, dann trifft Stegreifs brennende Aktualität heute ins Schwarze. Auch das von rund 45.000 Gästen besuchte Musikfest 2023 hat versucht, sich mit einem bemerkenswert polymorphen Programm der Gegenwart zu stellen und deren Vielfalt ein Podium zu geben. Der programmatisch sinnvolle Schlusspunkt lässt mit Vorfreude auf das kommende Festival blicken.

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