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Daphne und Apollo in der Wassertrostraße in Kreuzberg.

© Büşra Delikaya

Kolumne „Berliner Trüffel“: Griechische Götter am Kottbusser Tor

„Ich folge aus Liebe“, sagt Apollo in Ovids Dichtung über sein Begehren nach Daphne. Und schon kommt die Berliner U-Bahn und braust an dem übergroßen Mural der griechischen Sage vorbei.

Liebe ist ein Graus, wenn sie unerwidert bleibt. Sie kann sogar mächtige Götter in die Knie zwingen. In Kreuzberg erinnert daran ein 45 Meter hohes Mural, das Apollo und Daphne zeigt.

An einer grauen Betonburgfassade in der Wassertorstraße 65, zwischen den U-Bahnhöfen Prinzenstraße und Kottbusser Tor, steht Daphne mit dem Rücken zu Apollo und wirft einen ängstlichen Blick nach hinten, alles in einer Negativ-Film-Optik. Apollo trifft auf einem separaten Vorsprung in matten Schattierungen ihren Blick, über seiner Schulter ein rotes Gewand als einzig kräftiges Farbelement.

Der Argentinier Francisco Bosoletti und der Kanadier Young Jarus haben das Werk geschaffen. Sie sind beide recht jung, und so überrascht die moderne Rezeption der alten Geschichte kaum. In der griechischen Mythologie ist Apollo der Gott des Lichts, der Poesie, der Musik, der Medizin, der Kunst, des Bogenschießens. Quasi ein heiliger Allrounder, der die Sonne über den Himmel zieht und für den Anbruch eines jeden neuen Tages sorgt.

Seine vielfältigen Tätigkeiten und kriegerischen Erfolge bringen Apollo den Ruf eines außerordentlich mächtigen Gottes ein, der ihn zum Höhenflug gegenüber Eros verleitet – dem bogenschießenden und von Apollo verspotteten Liebesgott.

Um der überheblichen Gottheit eine Lektion zu erteilen, schießt Eros zwei Pfeile ab: der goldene versetzt Apollo unwiederbringlich in einen Liebesrausch, der bleierne stößt die Nymphe Daphne von diesem Liebesrausch ab.

Im Verlauf der mythischen Geschichte wird Daphne von Apollo mit großer Vehemenz begehrt, Daphne weist ihn ab, Apollo leidet. Die tragische Last der unerwiderten Liebe wird zum immer wiederkehrenden Stoff für Dichtungen und Theaterstücke.

Während Apollo von seinem Liebesschmerz klagt, erträgt Daphne das Leben in Bedrängnis nicht und bittet ihren Vater, den Flussgott Peneios, um Hilfe. „Hilf, Vater“, fleht sie, „wenn ihr Flüsse göttliche Macht habt! und Peneios verwandelt seine Tochter in einen Lorbeerbaum.

Daphne wird von Apollo verfolgt und verwandelt sich in einen Lorbeerbaum: Gemälde von Theodore Chasseriau (1846).

© mauritius images(P. Willi

Das Leiden Daphnes und Apollos, ihre Flucht vor seinem lüsternen Liebeswahn, prangt nun also an grauer Fassade. Festgehalten in einer Kombination aus Spray- und Ölfarbe. Vor dem unfreiwilligen Paar braust in regelmäßigen Abständen die U1 auf der Hochbahn vorbei.

Ein idealer Ort, um über die den Mythos nachzugrübeln. Ob Daphne sich wohl auch ohne Eros‘ Bleipfeil durch Apollos Avancen belästigt gefühlt und das Schicksal als Baum bevorzugt hätte? Übergriffe zu erleben war jedenalls in keiner Epoche angenehm und die Frage nach Machtdynamiken bleibt aktuell.

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