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Kollwitz-Preis für Hito Steyerl: Mit Kunst den kritischen Geist schärfen

In ihrer Ausstellung in der Akademie der Künste analysiert die Filmemacherin die Verstrickungen zwischen Waffenhandel, Krieg und Kunst.

Es sind drängende, unbequeme Fragen. Wer sie stellt, gilt schnell als Querulant. Etwa: Sollen Museen Kunst annehmen, die mit Geld aus dem Waffenhandel bezahlt wurde? Und wie verhält es sich mit Institutionen, die von Munitionsherstellern gesponsert werden?

Der Kunstbetrieb schaut gerne weg. Lieber goutiert er die ästhetischen Erzeugnisse seiner Protagonisten und füllt die Bäuche seiner Institutionen mit immer noch mehr (an-)genehmen Werken. Bei Hito Steyerl ist er damit an der falschen Adresse: Ihre künstlerischen Arbeiten kennen gar kein anderes Thema als die politischen und sozialen Implikationen des täglichen Handelns.

Dafür erhält die 1966 geborene Künstlerin nun den Käthe-Kollwitz-Preis 2019. Kollwitz, so die Jury dieser bedeutenden Auszeichnung, die mit 12 000 Euro dotiert und mit einer Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz verbunden ist, habe vor einem Jahrhundert nach der „neuen Form für den neuen Inhalt“ ihrer Zeit gefragt. Steyerls komplexes mediales Werk sei die Antwort darauf – eine Kunst, die „auf provokante und scharfsinnige Weise physische, visuelle und intellektuelle Informationen in ihrem künstlerischen und theoretischen Schaffen zu bündeln“ vermag.

Die Begründung klingt trocken, passt aber gut zum Auftritt von Steyerls Kunst. Statt den Blick mit schönen Bildern zu wärmen, fordert sie Analyse und Konzentration. Ihre Videos erzählen von Kriegsorten oder den Brutstätten künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig warnt sie davor, dem Gesehenen vorbehaltlos zu trauen.

Mit Steyerl verbinden sich Erwartungen an die Kunst

Man muss beides zusammen sehen, um zu verstehen, weshalb Steyerl 2017 im jährlichen Kunstranking des Magazins „Art Review“ zur wichtigsten Figur der Kunstszene gekürt wurde. Lange belegten hier Museumsdirektoren, Kuratoren und Galeristen die Spitzenplätze. Mit dem Wechsel verbinden sich neue Erwartungen an die zeitgenössische Kunst: Steyerl, so das Versprechen, hilft uns, unseren kritischen Geist zu schärfen.

In der Akademie wachsen Metallgerüste bis unter die Decke. In den Filmen der Künstlerin geht es oft um improvisierte Behausungen in Krisen- und Kriegsgebieten. Oder wie in „Abstract“ von 2012, einer Arbeit der aktuellen Ausstellung, um die Folgen eines militärischen Hubschrauberangriffs auf ein von Kurden bevölkertes Gebiet in der Osttürkei: Zwischen zerpulvertem Gestein liegen zerlöcherte Kleidung, Schuhe und dicke Geschosshülsen. Steyerl lässt sich den Ort in einer kargen Landschaft zeigen, begleitet einen alten Mann, der mit seinem Stock zwischen den Überresten stochert. Parallel dazu steht sie auf einem benachbarten Bildschirm am Brandenburger Tor, um sich dieselbe mehrminütige Dokumentation auf dem Mobiltelefon anzuschauen. Oder etwa nicht?

Tatsächlich befindet sich am Pariser Platz auch eine Vertretung jenes Waffenherstellers, der die Geschosse für die Hubschrauber liefert. Die Osttürkei und Berlin sind unsichtbar miteinander verbunden, und Hito Steyerl stellt sich in ein symbolisches Fadenkreuz, in dem die Fragen zusammenlaufen.

Mittendrin oder stille Beobachterin?

Ist sie nun mittendrin oder stille Beobachterin? Und wer liefert die Waffen, wer heizt den Konflikt an oder verharrt in vorsichtiger Diplomatie? Steyerl weiß, dass sie darauf keine simplen Antworten geben kann, weil es die nicht gibt. Aber sie weigert sich auch, die Realität auszublenden, bloß weil sie zu komplex erscheint.

„Natürlich bin auch ich total in das kapitalistische System eingebunden“, stellte Steyerl vor einigen Jahren in einem Interview fest. Was aber nicht heiße, dass sie unfähig zur Handlung sei. Stattdessen experimentiert sie fortwährend mit den verfügbaren Mitteln, schafft wie in der Documenta-Arbeit „Red Alert“ von 2007 großartige Bilder für den Zustand der Welt oder scheitert vielleicht auch mit ihren Installationen, weil sie der Fortschritt gleich wieder alt aussehen lässt.

Seit ihrem Studium an der Academy of Visual Arts in Tokio und später der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film suchen Steyerls Arbeiten nach einer Haltung, die sich zwischen Krieg, Ökonomie, Individualität und technologischer Entwicklung behaupten kann. Letztere manifestiert sich vor allem in einer Arbeit wie „Hell Yeah We Fuck Die“, entstanden für die Skulptur Projekte Münster von 2017 und jetzt im Hauptraum der Ausstellung aufgebaut. Auf drei Monitoren läuft dokumentarisches Material aus Laboren über konkrete oder am Rechner simulierte Krafteinwirkung auf humanoide Roboter. Sie werden getreten oder mit Würfeln beworfen, bis sie die Balance verlieren. Das wirkt fast komisch, hilft den Robotern aber in ihrem unaufhaltsamen Lernprozess.

Siri gibt keine Antwort

Auf der anderen Seite des Raumes kontrastieren Aufnahmen aus der an der syrischen Grenze gelegenen kurdischen Stadt Cizre die Szenen. Ein geisterhafter Ort, der nach zahllosen Eskalationen zwischen dem Staat und der PKK nahezu ausradiert wurde. Über die Sequenz legt Steyerl einen Text, der Cizre als Geburtsstadt des arabischen Autors und Ingenieurs al Dschazari ausweist: ein Virtuose, der 1205 sein Werk über mechanische Apparaturen verfasste, die als „Automata“ in der westlichen Kultur bekannt sind. Aus dem Off befragt die Künstlerin auf ihrem Mobiltelefon die Software Siri nach der Rolle von Computertechnologien im Krieg. Überrascht es, dass Hito Steyerl darauf keine Antwort bekommt?

Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 14. 4., Di–So 11–19 Uhr

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