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Besucheransturm auf der Leipziger Buchmesse

© dpa

Leipziger Buchmesse: Mit dem Fernglas nach nebenan

Branchentreff, Vorleseinsel, Erinnerungsspeicher: Beobachtungen auf der Leipziger Buchmesse, die auch 2015 wieder einen Besucherrekord verzeichnen konnte.

Es geht recht gemütlich zu ganz hinten in der Halle 4 der Leipziger Buchmesse. Hier haben die Länder aus Südost- und Osteuropa ihre Stände, aber auch die Nordeuropäer, Südkorea und Israel. Hier wird auf diversen Bühnen zum Beispiel die problematische Situation der weißrussischen Literatur diskutiert. oder die finnlandschwedische Autorin Maria Antas stellt ihr Buch über das Putzen vor, „Wisch und weg“. Auch als Mircea Cartarescu, am Mittwoch ausgezeichnet mit dem Buchpreis für Europäische Verständigung, sich am Stand der Rumänen die Ehre gibt, ist der Andrang bescheiden. Eine rumänische Runde scheint sich da versammelt zu haben, vor allem weibliche Fans des smarten, fast 60-jährigen Schriftstellers. Die Stimmung ist ausgezeichnet, Cartarescu liest Gedichte vor oder lässt sie von seinem Moderator auf Deutsch vortragen, und immer wieder ruft die große rumänische Dichterin Nora Iuga gut gelaunt etwas dazwischen oder applaudiert begeistert. Besonders als Cartarescu diesen Satz sagt: „Ich glaube nicht an Dichter, die nie ein Liebesgedicht geschrieben haben.“

Das entspannt-überschaubare Treiben in Halle 4 steht in seltsamem Gegensatz zum Publikumsandrang an den ersten Messetagen, als zeitweise Gänge gesperrt und die Menschenströme entsprechend geleitet werden mussten. Die Messegeschäftsführung zog am Sonnabend schon eine erfolgreiche, für sie erfreuliche Halbzeitbilanz und zählte mit 71 000 Besuchern 3000 mehr als 2014. Die Leipziger Buchmesse beweise wieder „ihre Stellung als wichtigste Zusammenkunft der Branche im Frühjahr. Für Verlage, Händler, Dienstleister und Autoren ist sie die optimale Marketingplattform, für Besucher ein Bücher-Eldorado“, hieß es in einer Presse-Erklärung. Zudem sei die Messe mit ihren zahlreichen Preisverleihungen „ein unverzichtbarer Wegweiser für die deutsche Buchbranche“.

Dank der Manga-Comic-Convention sieht man viele Jugendliche in den Messehallen.

Die Preise jedoch sind gleichfalls ein wichtiger Wegweiser, eine Stütze für die Buchmesse in Leipzig selbst. Denn häufig stellen sich Fragen nach ihrem Sinn und Zweck. Da muss die Messe sich mit Formulierungen wie „wichtigster Frühjahrstreff der Buch- und Medienbranche“ in ihr eigenes Recht setzen – und nicht zuletzt sich ökonomisch tragen. Beiboote wie die gleichzeitig stattfindende Antiquariatsmesse und die Manga-Comic-Convention sind enorm wichtig, zumal die vielen Jugendlichen in ihren Manga-Kostümen das Messebild immer stärker prägen. Genau so wichtig: die Reihe „Leipzig liest“ mit ihren über 3000 Lesungen auf dem Messegelände wie in der Stadt. Wobei der allergrößte Teil der Autoren, wie man hörte, keine Honorare bekommt. Die Werbung in eigener Sache muss Lockmittel genug sein.

Auch der Trend, Schwerpunkte zu setzen, andere als den schon traditionellen auf Osteuropa, passt ins Bild. Nach der Schweiz 2014 waren das dieses Jahr die deutsch-israelischen Beziehungen. Nicht nur weil viele israelische Autoren mit guten, interessanten, zu Debatten anregenden Büchern den Weg nach Leipzig fanden, darunter Amos Oz, lässt sich dieser Schwerpunkt als Erfolg verbuchen: Die Frankfurter Buchmesse mit ihren Gastlandauftritten hat Israel und seine Literatur noch nie eingeladen. Ein echtes Versäumnis, wie sich in Leipzig feststellen ließ.

Die Ausrichtung der Messe wird internationaler. Nur werden in Leipzig, anders als in Frankfurt, keine Geschäfte gemacht, keine Manuskripte gehandelt und verkauft. Die Verlage stellen aus, machen Werbung für ihre neuen Bücher, animieren die Autoren, diese vorzustellen. Um physische Präsenz geht es bei der Leipziger Buchmesse, von Büchern und schreibenden Menschen, mithin der Literatur. So kann es passieren, dass man auf einer Party plötzlich neben Peer Steinbrück steht und hört, wie dieser einem Kollegen einer Frankfurter Zeitung sagt, dass er dessen Texte immer so gern lese. Oder dass man Leif Randt vorgestellt wird, dieser aber kaum ein „Guten Tag“ über die Lippen bekommt, geschweige denn einen einzigen Satz.

Nur gut, dass sein Verleger Helge Malchow nebendran sitzt und gleich wortreich ein außergewöhnliches, gut zu dieser Buchmesse passendes Projekt von „Star-Wars“-Regisseur J. J. Abrams vorstellt, „S“ betitelt: „S“ ist die fiktive Erzählung über ein Buch, das auf einem tschechischen Dachboden entdeckt, dann vom Tschechischen ins Amerikanische übersetzt, dann mit Notizen von zwei Lesern versehen wird, die dann wiederum miteinander korrespondieren, auch mittels Postkarten. Das Ganze hat eine einmalige, betont antiquarische Ausstattung und ist eine schöne, artifizielle Liebeserklärung an das gedruckte Buch.

Helge Malchow erzählt von seiner letzten DDR-Buchmesse.

Malchow erzählt schließlich noch eine schöne Geschichte, die sein Verhältnis zu dieser Leipziger Messe illustriert, eine Geschichte von seiner letzten Buchmesse in der DDR. Malchow war offiziell eingeladen, traf sich aber auch mit Dissidenten. Über die Treffen mit diesen Autoren machte er sich wie üblich, in diesem Fall gedankenlos, Eintragungen in sein Notizbuch. Prompt wurde er an der Grenze bei der Rückfahrt kontrolliert. In einem Anfall „spontaner Intelligenz“ riss er den offiziellen Schriftwechsel, der im Koffer lag, an sich und wollte ihn partout nicht herausgeben – eine Nacht im Gefängnis folgte, für sein Notizbuch aber interessierte sich keiner der DDR-Grenzbeamten. So hat die Leipziger Buchmesse auch etwas von einem Erinnerungsspeicher, der sie schon historisch ins Recht setzt. Was jemanden wie Norbert Scheuer kaum trösten wird. Scheuer schien doch enttäuscht, dass nicht er für seinen Roman „Die Sprache der Vögel“ den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse bekam, sondern Jan Wagner.

Dafür sorgte Scheuer für das schönste Bild der Messe, Mangas hin, alte Bücher her, ein literarisches zumal. Im Vorfeld hatte er davon gesprochen, die Preisverleihung mit dem Fernglas anzuschauen, so wie er das mit den Vögeln tut. Das Fernglas jedoch würde er umgekehrt halten, um – das brauchte er natürlich nicht mehr zu erklären, die größtmögliche Entfernung zwischen sich und die Bühne zu legen; um die Erwartungen nicht zu groß werden zu lassen.

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