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Technisch gehärtete Wasserwelt: Baltic Sea Harmonic beim Young Euro Classic Festival.

© Kai Bienert / Mutesouvenir

Young Euro Classic: Mit allen Wassern gewaschen

Aquatisch: Baltische Musiker spielen Händels Wassermusik und Philip Glass' „Aguas de Amazonia“, unter der Leitung von Kristjan Järvi.

Dass man beim Betreten eines Konzertsaals in eine andere Welt eintauchen kann, sagt sich so leicht dahin. Das Baltic Sea Philharmonic jedoch scheut keinen Aufwand, um sein Publikum mal so richtig nass zu machen. Es tröpfelt und rinnt aus allgegenwärtigen Lautsprechern, sagenhaft agile Projektionen lassen Wellenzacken über Wände schnappen, Schweinwerfer kreisen, bald an Leuchttürme, bald an gewaltige Quallen erinnernd oder an jene merkwürdigen Leuchtwesen, die in den finsteren Tiefen der Meere hausen. Eine gemütliche Atmosphäre ist es nicht, die das Jugendorchester der zehn Ostsee-Anrainerstaaten unter der Leitung von Kristjan Järvi bei seinem Auftritt im Rahmen von Young Euro Classic nach Berlins Mitte bringt. Keine Strandidylle, keine Sommerfrische, sondern eine technisch gehärtete Wasserwelt, in der sich auch der Schall anders ausbreitet, als im klassischen Konzert gewohnt.

Das liegt auch daran, dass das „Waterworks“ getaufte Programm zunächst Alte Musik aus dem Meer der Klänge fischt, die dann neu ausgehört und zeitgemäß abgemixt werden. Bei Gene Pritskers „Water Possessed Afesh“ trifft es ein Violinkonzert von Bach, das durch eine feine Club-Beize gezogen und dann aufs Surfbrett geschnallt wird, Charles Coleman durchnässt Händels Wassermusik erst komplett und flutet sie dann mit sinfonischem Bigband-Sound und Extraschlagwerk. Mikrofone, Mischpulte und Lautsprecher sind bei solchem Klangwellenreiten unerlässlich, erzeugen aber auch ein akustisches Wellental, in dem vor allem die hohen Streicher untergehen.

Das ist schon von Nachteil, wenn man Philip Glass fesselnd spielen will, vor allem sein 2. Violinkonzert, das damit kokettiert, ein Pendant zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu sein. Der Solist Mikhail Simonyan löst seine Aufgabe dennoch anmutig schwimmend.

Eine piranhahafte Charmeoffensive

Glass, 80 Jahre jung in diesem Jahr, verströmt sich auch in der zweiten Konzerthälfte. Völlig zu Recht, denn kaum ein Komponist kann wie er mit ganz wenigen Zutaten ein so umfassend aquatisches Gefühl erzeugen: Der Maximal-Musiker braucht dafür nur ein bisschen Marimbaphonrollen und ein paar Holzbläserwellen darüber, schon wähnt man sich von einem leuchtenden Blau umgeben. Doch Järvi und sein Orchester geht es weniger ums stille Schweben als um eine handfeste Wasserschlacht.

Zu diesem Zweck hat Charles Coleman die Glass-Ballettmusik „Aguas de Amazonia“ neu und wahrlich überbordend arrangiert. Durch die einzelnen Zuflüsse des Amazonas, durch Japura, Paru, Xingu und die anderen, rauscht nun ein mächtiges Showboat, auf dem der Dirigent den entfesselten Animateur gibt. Das Blech schmatzt, der E-Bass wummert, die Percussion hämmert – eine piranhahafte Charmeoffensive, die zum Sound am Ende auch das Licht voll aufdreht.

Schweißgebadet tastet man sich danach hinaus zum traditionellen Publikumsfest in der Mitte des Festivals, bei dem sich das Publikum über die nächtliche Freitreppe ergießt. Kaum sind die Gaumen angefeuchtet, rauschen auch schon die Musikerinnen und Musiker des Baltic Sea Philharmonic ums Konzerthaus herum, natürlich in aktiviertem Spielmodus. Mambo neben Schillers Denkmal. Und Strawinskys „Feuervogel“, komplett aus dem Gedächtnis. Das Spiel mit anderen Formen des Musizierens – Kristjan Järvi und seinen schäumenden Meeresmusikern ist es bei aller Partylaune ernst.

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