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Ausstellung: Mister Whow aus Breslau

Der Mann, der das "Weiße Rössl" erfand: Das Schwule Museum feiert Erik Charell als letzten Giganten der Operette.

Er war der Größte. Und er hatte den größten. Den größten Saal im Vergnügungsviertel der Reichshauptstadt. 3500 Plätze, die Abend für Abend gefüllt werden wollten. Was genau Impresario Max Reinhardt dazu bewogen hatte, dem jungen Mann, der sich bislang vor allem als Tänzer in einer Pantomimetruppe hervorgetan hatte, sein Großes Schauspielhaus zu überlassen, bleibt rätselhaft. Doch Erik Charell meisterte die Herausforderung: Gleich mit der ersten Revue, die er 1924 herausbrachte, katapultierte er sein Haus in die erste Reihe der Berliner Vergnügungs-Etablissements.

„An alle“ hieß das Programm und bot genauso viel bunten Bühnenzauber wie die Shows von Hermann Haller im Admiralspalast oder James Klein an der Komischen Oper. Während allerdings die Konkurrenz ihre Kunden vor allem den weitgehend unbekleideten Girls verdankte, bestach Charells Inszenierung durch eine neue, bislang in Deutschland unbekannte stilistische Opulenz und raffiniert-metrosexuelle Erotik. „Der Zuschauer ist schenkelsatt. Gar nicht davon zu reden, wie genug wir von den Massenausstellungen weiblicher Brüste haben“, heißt es im Programmheft der zweiten Charell-Revue „Für Dich“ aus dem Jahr 1925. „Wir verlangen, dass Fleisch nicht roh serviert, sondern dass die Nacktheit auf der Bühne inszeniert, will sagen: im Dienste einer Regisseursidee gezeigt werde.“

Zu den Prunkstücken der ersten Erik- Charell-Ausstellung, die das Schwule Museum jetzt zeigt, gehört ein Architekturmodell des Großen Schauspielhauses. Äußerlich ist noch klar die Markthalle zu erkennen, als die das Gebäude einst errichtet wurde. Innen aber verzaubert die Stalaktiten-Dekoration des Architekten Hans Poelzig den Zuschauer, entführt ihn schon vor der Vorstellung in eine fremde Zauberwelt. Der ideale Ort, um den Berlinern und ihren Gästen die aberwitzigsten Märchen aufzutischen, sie in einen Rausch der Genüsse zu entführen, in dem sich nicht nur die Grenzen zwischen Tag und Traum, sondern eben auch die Geschlechterrollen verwischen.

Dass Erik Charell schwul war, verschweigt die Autorin des 2006 erschienenen, bislang einzigen biografischen Essays über den Impresario – weil Marita Berg meint, seine sexuellen Vorlieben seien zum Verständnis des Werkes nicht wichtig. Das sieht der Leiter des Amsterdamer Operetta Research Centers, Kevin Clarke, der zusammen mit Wolfgang Theis vom Schwulen Museum die Berliner Ausstellung organisiert hat, natürlich völlig anders: Charells Obsession, überall Zweideutigkeiten, homoerotische Anspielungen zu verstecken, geben seinen Bühnenspektakeln erst ihren prickelnden Esprit, heben sie über die Alltagsware des Amüsierbetriebs hinaus.

Wie Shows aussehen, die das Publikum überwältigen, hatte er sich bei einer Gastspielreise in den USA abgeschaut, wo ihn besonders die Ziegfeld Follies und die Rhythmen des Jazz faszinierten. Jetzt wollte er den Glamour des amerikanischen Entertainments mit Berliner Witz und Lässigkeit mischen. Und dabei geht er alles andere als plump vor. Sogar die New York Times schwärmt 1929: „There is no doubt that the man has a gift of good taste.” Er suchte sich aber auch nur die Besten als Mitarbeiter, zum Beispiel den Ausstatter Ernst Stern, der lange für Max Reinhardt gearbeitet hatte, und nun mit seinen extravaganten Bühnendesigns auch die Kunden der leichten Muse begeisterte. Oder Ralph Benatzky, den Komponisten, mit dem er 1930 seinen größten Erfolg landen wird: „Das weiße Rössl”. „Gebrüll, Gestampfe, Ge-Explodiere, Gelächter, Ge-Enthusiasmiere und Ge-Verzweifle, toujours comme toujours“, seufzt Benatzky in seinem Tagebuch und klagt über die „Starallüren und den Größenwahn, das Nur-sich-selber-gelten-Lassen“ seines Arbeitgebers, der nie zufrieden ist, der die Unterhaltungswelt immer wieder neu erfinden will.

Nach drei kommerziell äußerst erfolgreichen Revue-Jahrgängen, die Benatzky betreut hat und bei denen Stars wie Claire Waldoff und Marlene Dietrich glänzen, stößt Charell in ein neues Marktsegment vor. Er beginnt, altbekannte Operetten radikal zu entstauben, verpasst Arthur Sullivans viktorianischem „Mikado“ ein klingendes Jazzgewand, lässt Fritzi Massary als „Lustige Witwe“ mit „Jazznegern“ und Lasso schwingenden Cowboys auftreten. Ab 1929 präsentiert er dann sogar eigene Kreationen: „Casanova“ mit aufgepeppter Musik aus dem Nachlass von Johann Strauss und den von ihm entdeckten „Comedian Harmonists“, „Drei Musketiere“ als Pasticcio französischer Komponisten mit Max Hansen und dem Sexsymbol Siegfried Arno. Und schließlich 1930 die Geschichte vom unglücklich verliebten Oberkellner Leopold, für die das Schauspielhaus komplett à la „Weißes Rössl“ dekoriert wird, einschließlich einer an die Fassade gepappten Hotelattrappe im Alpenstil.

Die Massen jubeln – und Charell wechselt wieder das Genre, verdingt sich als Regisseur beim jungen Tonfilm. „Der Kongress tanzt“ wird ein Hit, doch bevor es zum nächsten Projekt kommt – einer Odysseus-Verfilmung mit Hans Albers – knipsen ihm die Nazis die Scheinwerfer aus. Der Jude aus Breslau – Charell wurde 1884 als Erich Karl Löwenberg geboren – steht schließlich für alles, was die neuen Machthaber „entartet“ nennen, seine Shows sind die Antithese zum „gemütvollen Humor“, der jetzt Pflicht ist. Im Schwulen Museum wird der perverse Prozess dokumentiert, mit dem die Ufa von Charell einen Vorschuss zurückfordert. Das Gericht gibt dem Filmstudio 1936 recht: Der Beklagte kann seinen Vertrag nicht erfüllen, weil er Jude ist – was als Hinderungsgrund mit Tod oder Krankheit gleichzusetzen sei.

Zu diesem Zeitpunkt allerdings lebt Charell bereits mit seinem 23 Jahre jüngeren Geliebten in den USA, wo er die Kriegsjahre im Glamour-Business überbrückt. Nach dem Krieg kehrt er zwar nach Deutschland zurück und landet mit „Feuerwerk“ einen letzten Operettenhit, zieht sich dann aber ins Privatleben zurück, enttäuscht von der Spießigkeit der bundesrepublikanischen Theater- und Filmszene, die den „Kraft durch Freude“- Geist nicht abzuschütteln vermag. Er lebt fürstlich von seinen Tantiemen, wird vergessen und 1974 schließlich zu den Klängen von Verdis „Aida“ zu Grabe getragen.

Mit der dokumentenreichen Hommage, die den begrenzten Platz des Schwulen Museums bis auf den letzten Quadratzentimeter voll ausnutzt, kann nun endlich die Wiederentdeckung eines Mannes beginnen, der die Unterhaltungskunst made in Germany einen kurzen, glücklichen Moment lang auf internationales Niveau gehoben hat.

Schwules Museum, Mehringdamm, tägl. außer Di 14 - 18 Uhr, bis 27. September.

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