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Spurensucher. Sänger Riza Taner (links) und Autor Imran Ayata.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neues Album: Songs of Gastarbeiter: Melodien der Malocher

Ein Album gräbt die Lieder türkischer Gastarbeiter aus: Ein Treffen mit Sänger Riza Taner und Initiator Imran Ayata.

Ein Liedtext als pampiger Dialog mit der deutschen Sprache? Wäre man so jetzt nicht drauf gekommen. Was Gurbetçi Riza da vor mehr als 30 Jahren in seinem schrillen Türkendisko-Song „Dır Dır“ singt, klingt eigentlich mehr wie ein Schlagabtausch eines Arbeiters mit dem Meister, auf dessen Gemoser er überhaupt keinen Bock mehr hat. So nach dem Motto „Laber’ du nur weiter, Alter, höre ich sowieso nicht drauf“. „Dır Dır“ heißt auf Türkisch nämlich so viel wie „Bla Bla“. Doch Riza Taner, wie der Sänger von damals eigentlich heißt, besteht darauf: „Ich habe immer schwer mit dem Deutschen gekämpft und im Liedtext tatsächlich sowohl die Sprache als auch einen Chef gemeint.“ Für Sprachtalente jetzt nachzuprüfen auf dem großartigen Album „Songs of Gastarbeiter“, für das der Berliner Autor Imran Ayata und der Münchner Künstler Bülent Kullukcu, Musiker wie Riza Taner wieder ausgegraben haben.

Ayata und Taner ähneln sich und sind doch sehr verschieden, wie sie da im Café Simit Evi am Leopoldplatz sitzen. Dem Pass nach Deutsche, im Herzen auch Türken oder irgendwas dazwischen und sonst? Er sei 57 und 1970 eingewandert, sagt Riza Taner, der mit Familie im Wedding lebt und sie nicht als Musiker, sondern als Gärtner durchgebracht hat. Sein Kampf mit der Sprache dauert weiter an. „Ich bin hier noch nicht akzeptabel“, sagt er auf die Frage, ob ihm das hier – Deutschland, Berlin, Wedding – nach der langen Zeit, die er hier lebt, Heimat geworden sei. Was für ein Satz! Aus dem gebrochenen Deutsch bricht plötzlich das ganze Drama eines Einwandererlebens. Bevor er ihn sprach, hat er geseufzt und lange geschwiegen. Weiter hier leben jedenfalls wolle er, sagt Taner, schon wegen der Familie, der Stadt und ihrer Kultur. Fremd ist er trotzdem geblieben. Nicht sie ihm, er ihr. Am Anfang sei er froh gewesen, Ausländer zu sein, erzählt Taner mit weit ausholenden Gesten. „Ich dachte, als Fremder, als Anderer finden mich alle interessant und wollen mich kennenlernen, aber das war dann gar nicht so.“

Diesen Dämpfer für ein erstaunliches, auf dem Album in vielen Songs anklingendes Selbstbewusstsein, hat Imran Ayata nicht erlebt. Er ist einer dieser polyglotten Deutschen, die der Migrationshintergrund nur noch mehr schmückt. 44, in Ulm geboren, seit 2001 in Mitte lebend. Er hat Politikwissenschaft studiert, Bücher geschrieben, die provokante Autorengruppe „Kanak Attak“ mit gegründet und letzte Woche in der Potsdamer Straße die Kampagnen-Agentur „Ballhaus West“ aufgemacht. Die erste, 14 Originalsongs und zwei Remixe umfassende Ausgabe der bisher von ihm und Bülent Kullukcu gesammelten 100 Gastarbeiterlieder, sei kein Betroffenheitsprojekt, sagt er. Trotzdem geht es ihm nicht nur um Archivierung und Wahrnehmung, sondern auch um Genugtuung. „Neue deutsche Role Models wie Fatih Akin oder Kool Savas fallen nicht vom Himmel. Die Musiker auf dem Album waren ihre Wegbereiter, die Pioniere“. Und mancher der von ihm aufgetriebene Künstler hat vor Glück darüber, das ein deutsches Label nach 40 Jahren sein Gastarbeiterlied rausbringt, eine Träne vergossen. Taner nickt, als Ayata das erzählt. „Egal ob ich auf Türkisch oder in meiner Mutterspache Zaza singe, es ist Teil der deutschen Kultur“, sagt er.

„Songs of Gastarbeiter“ widmet sich – im Gegensatz zum im Juni an der Komischen Oper aufgeführten Konzertabend „Heimatlieder“, der die mitgebrachten Folksongs Berliner Einwanderer versammelte – der in Deutschland entstandenen Musik von Türken. Diese ab Anfang der Sechziger etwa vom Kölner Label Türküola auf Musikkassetten vertriebenen Lieder waren ein vollkommen eigenständiger Markt. Einer der schwierig zu rekonstruieren ist, erzählt Imran Ayata und zeigt auf dem Mobiltelefon Fotos der Pappkartons, in die er bei Istanbuler Plattenhändlern abtauchte. Nur eins der Lieder existierte noch als Master, was den antiken Sound einiger Aufnahmen erklärt. Ozan Ata Canani hat den Eröffnungssong „Deutsche Freunde“ für das Album gar noch einmal eingespielt. Diese das Max- Frisch-Zitat „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ reflektierende Nummer hat einen unglaublichen mit der Saz, einem traditionelnen türkischen Saiteninstrument versetzten Elektrosound. Exotisch und eingängig, weil östliche und westliche Melodik und Gesangstradition zugleich. Und extrem tanzbar wie der anatolische Disko-Folk der mit zwei Liedern vertreten Band Derdiyoklar. Oder extrem melancholisch wie die Arabesken von Yüksel Erkasap, genannt die „Nachtigall von Köln“.

Die musikalische Mischung auf diesem überraschenden, irren Album ist genauso heiß wie die inhaltliche. Heimweh, Sehnsucht, Familiendramen, Zorn auf das kalte Almanya oder die unterpriviligierte Position in der Arbeitswelt – das ist erwartbar bei Gastarbeiterliedern, die Ayata und Kullukcu natürlich mit Bedacht so nennen. Aber auf den Witz vieler Texte und die stolze Haltung, die daraus spricht, ist man als abgestumpfter Rezipient trüber Migrantengeschichten und Fotografien schnauzbärtiger Verliererminen nicht vorbereitet. Schönes Beispiel dafür ist der Song „Türkisch Mann“ von Yusuf, der im Spaghetti-Western-Sound Türkenklischees besingt: „Ich türkisch Mann, nix Deutsch sprechen kann. Wir Kinder lieben, isch hab’ schon sieben. Achtes kommt bald auf Welt, dann geben mehr Kindergeld. Ich türkisch Mann, viel Kinder lieben kann“. Wo der selbstironische Barde abgeblieben ist, der dieses Unikum verzapft hat, weiß keiner. Aber sein Lied sei als unverzichtbarer Teil der deutschen Kultur für immer herzlich willkommen geheißen.

„Songs of Gastarbeiter Vol. 1“ erscheint am heutigen Freitag bei Trikont

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