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Christoph Meckel: Meister der Melancholie

Dem Dichter Christoph Meckel, Meister einer melancholischen Liebespoesie, zum 80. Geburtstag.

Die geflügelten Himmelsboten waren schon immer seine verlässlichsten Weggefährten. Im allerersten Gedicht seines schmalen Debütbandes „Tarnkappe“, mit dem Christoph Meckel 1956 im zarten Alter von gerade einmal zwanzig Jahren die Bühne der Nachkriegspoesie betrat, drängen sich alternde Engel an die Pforten der Welt, um das Treiben der Sterblichen zu beobachten. Sechzig Jahre und über dreißig Gedichtbände später vollzieht sich in einem der jüngsten Texte Christoph Meckels die metaphysische Erfahrung der Weltzeit ebenfalls mithilfe eines Himmelskuriers.

Die Welt tritt als „leuchtendes Gestirn“ vor die Augen des Dichters, und die Toten ziehen noch einmal am Horizont vorbei. Meckels lyrisches Alter Ego betritt das „Camp“, und man weiß nicht: Ist es das Schattenreich oder das Paradies? „Einer schrie nach seinem Engel./ Der Taschendieb wechselte Bart und Handschuh./ Der Märchenerzähler verstummte,/ verschwand in den Toiletten.// War ich an der Reihe, nicht an der Reihe? / Mich erwartete nichts – ich hatte/ von einer Zukunft nichts gehört./ Wie immer verschwanden alle außer mir.“

Der späte Christoph Meckel spricht die Sprache der Sterblichkeit. Begonnen hatte der junge Dichter als Poet des Unterwegsseins, der „auf Abenteuer geht“ und das Licht und die Landschaften ferner Gegenden erkundet. Immer wieder wird der poetische Vagabund von Traumgeschöpfen begleitet, den Wappentieren seiner Imagination. Als Kind erlebte der 1935 in Berlin geborene Meckel die Zerstörung seiner Kindheitsstadt Freiburg, eine Urszene, die sich in die Szenarien seiner Erzählungen eingeschrieben hat.

Von Berlin-Friedenau nach Rémuzat

Parallel zu seiner Arbeit als Schriftsteller begann er 1957 in Berlin mit seinem grafischen Opus magnum, der „Weltkomödie“, einer surrealen Welt aus Radierungen, die mittlerweile fast 2.000 Blätter umfasst. Später zog es ihn von Berlin-Friedenau nach Frankreich, in ein kleines Haus in Rémuzat in der östlichen Drôme. Heute lebt Christoph Meckel wieder in Freiburg, der Stadt seines literarischen Aufbruchs in die Welt.

In seinen Gedichten, die nun auf 950 Dünndruckseiten in dem grandiosen Sammelband „Tarnkappe“ (Hanser Verlag, 34,90 €) versammelt sind, erleben wir einen Fantastiker mit einer großen Empfindlichkeit für die Wunder, die auch noch in unserer entzauberten Welt zu entdecken sind. Von seiner Trilogie „Die Komödien der Hölle“, die von 1979 bis 1987 den großen Reisenden Meckel als Meister einer melancholischen Liebespoesie zeigte, bis zu den Gedichten der allerjüngsten Gegenwart lockern sich die vertrauten Weltverankerungen und alles gerät in eine surreale Schwebe. Die bedrohliche Gegenwelt zu den Bildern südlicher Sehnsuchtslandschaften bildet der heillose Kosmos von „Babylon-City“.

Christoph Meckel schrieb das intensivste Vaterbuch seiner Zeit

1980 schrieb Meckel mit dem „Suchbild“ über seinen Vater, den Dichter Eberhard Meckel, das genaueste und intensivste Vaterbuch jener Jahre, ein erzählerisches Meisterstück über jene Generation, die mit viel Opportunismus und Naivität den Nationalsozialismus überstand. In anderen Erzählungen gebiert der Schlaf der Vernunft nicht nur Ungeheuer, sondern auch Rettendes.

Christoph Meckel, der heute 80 Jahre alt wird, verkörpert den Typus eines Dichters, der in der zeitgenössischen Lyrik ausgestorben schien: den von Visionen und halluzinatorischen Bildern beflügelten Sänger. Wer seine Gedichte liest, ist für die Augenblicke der Lektüre bereit, den ramponierten Glauben an die Suggestivkräfte der Dichtung neu zu beleben.

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