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Wagner-Werkstatt (1): Mein lieber Schwan

Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen zubringen darf. Christine Lemke-Matwey hat es geschafft und berichtet aus Bayreuth von den Proben zum neuen "Lohengrin".

Der erste Tag. Alles noch unsicher und ungelenk. Wege, Gesichter, Abläufe. Aber ich bin drin, unfassbar. Hausausweis mit Foto, Plakette fürs Auto, jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren. Das gab’s noch nie: Eine Journalistin, schlimmer noch: eine Kritikerin, die in Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen zubringen darf. Zugucken darf, zuhören darf, mitlaufen darf. Und „Lohengrin“ ist ein ganz besonders heiliges Stück, gerade für Bayreuth. Angeblich Hitlers Lieblingsoper und eine Choroper noch dazu und dann der Hochzeitsmarsch, den jeder kennt, selbst der ärgste Wagner-Banause – also beim „Lohengrin“ muss man sich wirklich wappnen.

Eine neue Inszenierung, sagt der Dirigent Andris Nelsons am Abend, hinterm Grünen Hügel geht gerade romantisch die Sonne unter und alle sind ein bisschen erschöpft, sei wie das erste Kind in einer Ehe. Fragt sich nur, wer in dieser Ehe der Mann ist und wer die Frau, wer wen verführt, begattet und beglückt. Der Dirigent den Regisseur, der Regisseur den Dirigenten? Was seinen Berufsstand betrifft, antwortet Nelsons und lächelt verlegen, gebe es schon eine gewisse Reserviertheit gegenüber so genannten modernen Inszenierungen. Das heißt: Man spricht möglichst nicht zu früh möglichst nicht zu viel miteinander. Der Rest lässt sich ohnehin nicht vermeiden. In Bayreuth sei das nicht anders.

Überhaupt scheint vieles hier gar nicht so viel anders zu sein als an anderen Orten. Nur der Nimbus ist größer. Aber das muss schließlich auch seinen Grund haben.

Wie viele „S“ singt man in einem Wort wie „Wissenssorge“?

Nelsons blinzelt in die Dämmerung: Jetzt gehe er ein bisschen Fußball gucken, Italien gegen ... gegen wen noch einmal? Das hat er vergessen, egal, Hauptsache das Spiel ist spannend. Was ist der ganze Patriotismus gegen ein richtig tolles Spiel! Und die Deutschlandfähnchen, die rund ums Festspielhaus aus den Dachluken winken? Nelsons zuckt mit den Achseln, er hat ein Faible fürs Deutsche. Sein Hund heißt Anton. Anton wie Anton Bruckner, der dem berühmten Richard Wagner in Bayreuth mehrfach seine Aufwartung gemacht hat, von Komponist zu Komponist sozusagen, allerdings ohne jeglichen Erfolg, aber das führte jetzt zu weit ... (außerdem war Bruckner Österreicher, aber so genau wollen wir es hier nicht nehmen).

Apropos deutsch: Nelsons ist Lette und derzeit Chefdirigent in Birmingham, der Sänger des Telramund, Lucio Gallo, ist Italiener, das Cover für Jonas Kaufmann als Lohengrin heißt Simon O’Neill und ist Neuseeländer – da kann die Verständigung über den Wagnerschen Text schon einmal ein bisschen kompliziert werden. Wie viele „S“ spricht (respektive singt) man in einem Wort wie „Wissenssorge“? Und wie lange dauert der Umlaut in „der Nächste“? Die allererste Probe ist eine musikalische Probe. „Grrreat! Grrreat!“, ruft der Dirigent mit rollendem lettischem „R“, wenn ihm etwas besonders gut gefällt. Und die Wagnerstimmen der Wagnersänger bringen die brombeerfarbene Neonröhre an der Decke der Probebühne 1 zum Vibrieren. „Brombeer“ ist die Farbe der offiziellen Festspiel-CI (sprich: Ssssie Ai). Schriftzüge, Bürostühle, Bleistiftspitzer – alles brombeerig. CI heißt corporate identity.

Zuvor aber gibt es noch das Konzeptionsgespräch: Alle sitzen im Kreis auf der Bühne. Die Festspielleitung begrüßt das „Lohengrin“-Ensemble, Katharina Wagner freut sich besonders auf den Regisseur Hans Neuenfels, Eva Wagner-Pasquier stellt die Solisten vor. Saubere Arbeitsteilung. Nett und locker wirken die Schwestern miteinander, gekonnt ist eben gekonnt. Am nächsten (langes „ä“!) Tag erscheint im „Nordbayerischen Kurier“ ein Foto, auf dem alle lachen: Eva, Katharina, Neuenfels und sein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen. Und Andris Nelsons, der Bescheidene, ist natürlich nicht mit drauf. Der 31-jährige Bayreuth-Debütant hat sich artig in die zweite Reihe gesetzt, man muss ihn regelrecht suchen. Und dann geht’s los: Von der Thannen erläutert die Szene und zeigt Bilder, Modellfotos und Figurinen, Neuenfels ergänzt – und wischt schließlich alle Theorie vom Tisch: In Wirklichkeit sei alles viel naiver, „riesig unterhaltsam“ müsse diese Aufführung werden, richtiges Theater, also bitte anfangen, es tun – und bloß keine Angst vor Richard Wagner!

Ich nehme Sie beim Wort, lieber Hans.

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