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Oskar Schlemmers „Bauhaustreppe“ im MoMA-Treppenhaus.

© Iwan Baan

Mehr Diversität: MoMA öffnet sich für andere Richtungen

Die alten Hausgötter bekommen Zuwachs: Das New Yorker Museum of Modern Art expandiert und richtet seine Sammlung mit einem Erweiterungsbau neu aus.

Als das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) 1939 sein erstes Gebäude an der legendären Adresse 11 W 53th Street eröffnete, nahm es den Platz von gerade einmal vier Reihenhäusern ein. Nach dem mittlerweile vierten Erweiterungsprojekt hat das MoMA jetzt seine maximale Ausdehnung erreicht, zur einen Seite begrenzt durch die Thomaskirche, zur anderen von einem Hochhaus an der 6. Avenue. Dazwischen hat sich das MoMA immer weiter ausgebreitet, wobei das Hochhaus des „Museum Tower“ umgangen werden muss, der nagelneue Turmbau des französischen Architekten Jean Nouvel hingegen mit seinen unteren Etagen einbezogen werden konnte.

Nur mit diesem Vorwissen versteht man die Organisation des MoMA-Ensembles, das sich eben nicht einem vorgefassten Masterplan verdankt, sondern den jeweils aktuellen Erfordernissen. So auch jetzt. Das angesagte New Yorker Architekturbüro Diller Scofidio + Renfro bekam den Auftrag zum Erweiterungsbau auf Grundstücken an der parallelen 54. Straße, vor allem aber, diese Erweiterung mit dem Bestand so zu verbinden, dass der gesamte Organismus besser funktioniert. Denn natürlich reichten die bislang rund 12 000 Quadratmeter reiner Ausstellungsfläche nicht für die beständig um aktuelle Kunst erweiterte Sammlung. Beim MoMA aber ging es, abgesehen von der Verbesserung der verschachtelten Säle und Verkehrswege, um mehr: um eine Neuausrichtung der Sammlung.

Früher galt das MoMA als die Instanz in Sachen moderner Kunst. Was hier gezeigt und durch Aufnahme in die Sammlung geadelt wurde, war ein für allemal Bestandteil des modernen Kanons, ein Schrittchen oder manchmal auch ein Meilenstein auf dem Weg ihres niemals endenden Fortschritts. Wer die beengten, längs von den inzwischen drei Millionen Jahresbesuchern überfüllten Räume durchmaß, bekam den „Kanon“ der Moderne vorgeführt – das, was man sehen und wie man es sehen musste. Picasso war der Hauptgott, um den sich die weiteren, zumeist irgendwie mit Paris verbundenen Künstler scharten, und für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich die New Yorker Szene.

Das Museum als Teil eines Netzwerks

Damit ist jetzt Schluss. „Es ist nicht mein Ziel, dass das MoMA das kanonischste Museum ist, sondern das interessanteste“, erklärt Glenn Lowry (65) bei der Vorbesichtigung der Erweiterungsflächen. „Wir leben im Zeitalter des Pluralismus“, fügt der seit 24 Jahren amtierende Direktor hinzu: „Jede Kultur hat etwas zu geben.“ Überhaupt nimmt Lowry sich und sein Haus verbal zurück und beteuert gegenüber dem Besucher aus Berlin, das MoMA spiele „in einem Universum mit der Neuen Nationalgalerie, der Tate Modern oder dem Centre Pompidou – nicht als Wettbewerb, sondern als Netzwerk“.

Die Rundum-Ausweitung der Sammlung auf Kunst von bislang wenig beachteten Minderheiten wie auf solche außerwestlicher Herkunft hat schon vorab zu Stirnrunzeln geführt. Nun ist das Resultat zu sehen. In der Neupräsentation der Sammlung teilen sich Picassos „Desmoiselles d’Avignon“ von 1907, dieses Schlüsselwerk des bisherigen MoMA-Narrativs, einen Saal mit einem ähnlich gewichtigen Bild der heute 89-jährigen afroamerikanischen Künstlerin Faith Ringgold, „The American People Series #20: Die“, einer ins Metaphorische gehobenen Szene der blutigen Rassenunruhen aus dem Jahr 1967. In einem vorwiegend der Grafik gewidmeten Saal ist das Skizzenbuch demonstrativ in den Mittelpunkt gerückt, das der sudanesische Künstler Ibrahim El-Salahi 1975 nach willkürlicher Haft angelegt hatte.

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Es konnte im Vorfeld die Ahnung aufkommen, die ganze MoMA-Sammlung würde nun alternativ und vor allem konfrontativ gestaltet. Das ist nicht der Fall. Zwar sind die Schubladenbegriffe vom Kubismus bis zur Pop-Art, mit denen bislang einzelne Kapitel kunsthistorisch etikettiert wurden, aus den arg knappen Saaltexten gestrichen worden. Aber die chronologische Reihenfolge blieb.

Es kommt jetzt einfach mehr Kunst zur Ansicht, es gibt andere Gewichtungen – erwartbar, was die Präsenz von Künstlerinnen, aber auch von Afroamerikanern und Latinos angeht. Und die Aufteilung der künstlerischen Medien in Malerei, Skulptur bis Fotografie oder Design ist passé, was im Übrigen der Ursprungsintention des 1929 gegründeten Museums entspricht, nur eben jahrzehntelang missachtet wurde. Performance kommt zu ihrem Recht, und der Film spielt endlich eine gebührende Rolle – dabei ist doch das MoMA seit Ewigkeiten berühmt für sein nächtliches Filmprogramm.

Von außen sieht man das Neue kaum

Um all das auszubreiten, reichen die neu hinzugekommenen 4700 Quadratmeter Ausstellungsfläche überraschenderweise aus. Dabei beträgt der Zuwachs gegenüber dem bisherigen Angebot nur ein gutes Drittel. Warum herrschte zuvor diese fürchterliche Enge? Da kommt die Architektur ins Spiel, die eine gut gelaunte Elizabeth Diller beim flotten Rundgang erläutert. Von außen ist ja kaum etwas zu sehen; einzig das rasante Vordach über dem Eingang an der 53. Straße setzt ein Ausrufezeichen. Aber innen!

Mit einem Mal sind die verwinkelten Wege klar und deutlich, bieten sich Rundgänge in den beiden Geschossen der ständigen Sammlung von selbst an, ohne den Flaneur unter den Besuchern einzuengen. Hin und wieder öffnen sich Fenster nach draußen ins brodelnde Midtown-Manhattan, fällt der Blick auf aberwitzig schlanke Türme im Bau.

Diller Scofidio + Renfro, die mit dem erst vor einem halben Jahr eingeweihten Veranstaltungskomplex „The Shed“, rund 550 Millionen Dollar teuer, gezeigt haben, was technisch avancierte und dennoch spielerisch-humane Architektur sein kann, geben sich im MoMA geradezu klassisch-elegant. Und gänzlich uneitel: So haben sie die berühmte, lange verschwundene Bauhaus-Treppe im Erstbau von 1939 originalgetreu wiederhergestellt, bei der auf dem Absatz Oskar Schlemmers gleichnamiges Gemälde von 1932 prangt. Zuletzt hing das Bild in einer Art Fluchttreppe; nun aber kann es atmen, hat der Besucher Platz, aufzusteigen und vor dem Gemälde innezuhalten.

Es gab große Spenden

Sicher, wir sind in New York, und das MoMA wäre die letzte Institution, das zu leugnen: Also gibt es ein neues, weiteres Café samt Terrasse, wurde der Shop vergrößert, sodass der Passant sich schon an den Fensterscheiben die Nase plattdrückt und sofort hineinstürmen will (und soll). Umsatz muss sein. Die ganze Erweiterung hat um die 400 Millionen Dollar gekostet, nachdem schon die vorangehende von 2004 – erst 15 Jahre her! – eine halbe Milliarde verschlungen hatte. Neunstellige Großspenden gab es, sowohl vom alten Geldadel wie von den Nouveaux Riches. Dazu wieder jede Menge Kunstgeschenke, darunter eine ganze Sammlung lateinamerikanischer Gegenwartskunst.

Auch wenn alle sechs Monate jeweils ein Drittel der Galerien neu bespielt werden soll – ganz wird man die Sammlung nie kennenlernen. Die Ikonen, versichert Direktor Lowry, bleiben unangetastet, van Goghs „Sternennacht“, die „Desmoiselles“, desgleichen Jackson Pollocks Tröpfelbild „One: Number 31“ aus dem Jahr 1950. Jetzt ist eine Sitzbank so nah davor gerückt, dass der Betrachter, wie vom Künstler beabsichtigt, tatsächlich ins Bild „eintauchen“ kann. Vorausgesetzt, die ab dem 21. Oktober anstürmenden Besuchermassen lassen den schmalen Gang zwischen Bank und Bild jemals frei.

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