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Der israelische Rockmusiker und Aktivist Aviv Geffen wird das Eröffnungskonzert spielen.

© Alon Levin

Mehr als Klezmer: Die Jüdischen Kulturtage Berlin starten

Lesungen am Schauplatz der Bücherverbrennung vor 90 Jahren, Musik, Comedy, Fashion. Der Intendant Avi Toubiana im Gespräch über das Programm der Jüdischen Kulturtage.

Herr Toubiana, Sie haben im vergangenen Jahr die Intendanz der Jüdischen Kulturtage übernommen. Was haben Sie gelernt?
Ich habe vor allem gelernt, die Dinge locker zu nehmen. Wir haben so viele Pilotprojekte angestoßen, da weiß man vorher nie so genau, wie die beim Publikum ankommen. Gefreut hat mich im vergangenen Jahr sehr, dass das Comedy-Programm so gut angekommen ist. Das wollte ich deshalb auf jeden Fall fortsetzen.

Sie sind früher selbst als Schauspieler im Quatsch Comedy Club aufgetreten – in diesem Jahr haben Sie den amerikanischen Stand-up-Comedian Modi Rosenfeld dorthin eingeladen. Warum gerade ihn?
Er wurde mir von vielen Freunden empfohlen und ich bin ein Fan davon, wie er sich über die verschiedenen jüdischen Traditionen lustig macht. Vielleicht, weil ich selbst halb Aschkenase halb Sepharde bin. Ich war trotzdem skeptisch, dass ein Comedyprogramm auf Englisch in Berlin gut funktionieren würde. Ich habe mich geirrt. Der erste Termin war sofort ausverkauft, deshalb haben wir sogar noch einen zweiten angesetzt.

Das Motto der Kulturtage ist in diesem Jahr „Kaleidoskop: Das Schöne sehen“. Und was ist mit dem Unschönen?
Es geht nicht darum, die Augen vor dem Unschönen zu verschließen, sondern darum, die schönen Dinge bei all dem Schlechten, das uns umgibt, nicht zu übersehen. Mich hat eine persönliche Erinnerung zu dem Motto geführt. Als ich als 13-Jähriger in Düsseldorf gelebt habe, konnten sich meine Eltern keinen Urlaub leisten. Stattdessen sollte ich sechs Wochen lang jeden Tag zum Beten in die Synagoge gehen und war dort der einzige junge Mensch zwischen alten Männern, die aber eine unglaubliche Lebensfreude ausgestrahlt haben. Dass diese Männer fast alle den Holocaust überlebt hatten, wurde mir erst Jahre später klar. Meine Freunde, die im Urlaub waren, hatten Mitleid mit mir, aber tatsächlich war dieser Sommer einer der besten meines Lebens. Ich habe aus dieser Zeit so unglaublich viel mitgenommen, unter anderem meinen jüdischen Humor.

Gibt es einen jüdischen Humor?
Auf jeden Fall. Und der entstammt eben diesen vielen furchtbaren Erfahrungen, die auch die alten Männer hinter sich hatten. Humor ist auch eine Strategie, einer Lage Herr zu werden. Zu überleben. 

Sie haben angekündigt, mit den Kulturtagen ein breiteres und diverseres Publikum ansprechen zu wollen. 
Ja. Ich muss sagen, dass mich das Programm in der Vergangenheit eher weniger angesprochen hat. Das wollte ich ändern und zeigen, wie facettenreich die jüdische Kultur ist. Entgegen der verbreiteten Meinung gibt es nämlich mehr als Klezmer.

Avi Toubiana, Intendant der Jüdischen Kulturtage Berlin
Avi Toubiana, Intendant der Jüdischen Kulturtage Berlin

© Boaz Arad

In diesem Jahr ist auch zum ersten Mal eine Modenschau Teil des Programms. Wie kam es dazu?
Viele Menschen wissen wahrscheinlich nicht mehr, wie groß die Berliner Modewelt bis zu den 30er-Jahren gewesen ist und dass jüdische Designer ein wichtiger Teil davon waren. An diese Vergangenheit wollen wir mit der Show erinnern und gleichzeitig eine Brücke in die Gegenwart bauen. Wir haben internationale jüdische Designer ausgewählt, die noch keine großen Marken sind, aber sehr spannende Sachen machen.

Die zentrale Ausstellung der Kulturtage stammt von dem israelischen Künstler Roy Cohen. Wie haben Sie ihn gefunden?
Nachdem wir das Motto ausgewählt hatten, wollte ich unbedingt auch Kunst ausstellen, in der Kaleidoskope eine Rolle spielen. Nach langer und erfolgloser Suche auf der ganzen Welt hat mich dann mein Grafiker auf Roy Cohen aufmerksam gemacht. Cohen lebt in Israel im Kibbuz Ein Gedi am Toten Meer und fertigt Kaleidoskope aus Materialien an, die er dort in der Natur findet. Nachdem er meine Mails und Anrufe ignoriert hat, bin ich persönlich zu ihm gereist und konnte ihn zum Glück überzeugen, nach Berlin zu kommen.

In diesem Jahr treten auch einige Künstler aus der Ukraine auf, zum Beispiel die Klezmer-Band Kommuna Lux. Haben Sie das forciert?
Ja. Und das, obwohl ich wie gesagt generell kein riesiger Klezmer-Fan bin. Aber diese siebenköpfige Band aus Odessa hat mich sofort mitgerissen. Auch die Gemeinde war auf der Stelle begeistert. Wir wollen helfen. Ich habe das Gefühl, für viele Menschen in Deutschland ist der Krieg in der Ukraine mittlerweile Alltag geworden. Aber das darf nicht sein.

Die ukrainische Klezmer-Band Kommuna Lux.
Die ukrainische Klezmer-Band Kommuna Lux.

© Vasiliy Galushkin

Künstler aus Russland sind in diesem Jahr nicht dabei. Haben Sie das kategorisch ausgeschlossen?
Überhaupt nicht. In diesem Jahr kam es einfach nicht dazu. Wir haben aber viele russischstämmige Künstler im Programm.

Ein weiterer Programmpunkt sind Lesungen auf dem Bebelplatz, wo vor 90 Jahren die Nationalsozialisten Bücher verbrannten. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in diese Veranstaltung?
Für mich ist es ein Triumph. Nach 90 Jahren stehen wir dort und können sagen: „Uns gibt es noch. Die Nazis nicht mehr.“ Auch hier ging es uns darum, eine Brücke von damals ins Heute zu bauen. Wir beginnen mit Jürgen Serke, der aus „Die verbrannten Dichter liest“. Aber dann gehen wir in die Gegenwart, zum Beispiel mit David Safier, Shelly Kupferberg und Arnon Grünberg. Übrigens haben wir für die Veranstaltung acht Monate lang auf die Erlaubnis vom Bezirksamt gewartet. Ein Wahnsinn.

In Israel protestieren seit 34 Wochen Menschen gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu, auch viele Künstler äußern sich kritisch. Inwieweit sind diese Entwicklungen ins Programm geflossen?
Es lässt sich natürlich nicht ausblenden. Aviv Geffen, der das Eröffnungskonzert spielt, wurde erst vor sechs Wochen nach einer Demo in Israel inhaftiert. Mein Ziel als Intendant ist es aber, Kunst und Kultur zu vermitteln, keine Politik. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, zu Boykotts jedweder Form aufzurufen. Wenn Menschen für Demokratie kämpfen, egal wo, wollen wir das natürlich unterstützen und das spricht auch aus unserem Programm.

Der israelische Botschafter in Deutschland Ron Prosor wird zum Thema „75 Jahre Israel“ sprechen.
Wir haben den Botschafter eingeladen, damit er von seiner Familiengeschichte erzählen kann. Von seinem Vater aus Berlin und wie es für ihn war, in seinem Amt in die alte Heimat seiner Eltern zurückzukehren.

Was sind Ihre persönlichen Highlights im Programm?
Definitiv das Eröffnungskonzert von Aviv Geffen, das Konzert der israelischen Sängerin Marina Maximilian, die Fashion Show und natürlich auch das Abschlusskonzert mit Guy Braunstein, der das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert. Natürlich freue ich mich besonders auf Modi Rosenfeld, aber zum Beispiel auch sehr auf Jürgen Kuttner mit seiner Videoschnipselshow „Kibbuz DDR“. Es wird toll dieses Jahr!

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