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Der britische Tenor Ian Bostridge, Jahrgang 1964.

© Sim Canetty Clarke

Mehldau und Bostridge im Kammermusiksaal: Im Dienst der Poesie

Neue Wege: Der amerikanische Jazzpianist Brad Mehldau und der britische Tenor Ian Bostridge begeistern im Kammermusiksaal.

„Night And Day“ oder „Every Time We Say Goodbye“ – das sind Jazzstandards im Hit-Olymp, die mit den Heine-Liedern von Schumann eine erstaunliche Gemeinschaft eingehen. Es liegt in den Interpretationen von Ian Bostridge und Brad Mehldau, dass ein Grundklang der Sehnsucht die Stücke verbindet. Der britische Tenor und der amerikanische Jazzpianist gehen gemeinsam auf Entdeckungsreise: zwei Stars, denen ein wunderbarer Liederabend gelingt. Mehldau liebt deutsche Kultur. Sein Album „After Bach“ (2018) sucht Abenteuer mit dem „Wohltemperierten Klavier“. Sein Anschlag ist scharf konturiert, dabei empfindsam, was den Nachspielen der „Dichterliebe“ eigene Farbe gibt. Bostridge lauscht diesem Klavierspiel gebeugt, zugeneigt.

Im Kammermusiksaal begeistern beide Künstler, die sich 2015 zufällig begegnet sind, ein gespanntes Publikum mit dem Ertrag ihrer Freundschaft. „Wie weit man nach #MeToo die romantische Ironie noch treiben darf“, überlegt Mehldau in einem eigenen Zyklus, den er in der Elbphilharmonie mit Bostridge kreiert hat. Das Sehnen und Verlangen ist Thema dieses „Folly of Desire“ auf Gedichte von Blake, Auden, Goethe bis Shakespeare, zentriert um Verse des Pornografen Bert Brecht. Verführung von Engeln ist Vergewaltigung. So wird Lyrik hinterfragt. Das Klangbild neigt sich dem Lied bei sparsamem Jazz und Dissonanzen, Nachspiele kommen aus der Substanz der Lieder.

Die Interpretation der „Dichterliebe“ erweist, dass beide Musiker Diener der Poesie sind. Das romantische Repertoire „Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne“ sprudelt „munter“, bis es um „die Eine!“ geht. Das gemeinsame zarte Ritardando von Begleitung und Gesang gegen Ende der meisten Lieder hat inhaltlichen Grund. Wie aus der Banalität einer alten Geschichte Trostlosigkeit wird, wenn das Herz zerbricht, das singt Bostridge mit gesteigerter Emotion, vorbildlich am Wort: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“. Der Bach-Spieler Mehldau gibt den Ton vor zu einer Spiegelung „Im Rhein, im heiligen Strome“. Erstaunt entdeckt der Sänger die Ähnlichkeit eines Andachtsbildes mit seiner Liebsten. Dieser Schreck, wie Bostridge ihn durchmacht, ist so unmittelbar, dass der Vortrag eine Aura von Privatheit gewinnt. Mit den Zugaben übernimmt Cole Porter.

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