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Mann für intime Momente. The National-Mastermind Matt Berninger.

© Jose Sena Goulao/dpa

Matt Berninger wirkt wie ausgewechselt: The National enttäuschen bei ihrem Berliner Konzert

The National sind eine Institution des US-Indierock. Bei ihrer ausverkauften Show in der Columbiahalle spürt man davon nicht viel.

Matt Berninger verkörpert wie kaum ein anderer die Weisheit des Scheiterns: Wenn der The-National-Mastermind mit dem melancholischen Bariton beginnt, von verlorenen Gedanken, verpassten Chancen und beendeten Beziehungen zu singen, lernt man Schwermut und Selbstzweifel plötzlich zu genießen und an sich zu ziehen wie eine warme Decke an einem Herbstabend.

Am Dienstag scheiterte der Mann, der Fehlschlägen so viel Schönheit verleihen kann, jedoch auf ganz andere Weise: Die Columbiahalle ist ausverkauft, nicht nur heute, sondern auch beim Zusatztermin einen Abend später. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die US-Indierock-Institution.

Doch schon bei „Rylan“ vom kürzlich erschienenen Album „I Am Easy To Find“ macht sich Befremdung breit: Ist das wirklich Berninger, der da singt? Seine Stimme klingt dünn, etwa eine Oktave höher als gewohnt. Vor allem aber fehlt ihr eines: Gefühl. Wo ist das verletzte Schmachten, wo die Sensibilität und Aufrichtigkeit den eigenen Wunden und Fehlern gegenüber, die Songs wie „Bloodbuzz Ohio“ oder „This Is The Last Time“ so groß machen?

An diesem Abend klingen sie nicht groß, die Emotionen wirken inszeniert, der Seelenstriptease aufgesetzt.

Zusätzlich irritiert Berninger mit seinem Bühnengebaren, das ähnlich kryptisch ist, wie seine Texte und seine genuschelten Ansagen: Ständig läuft er unschlüssig zwischen der Band hin und her wie ein Theaterschauspieler, der seine Rolle vergessen hat, gestikuliert erratisch, hockt sich mit dem Rücken zum Publikum, wirft unmotiviert Mikroständer um, wirkt abwesend und unnahbar. Umso eigenartiger ist, dass Berninger immer wieder ins Publikum will, einmal gar mit Mikro bis zur Bar läuft und auf den Tresen springt.

Musikalisch in der Midlife-Crisis angekommen?

Dass ihm auf der Bühne noch Mina Tindle und Kate Stables zur Seite stehen, macht es nicht besser. Denn bei Sängerinnen sind ebenso unnötige Staffage wie auf dem neuen Album „I Am Easy To Find“, dass sich leider durch ähnlich viele Längen und mangelnde Ideen auszeichnet wie dieser Abend. Das Publikum applaudiert dennoch großzügig, doch der Funke ist nicht übergesprungen.

Halbwegs gerettet wird das Konzert durch die instrumentale Klasse der Band. Vor allem in den lauten Momenten erstrahlt sie hell. Bei allen Abstrichen an Gesang und Show, der klirrenden Glorie von „Day I Die“ oder „Fake Empire“ kann man sich nur schwer entziehen –  zumindest bis Berninger wieder anfängt zu singen.

Auf dem Nachhauseweg klingen einem viele der The-National-Songs im Ohr nach – und es stellt sich die Frage, warum sie gerade so demontiert wurden. Vielleicht hat Berninger nur einen schlechten Tag erwischt. Vielleicht ist er aber auch musikalisch in der Midlife-Crisis angekommen, von der er immer so großartig zu singen weiß.

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