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Autorin Maja Haderlap. 

© Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag.

Maja Haderlaps Roman „Nachtfrauen“: Die dunkle Bergkönigin und ihre Hinterlassenschaften

Die Kärntner Autorin erzählt in ihrem neuen Buch mit viel Liebe zum Detail von drei Frauengenerationen zwischen Österreich und Slowenien.

Bald 43 Jahre ist es her, dass Anni aus dem slowenischen Bela in das Häuschen im grenznahen Jaundorf in Südkärnten übersiedelt ist. Ihr Bruder hat es ihr überlassen, nachdem Annis Mann bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Damals schien das für Anni eine gute Lösung, die beiden Kinder, Mira und Stanko, waren versorgt, während sie selbst als ungelernte Arbeiterin in der Nähmaschinenfabrik für den Unterhalt sorgen konnte.

Haderlap gewann 2011 den Bachmann-Preis

Nun ist Anni im Ruhestand, gesundheitlich nicht mehr so gut beisammen und Stanko hat Mira nach Hause beordert, um die Mutter in einem Pflegeheim unterzubringen, weil die Erben andere Pläne für das Anwesen haben.

„Nachtfrauen“ nennt die 1961 in Kärnten geborene, auf einem Bergbauernhof zweisprachig aufgewachsene und zunächst mit slowenischer Lyrik hervorgetretene Bachmann-Preisträgerin (2011) Maja Haderlap ihren zweiten Roman, in dem sie vom Schicksal dreier Frauengenerationen an der Sprachengrenze zwischen Österreich und Slowenien erzählt.

Mira, die unter Opfern der Mutter studieren durfte, ist Referentin in der Bibliothek der Wiener Arbeitskammer und fährt stets mit gemischten Gefühlen in „das Dorf, das seinen Platz“ beansprucht und sich „zwischen Miras Erinnerungen schiebt“. Die Sprache „zwang sie im Nu in eine andere Haltung“, und der Dialekt „glich einer Tracht, mit der man in einer unüberschaubaren Menge erkennbar blieb und nicht verloren gehen konnte, es war eine Sprache, die vorgab, ein rettendes Ufer zu sein“. Doch die Tracht fordert auch Abstand, und in der Familie war man „mit den Worten, die man füreinander fand, ständig unzufrieden“. Die Muttersprache war „ruppig und auf das Notwendigste reduziert“.

Sprache als rettendes Ufer

Während Mira die störrische Anni von ihrem Umzug ins Heim zu überzeugen versucht, steigen die Erinnerungen an die 1970er Jahre auf, an das Trauma, das mit dem Unfall des Vaters für sie verbunden ist, und den strengen Katholizismus, den Anni und ihre Mutter Agnes leben und der vor allem Forderungen an die Frauen stellt. Die von der Religion bereitgestellten „Engel und Nothelfer“ braucht es in einer armen und vertriebenen Familie, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus von Gewalttaten und Unglück begleitet war.

Mira flieht aus dieser Umgebung, mit dem schlechten Gewissen der Tochter, deren Bildungsaufstieg auch mit der Entfremdung von der Mutter einhergeht. „Vielleicht wurzelte ihr ganzer Lebenswiderspruch auf diesem Fleckchen Erde.“ Doch nicht gewillt, die Grenzen zu akzeptieren, sucht Mira nach Wegen, Anni wieder näherzukommen. Das zufällige Wiedersehen mit einem Jugendfreund stellt sie schließlich auch vor ganz persönliche Entscheidungen.

Mutter als „dunkle Bergkönigin“

Anni ihrerseits hätte „viel zu sagen gehabt“, wenn sie je von jemandem gefragt worden wäre. Im zweiten, kürzeren und monologisch gehaltenen Teil des Romans kommt sie zu Wort, nicht schreibend, sondern zeichnend wie in ihrer Schulzeit, weil die „Wörter nicht passten und fremd“ waren: Sich selbst würde sie als Kind zeichnen, „umgeben von tiefer Nacht“, und ihre so kalt wirkende Mutter Agnes als „dunkle Bergkönigin“.

Neben Mira, die das Beten ablehnt, kommt sich Anni unwissend vor. Auch ihre Ehe in Bela war nicht glücklich. Denn Anni heiratete, weil sie als unverheiratete Frau im Dorf nichts gegolten hätte. Viel denkt sie über ihre Schwester Dragica nach, die einstige Partisanin, die sich nach dem Krieg für Jugoslawien entschied und so viel glücklicher war als Agnes.

Auch wenn die beiden Romanteile auseinanderfallen, Miras Unfall wie in der Luft hängen bleibt und das Romanende insgesamt etwas unvermittelt anmutet, ist dieser letzte Teil mit noch größerer Symbolik aufgeladen als der von Mira erzählte – und gelegentlich auch etwas überdeterminiert.

Weshalb auch noch die Fotografien in einer von Mira und Anni besuchten Ausstellung als Sinnbild für das Schicksal der drei Frauengenerationen herhalten müssen, erschließt sich nicht. Die große Stärke Haderlaps ist neben ihrer mehrfachen und psychologisch eindringlichen Grenzbegehung jedoch das Talent, Lebensbrüche in kurzen Szenen aufblitzen zu lassen, da kommt die am Klagenfurter Theater geschulte Dramaturgin ins Spiel.

Ihre Detailversessenheit reicht bis in die Beschreibung von Rezepten, mit der sie Annis Alltag heranzoomt oder Annis „Hinterlassenschaft“ auflistet: das Heft mit den Zeichnungen, ein paar Fotos, den Ehering, ein besticktes Deckchen aus dem Stickkurs. Annis Welt ist klein und fragil wie der Lebensfaden, den sie aus ihrem Mädchenhaar häkeln will. Aber sie ist auch stolz genug, nicht nur „wie ein Kieselstein“ von dieser Welt kullern zu wollen.

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