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Spurenlos. Früher fehlte hinterher was, wenn die Diebe da waren. Heute ist nach dem Diebstahl alles noch da: Tom Cruise hält es in „Mission Impossible“ in der Schwebe. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance / dpa

Geheimhaltung im Internet: Luxusgut Privatheit

Datenklau, Abhörskandale, Kontrollverlust im Internet: Was ist heute eigentlich noch ein Geheimnis? Und was bedeutet Privatheit, wenn sie in den Diensten von Google, Facebook und Co stattfindet?

Einem Zeitreisenden, sagen wir aus dem Jahr 1987, müsste das alles sehr seltsam vorkommen: Das amerikanische Verteidigungsministerium verliert in einem Rutsch 24 000 vertrauliche Dokumente, ohne dass Agenten eingedrungen wären und jahrelang die Inhalte von Aktenordnern kopiert oder mit einer Mikrokamera abgefilmt hätten. Der Bundesnachrichtendienst, der 1987 mit Hans-Georg Wieck einen Präsidenten fern jeder Öffentlichkeit hatte, verliert Baupläne für seine neue Zentrale – und BND-Chef Ernst Uhrlau zieht vor die Presse, um zu beteuern, vom Diebstahl seien keine sensiblen Daten betroffen gewesen. Und England macht Schlagzeilen, weil die Klatschpresse – und nicht etwa der Geheimdienst – das Handy der Queen gehackt hat.

„Was ist das für eine gläserne Welt“, würde der Zeitreisende denken, „in der jede Information an die Öffentlichkeit gelangt?“ Irritiert nähme er eine Wirklichkeit zur Kenntnis, in der die Kinder derer, die 1987 aus Gründen des Datenschutzes gegen die Volkszählung protestierten, via Smartphone ihren aktuellen Aufenthaltsort auf Karten in sozialen Netzwerken markieren. In der private wie dienstliche Postablagen mit Telefonverzeichnissen verknüpft und um Bilder und Adressen der Verzeichneten angereichert werden, um dann nur notdürftig verschlüsselt in ein Weltnetzwerk eingespeist zu werden. Und in der man auch Firmen- und Bankdaten über Geräte wie Smartphones oder Touchpads verwaltet, auf die – nach Meinung der Sicherheitsexperten – so ziemlich jeder mit etwas Geduld zugreifen kann. Im Wissenschaftsbetrieb gilt das Gleiche: Wer abschreibt für seine Doktorarbeit, wird kinderleicht ertappt.

Was für eine Welt! Der Zeitreisende würde sich die Augen reiben und zu dem Schluss kommen, dass sie sich durch die Digitalisierung vielleicht noch radikaler verändert hat als durch das Ende des Kalten Krieges und den internationalen Terrorismus. Auch wenn solches Pathos mit Vorsicht zu genießen ist: Die Umwälzungen für die kollektive Psyche gerade im Bereich der Diskretion in den letzten Jahren sind gewaltig. Was ist heute ein Geheimnis? Was bedeutet Geheimhaltung überhaupt noch im Zeitalter des Netzes, gibt es noch Privatheit?

Schon finden sich erste Versuche, den Datenkontrollverlust einfach wegzulächeln: Im Februar trat eine Gruppe namens „Die datenschutzkritische Spackeria“ via Twitter und Blog an die Öffentlichkeit, die sich vorgenommen hatte, „die aktuellen Entwicklungen rund um den Datenschutz kritisch zu sehen“. Seitdem lässt die lose „Vereinigung der post-privacy Spackessen und Spackos“, benannt nach einer abfälligen Bemerkung von Constanze Kurz, Sprecherin des datensensiblen Chaos Computer Clubs, kaum eine Gelegenheit aus, ein vollständig gewendetes Weltbild zu propagieren. Darin hat Privatheit keinen Platz mehr. Und der Kontrollverlust, den das Agieren und Kommunizieren im Netz mit sich bringt, wird freudig begrüßt.

Auch diesseits derart hysterischer Grenzmeinungen bleibt die chronische, systeminhärente Indiskretion des Netzes und seiner Dienste ein Thema für alle Nutzer. „Please do not send us emails containing leaks“, warnten im Januar die Macher der im Aufbau befindlichen Plattform „Openleaks“ potentielle „Whistleblower“. So wurde nebenbei deutlich, was selbst denen, die sensible Daten veröffentlichen wollen, nicht unbedingt klar ist: Es sind nicht nur die großen Dienste wie Facebook und Google, die das Individuum zum gläsernen Menschen machen. Jegliche Kommunikation über Netzwerke ist hochgradig unsicher. Und ausgerechnet für das Durchsickernlassen von Daten bedarf es aufwändiger kryptographischer Prozesse: Nur Geheimschriftgelehrte können Geheimnisse lüften – und gleichzeitig ihre eigene Spur verwischen. Im großen Stil kam diese Verschlüsselungskunst bei Wikileaks zum Einsatz; dem Streben des Mediums nach Transparenz ist allseitig nur schwer beizukommen.

„Get the hell away from the internet“, rät der Sicherheitsexperte Sandro Gaycken allen, die ein Geheimnis bis in alle Ewigkeit bewahren wollen. „Jeder Privatmensch ist im Netz in hohem Maße überwachbar – gerade vor ressourcenstarken Akteuren wie Staaten und Unternehmen ist quasi niemand sicher.“ Für wirklich sensible Daten gelte nach wie vor: „Je analoger, desto sicherer.“ Große Geheimdienste wie die amerikanische National Security Agency haben das schon lange begriffen: Dort herrscht Gaycken zufolge eine strenge Trennung datenverarbeitender Systeme. „Da hat jeder Mitarbeiter immer drei Rechner vor sich, von denen nur einer mit dem Internet verbunden ist.“ Die wirklich sensiblen Daten kämen auf einen Rechner, der nicht einmal an das hausinterne Netzwerk angeschlossen sei. Der sicherste Weg, ihn mit Daten zu füttern: die Eingabe per Hand – denn auch CDs, USB-Sticks, Drucker und Scanner können Schadsoftware transferieren.

Der neu erwachte Wettbewerb zwischen Spionage- und Spionageabwehrstrategien im militärischen und geheimdienstlichen Bereich ist das eine. Das andere sind die normalen Bürger. Die kommen meistens gar nicht umhin, auch im Netz soziale Wesen zu sein. Wie realistisch ist da die totale Abschottung aller sensiblen persönlichen Daten vor den Zugriffsmechanismen des Web? Gerade für solche, die weder die Mittel noch das Knowhow für die aufwändige Verschlüsselung ihrer Privatsphäre haben?

„Privatheit ist ein Luxusgut geworden“, sagt Jan-Hinrik Schmidt vom Hamburger Hans-Bredow-Institut. Der Deal „Nutzung gegen Preisgabe“ sei immer schwieriger zu vermeiden. Das größte Problem ist dabei die Persistenz der Daten, die Tatsache, dass sie aus dem Netz kaum noch endgültig gelöscht werden können. „Ich kann nicht sagen, ob eine Aktion, die ich heute durchführe, in drei Jahren problematisch wird,“ erläutert Schmidt. Genau in diesen Dimensionen müsse aber streng genommen denken, wer die Kontrolle über seine Daten nicht verlieren will.

Im Gegensatz zur „Spackeria“ möchte Schmidt den Kontrollverlust nicht einfach willfährig hinnehmen. „Wir haben Gestaltungsmöglichkeiten. Technologie fällt nicht einfach vom Himmel.“ Ein wichtiges Stichwort dazu machte bereits 1987 zu Zeiten der Volkszählung die Runde; nicht nur Schmidt, auch immer mehr Netzaktivisten führen es im Munde: das der „informationellen Selbstbestimmung“, des Grundrechts, selbst über die Verwendung und die Preisgabe der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen.

Leider weiß so richtig niemand, wie sich das Selbstbestimmungsrecht umsetzen lässt, gerade in der Interaktion mit privatwirtschaftlichen globalen Datensammlern wie Facebook oder Google. Doch aufgeben will Schmidt deshalb nicht: „Zwischen den Positionen, dass jetzt eh alles egal ist, und dass jeder, der einen Dienst sicher benutzen will, 14 Seiten juristischen Text gelesen und geprüft haben muss, gibt es einen gewissen Spielraum.“ Just dort gelte es anzusetzen. Große Anbieter wie Facebook und Google solle man auf verständliche und unveränderliche allgemeine Geschäftsbedingungen verpflichten. Was aber auch Jan-Hinrik Schmidt zugesteht – und was sich mit den Beobachtungen unseres fiktiven Zeitreisenden decken dürfte: „Privatsphäre im binären Sinn gibt es nicht mehr.“ Dass etwas für immer vertraulich bleibe, die Garantie dafür schwindet in dem Maße, wie Merkfähigkeit und Omnipräsenz des Netzes in der sozialen Interaktion zunehmen. Freilich macht das noch lange nicht alles anders. Auch ein klassischer Rosenkrieg, das analoge Zerwürfnis zweier Partner, brachte und bringt es in der Regel mit sich, dass intime Details von dem einen oder der anderen an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Schon immer hat das menschliche Mitteilungsbedürfnis dazu geführt, dass Staats- wie Privatgeheimnisse, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit kommuniziert wurden, am Ende doch die Runde machten. Umgekehrt gibt es bei aller Transparenz Dinge, die kaum je ergründet werden dürften: Mafia, Korruption, Spendenaffären – es ist nicht leichter geworden, Dunkelmännern das Handwerk zu legen. Jan-Hinrik Schmidt weist auf etwas hin, was digitale und analoge Indiskretionen (zu denen ja auch der Plänediebstahl auf der BND-Baustelle gehört) miteinander verbindet. Jeder, der kommuniziert, muss den Akteuren, in deren Beisein er dies tut, Vertrauen entgegenbringen. Ohne dieses Vertrauen bliebe nur: Schweigen.

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