zum Hauptinhalt
Mit ganz großen Schritten. Im Atrium des klassizistischen Palazzo Grassi hat Damien Hirsts seine 18 Meter hohe Monumentalskulptur „Demon with Bowl“ aufgestellt.

© Prudence Cuming Associates Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/SIAE 2017

Damien Hirst in Venedig: Lügenbaron der Lagune

Sozialkritischer Till Eulenspiegel oder Clown der Kunstwelt? Mit einer Doppelausstellung in Venedig feiert der Künstler Damien Hirst vor allem sich selbst.

Wie haben die das Ding da bloß reinbekommen? Der Palazzo Grassi ist eines der nobelsten Gebäude am Canal Grande, vor allem prunkt er mit dem, was in Venedig besonders knapp ist: Platz. Eine riesige Halle bildet die Mitte des 1772 vollendeten Baus, in dem der Unternehmer François Pinault seit 2006 moderne Kunst zeigt – und diese Halle wird jetzt von einem kopflosen, 18 Meter hohen Koloss fast vollständig ausgefüllt. Er sieht aus, als sei er aus Bronze gegossen.

Tatsächlich aber besteht die Skulptur aus Resin, einem schnell aushärtenden Gießharz. Sie konnte darum in Einzelteilen anliefert werden, die mit Sekundenkleber verbunden und anschließend so mit der Farbpistole behandelt wurden, dass die Oberfläche täuschend echt nach Metall aussieht. Handwerklich ist dieser „Dämon“ tadellos gemacht. Und in seiner Monumentalität taugt er bestens als key visual der Ausstellung „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“, mit der sich Damien Hirst jetzt im Schatten der Biennale in Venedig präsentiert.

Inhaltlich aber handelt es sich hier um die frechste Eulenspiegelei, die der Kunstmarkt seit Langem erlebt hat. Und um ein generalstabsmäßig geplantes Verkaufsprojekt: Milliardär Pinault verschafft seinem Freund Damien Hirst die nötige Medienaufmerksamkeit, um die Preise in die Höhe zu treiben, indem er ihm eine Doppelausstellung spendiert. Denn nicht nur der Palazzo Grassi steht Hirst komplett zur Verfügung, sondern auch Pinaults zweites Museum, die Punta della Dogana, ein ehemaliges Zollgebäude, gelegen auf dem feinsten Filetgrundstück Venedigs mit atemberaubendem Markusplatz-Blick.

Die Lügengeschichte gibt's gleich zu Anfang als Video

Zur Marketingstrategie des Projekts gehörte auch eine weitgehende Nachrichtensperre im Vorfeld. Potenzielle Käufer erhielten zwar Bilder der Exponate, die Öffentlichkeit aber bekam nichts zu sehen vom ersten Projekt des 51-jährigen Briten nach einer langen „Kreativpause“. Eine Anti-Hirst-Aktion von Umweltschützern, die im Vorfeld 40 Kilo Tierkot vor dem Palazzo Grassi abgeladen hatten, lief darum auch ins Leere. Jene in Formaldehyd eingelegten Tierkadaver, mit denen der Künstler berühmt wurde, fehlen diesmal.

Die Story, die Damien Hirst dem Publikum jetzt auftischt, geht so: Vor 2000 Jahren verfrachtete der größte Kunstsammler der antiken Welt – ein zu Geld gekommener ehemaliger Sklave aus Antiochien – all seine Objekte auf ein Schiff, das den Namen „Apistos“ trug, zu Deutsch: die Unglaubliche. Dieses sank vor Sansibar und wurde erst 2008 wieder entdeckt. Auf der Suche nach Sponsoren, die die Bergung finanzieren könnten, wandten sich die Forscher an Damien Hirst ...

Durch lange Einführungstexte muss sich hier niemand quälen, leicht verständlich wird die Lügengeschichte gleich am Eingang zu den Ausstellungen per Video verbreitet. Aufwendig ist die Produktion gemacht, in dem Film sieht man ein echtes Bergungsschiff im Meer, beobachtet Taucher bei der Arbeit, Fachleute beim Begutachten der Objekte. Wer genau hinsieht, bemerkt aber, dass die Unterwasseraufnahmen nur in geringer Tiefe gemacht wurden – weil das Sonnenlicht von oben stark einfällt. Dem aufmerksamen Betrachter wird auch schnell klar, dass die aus Gold bestehenden Artefakte nach 2000 Jahren auf dem Meeresboden wohl kaum bereits bei der Bergung so makellos glänzend aussehen dürften, wie im Film gezeigt wird.

Zehn Jahre soll Hirst an seiner Wunderkammer gearbeitet haben

Dass es sich bei dem 18-Meter-Dämon um die vieltausendfache Vergrößerung eines gefundenen Artefakts handelt, mag der Leichtgläubige noch akzeptieren. Auch die in klassischen Vitrinen ausgestellten Münzen und Schmuckstücke halten die Echtheitsbehauptung ebenso aufrecht wie die übergroßen Muscheln und die in griechischer Manier verfertigten Torsi, die teilweise noch mit den „originalen“ Muscheln und Korallen bedeckt sind. Merkwürdig ist es dann allerdings schon, dass eine Pharaobüste dem Sänger Pharell Williams erstaunlich ähnelt und die ägyptische Gottheit Aton dieselben Tätowierungen trägt wie Popstar Rihanna. Spätestens aber, wenn er auf Skulpturen mit Disney-Figuren trifft, wird auch dem letzten Besucher klar: Das hier ist alles Fake.

Die ganze, 189 Objekte umfassende Wunderkammer ist eine Ausgeburt von Hirsts Fantasie. Zehn Jahre will er daran gearbeitet haben – um just jetzt aktuelle Lügendebatten zu befeuern und der allgemeinen Leichtgläubigkeit den Spiegel vorzuhalten. Ist er also tatsächlich der Till Eulenspiegel von heute, ein Spaßmacher mit sozialkritischen Hintergedanken? Oder doch nur ein Clown, der Kunst und Kitsch nach Belieben mischt und dabei letztlich auf seinen eigenen Vorteil aus ist?

Vor zehn Jahren hat Hirst bei einer einzigen Auktion 111 Millionen Dollar eingenommen. Jetzt setzt er zum nächsten Coup an, wie ein Aktienhändler, der mit Hochrisikopapieren zockt – die von ihm selber ausgegeben werden. Denn obwohl der Besucher in Venedig 18 Euro Eintritt berappen muss, handelt es sich hier letztlich doch um eine reine Verkaufsausstellung. Und die Barbie-Frauen, die gegen den weißen Hai kämpfen, die Medusen und indischen Gottheiten, die Zyklopen, Buddhas, Einhörner und Mickey Mäuse finden tatsächlich ihre Abnehmer. Ein Großteil der gezeigten Artefakte sei sogar bereits vor dem Start der Show-Schau weggegangen, wissen Insider zu berichten. Zum Glück hat Damien Hirst vorgesorgt: Sämtliche Objekte sind jeweils in dreifacher Ausfertigung vorrätig.

Venedig, Palazzo Grassi und Punta della Dogana, bis 3. Dezember, Mi – Mo 10 – 19 Uhr, Infos: www.palazzograssi.it

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false