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dpatopbilder - HANDOUT - 06.12.2020, Schweden, Stockholm: Die US-amerikanische Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück

© dpa/Daniel Ebersole

Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück gestorben: Die schönen goldenen Tage der Hoffnung

Immer bereit zu einem Zwiegespräch mit ihren Lesern: Zum Tod der amerikanischen Lyrikerin, Essayistin und Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück. Ein Nachruf.

Als Louise Glück im Oktober 2020 erfuhr, dass sie den Literaturnobelpreis erhalten sollte, brauchte sie einige Zeit, um sich damit anzufreunden, um sich überhaupt darüber freuen zu können: „Das Licht war zu hell. Das Ausmaß zu groß.“ So formulierte die Dichterin das in ihrer Nobel-Lecture zwei Monate später.

Sie bekannte darin, sich von ihrer Jugend an immer zu Poemen hingezogen gefühlt zu haben. Vor allem zu solchen, die von intimen Absprachen bestimmt werden, von einer Zwiesprache zwischen Autor oder Autorin und Lesenden. Eins ihrer erklärten Vorbilder war Emily Dickinson, geradezu ein Mantra für sie die Dickinson-Zeile „I’m Nobody! Who are you?/Are you Nobody, too/ Then there’s a pair of us!/ Don’t tell!...“.

Auf „Mitverschwörer“ aus

Glück, die 1943 in New York City geboren wurde, ging es in ihren eigenen Gedichten um „Mitverschwörer“, um die Botschaft, dass bei der Lektüre ihrer Lyrik niemand allein sei, sich womöglich mit dem von ihr Geschriebenen identifizieren solle. Für sie war es das höchste Glück, wenn sich jemand in ihren Selbstbefragungen, in den stetigen Auseinandersetzungen mit ihrer Existenz wiedererkannte. Ein Ich, ein Du, am Ende ein Wir. In einem ihrer letzten Arbeiten heißt es über ein Kunstwerk: „Wir standen eine Weile schweigend, schauten es gemeinsam an.“

Aufgewachsen auf Long Island in bürgerlichen Verhältnissen, ihre Großeltern väterlicherseits waren aus Ungarn eingewanderte Juden, brachten ihr ihre Eltern früh die griechische Mythologie und klassische Stoffe nahe. Schon im Alter von fünf oder sechs Jahren veranstaltete Glück für sich Wettbewerbe von berühmten Gedichten und fing selbst an zu schreiben. 1968 erschien mit „Firstborn“ ihr erster Lyrikband, auf den so schnell aber kein zweiter folgte, weil sie anschließend unter einer schweren Schreibblockade litt.

Das nach innen gekehrte von Glücks Lyrik hat viel mit Erfahrungen aus ihrer Jugend zu tun: eine problematische Beziehung zu der Mutter, die sie mutmaßlich eine Magersucht entwickeln ließ; die Erkenntnis, dass es eine Erstgeborene gab, eine früh verstorbene Schwester, die sie nie kennengelernt hat – ein Tod, der das Elternhaus mit viel Trauer umgab. Glück bekannte: „Meine Interaktionen mit der Welt als soziales Geschöpf waren unnatürlich, gezwungen, und ich war am glücklichsten, wenn ich gelesen habe.“

Glücks Werk zeichnet sich denn auch durch eine ständige Suchbewegung nach ihrem Selbst aus. Mitunter ist es realistisch depressiv, geradezu klaustrophobisch. Und trotzdem: Wenn „alle Hoffnung (…) dahin zu sein“ schien, gab es da für sie immer einen Möglichkeitsraum: „Wir müssen zurück, wo sie verloren ging./ wollen wir sie wiederfinden.“

Es geht bei Glück um existentielle Bedrängnisse, um Geburt, Leben und Tod, um psychische Konflikte, um Einsamkeit, Ängste und düstere Ahnungen: „Und noch einmal wies ich auf den weiten Raum,/ der sich mit jedem Lebewohl vor uns auftat. Und mit jenem Satz wurde ich/ zum glorreichen Ritter, der in die untergehende Sonne reitet, und mein Herz/ wurde unter mir zu einem Ross.“

Natürlich findet sich vor diesem Hintergrund stets eine leidenschaftliche Hinwendung zur Natur. In ihrem Anfang der neunziger Jahre auch ins Deutsche übersetzten Band „Wild Iris“ fungiert unter anderen ein Gärtner als lyrische Ich, und auch Blumen bekommen eine eigene Stimme.  

Glück versuchte all diesem, einen universellen Charakter zu verleihen. Ihre Gedichte sind formal oft frei fließend, eher der Prosa zugewandt, als dass sie einer strengen lyrischen Form gehorchen, und vielfach doch komplex strukturiert.

Von den achtziger Jahren an wurde Glück zu einer der bedeutendsten Dichterinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Sie erhielt 1993 den Pulitzer Preis und 2014 den National Book Award, hatte zwanzig Jahre lang eine Dozentur am Williams College in Massachusetts inne, von den nuller Jahren an war sie Professorin in Yale. Fast schon ikonisch ist das Foto, das sie 2016 mit Barack Obama zeigt, als dieser ihr im Weißen Haus die National Humanities Medaille verleiht.

Nur ihr selbst war dieser Erfolg immer suspekt. Mit dem öffentlichen Leben konnte sie nichts anfangen. Weil dieses, so sagte sie es einmal, „die Präzision durch die Verallgemeinerung“ ausradiere und „Aufrichtigkeit durch Teilwahrheiten“ ersetze.

In den wenigen Jahren, die ihr nach der Verleihung des Literaturnobelpreises noch blieben, stand sie im Zwiegespräch mit letzten Dingen: „Die schönen goldenen Tage, als du bald sterben solltest“, beginnt ein Gedicht in dem vor zwei Jahren veröffentlichten Band „Winterrezepte aus dem Kollektiv“. In einem anderen darin heißt es: „Alles ist zu Ende, sagte ich (…) Und ist das der Fall, / hat es keinen Zweck etwas anzufangen, / nicht einmal einen Satz.“ Nun ist Louise Glück gestorben, wie ihr New Yorker Verleger Jonathan Galassi am Freitag mitteilte. Sie wurde 80 Jahre alt.   

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