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Literatur: Wenn einen die Angst am Denken hindert David Almond erzählt von starken Jungs

In der nördlichen Küstenregion Englands, genauer gesagt, im Felling der 60er Jahre, sind Davie und seine Freunde dabei, ihrer Kindheit zu entwachsen. Noch pflegen sie ihre Geheimverstecke, raufen sich nach festgelegten Ritualen mit Gegnern aus der Nachbarschaft und rauchen heimlich den Eltern entwendete Zigaretten, was samstags dann wiederum Pater O’Mahoney gebeichtet wird.

In der nördlichen Küstenregion Englands, genauer gesagt, im Felling der 60er Jahre, sind Davie und seine Freunde dabei, ihrer Kindheit zu entwachsen. Noch pflegen sie ihre Geheimverstecke, raufen sich nach festgelegten Ritualen mit Gegnern aus der Nachbarschaft und rauchen heimlich den Eltern entwendete Zigaretten, was samstags dann wiederum Pater O’Mahoney gebeichtet wird. Da Davie und sein bester Freund Geordie Craggs auch bei Beerdigungen und Hochzeiten ministrieren, scheint alles inklusive einzustreichender Trinkgelder in guter Balance zu sein. Doch seit Mouldy mitmischt, machen die Raufereien keinen Spaß mehr – Mouldy ist meist betrunken, überragt alle anderen um Haupteslänge und schlägt brutal zu. Davie und Geordie haben sich bereits darauf eingerichtet, Mouldy tagsüber auszuweichen und nachts von seinem Tod zu träumen. Als ein Junge namens Stephen auftaucht, scheint sich jedoch eine Lösung anzubahnen. Stephen vermag aus Tonerde nahezu lebensechte Figuren zu gestalten, ja er behauptet sogar, sie zum Leben erwecken und seinem Willen unterwerfen zu können. Alles nur Quatsch? Nachdem Mouldy tot aufgefunden wird, will Davie seiner ersten heimlichen Liebe Maria von den Erlebnissen mit Stephen erzählen – aber er weiß nicht, wie …

In der äußerst einfühlsamen Übersetzung von Ulli und Herbert Günther breitet der englische Autor eine Gefühlslandschaft existenzieller Bedrohung aus, die Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen anzurühren vermag. Almond greift eine Situation auf, die nahezu alle Kinder irgendwann einmal zu überstehen haben: Da ist dieses Monstrum in der Nachbarschaft, zumeist in der Gestalt eines Testosteron übersättigten, von kognitiver und emotionaler Intelligenz aber kaum erhellten Jungen, der seine Umgebung mit dem blanken Faustrecht drangsaliert. Freundlich zureden, aus dem Weg gehen, beten – nützt alles nichts, so ein Junge findet seine Opfer stets dann, wenn sie am hilflosesten sind. Die Hintergründe für die beschränkte Argumentationsweise eines solchen Jungen sind für seine Opfer kaum von Interesse, ist er doch der Grund dafür, dass sie selbst zuweilen jede Freude am Leben verlieren und dafür ja auch keine verständnisvollen Ansprechpartner finden – nicht zuletzt damals, als man gewisse Dinge noch unter dem Rubrum der „Ehre“ allein auszufechten hatte.

David Almond hat seine Geschichte in die Zeit seiner eigenen Jugend verlegt. Seine Protagonisten sind überzeugende Identifikationsfiguren und sprengen dennoch jede einfache Typisierung. Alle miteinander werden zu Teilhabern der universellen Umbruchssituation des Ich-Erzählers, die der Autor auf höchst originelle, jedoch nur in Maßen tröstliche Weise aufzulösen versteht. Ist der Glaube an Magie Kennzeichen der Kindheit, so zeichnet sich die Pubertät insbesondere durch Skepsis an allem Althergebrachten aus – diesen Spannungsbogen zieht Almond bis zum Anschlag durch und zeigt, wie leicht man trotz wachsender Skepsis zum Opfer eines „Zauberers“ werden kann, wenn einen die Angst am Denken hindert.Ulrich Karger



David Almond:
Lehmann oder Die Versuchung. Roman. Aus dem Englischen von Ulli und Herbert Günther. Hanser Verlag, München 2007. 237 Seiten. 14,90 Euro. Ab 14 Jahren.

Ulrich Karger

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