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Ein Getriebener der größeren Mächte: Jürgen Luh versucht, dem lange glorifizierten Großen Kurfürsten gerecht zu werden

Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst, brachte Brandenburg auf die Landkarte der europäischen Mächte.

Man tut sich schwer mit der Lektüre dieses Buches. Vor 400 Jahren wurde Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der „Große Kurfürst“, geboren, doch Jürgen Luhs Biografie ist alles andere als eine Festschrift. Der Preußenkenner, in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zuständig für Wissenschaft und Forschung, der schon den Mythos Friedrichs des Großen anlässlich dessen 300. Geburtstags 2012 mühevoll dekonstruierte, schreibt über weite Strecken, als führe er eine Privatfehde gegen den Mann, der als Begründer der Großmachtstellung Brandenburgs gilt. Wer von diesem Buch Panoramatik erwartet, nicht zuletzt eine Einfühlung in die frühneuzeitliche Lebenswelt während der Kleinen Eiszeit, wird enttäuscht werden.

Kind seiner Umstände

Nun gehören Erbauungsschriften nicht zum Aufgabenfeld eines Historikers. Dennoch darf man sich fragen, wieso Luh sich einen Gegenstand erwählt hat, an dem er so erkennbar wenig Freude hat. „Während jedermann“ – so heißt es beispielsweise – „klar erkannte, dass Friedrich Wilhelm sich und seine Möglichkeiten überschätzte und sich politisch als wenig klug und versiert erwies, fiel es ihm selbst äußerst schwer, sich das einzugestehen.“ Das klingt nach großer Enthüllung, ist aber eine Binse. Denn welcher Staatsmann handelte schon immer klug? Welcher Staatsmann wäre nicht Kind seiner Umstände und Bedingtheiten und seiner Charakterschwächen obendrein?

„Wenn er nicht“ – schreibt Luh an anderer Stelle – „impulsiv aus einer Laune heraus handelte und Für und Wider erwägen musste, tat sich Friedrich Wilhelm schwer, eine Entscheidung zu treffen.“ Auch das nichts Ungewöhnliches. Sein offensichtliches, schon im Untertitel angedeutetes Ziel, das immer noch vorherrschende, glorifizierende Bild des „Großen“ Kurfürsten als des eigentlichen Begründers preußischer Großmacht zu revidieren, hat Luh zweifellos erreicht. Doch auf welchem Weg?

Mal so, mal anders

Luh gibt sich als neutraler Auswerter der zeitgenössischen Quellen, wie es für den Historiker Pflicht ist. Aber ins Herz und Hirn Kaiser Leopolds, Marschall Turennes, der schwedischen Könige oder des Kurfürsten selber kann er so wenig schauen wie wir. Tatsächlich strotzt sein Buch vor Interpretation. Luh verkauft uns seinen Kurfürsten mal als ewig Düpierten, mal als den, der andere düpiert; mal als von Selbstzweifeln und Unsicherheit zerfressen, mal als überheblich und gerissen. Was denn nun? Seinem Anti-Helden attestiert der Autor „überzogenes Geltungsbedürfnis“ und spricht von seinem „immer wieder von dem Verlangen nach Gleichberechtigung, Anerkennung und Aufstieg geprägten Handeln“. Überrascht das beim Herrscher eines Landes, das vom Dreißigjährigen Krieg wie kaum ein anderes deutsches Territorium verwüstet worden war und sich überdies im geopolitischen Würgegriff der Regionalmächte Schweden und Polen befand?

Ein Blick in den Fußnotenapparat zeigt, dass sich Luh über weite Strecken an Hans Prutz, einem heute vergessenen antipreußischen Historiker der Kaiserzeit, orientiert. Luhs Erzählung ist nicht nur eintönig mäkelnd, sondern auch vorhersehbar und wenig originell. Nicht mehr ganz Junge mögen sich an Rudolf Augsteins „Preußens Friedrich und die Deutschen“ von 1968 erinnert fühlen, ein Remake des Habsburger-Parteigängers Onno Klopp aus den 1860er Jahren.

Kein unterdrücktes Kind

Für Luh ist Friedrich Wilhelm erst der verwöhnte Kurprinz, der ganz unhohenzollerisch „keine Unterdrückung und Misshandlung durch den Vater erfuhr“ – immerhin! –, dann ahnungsloser Regierungsnovize, sodann Getriebener seiner ihm überlegenen Frauen, erst der berühmten, frömmelnden Luise Henriette von Oranien, dann der energischen Dorothea von Schleswig-Holstein. Schließlich endet er ob des schmachvollen Friedens von Saint Germain-en-Laye 1679, bei dem er die den Schweden entrissenen Gebiete wieder hergeben musste, als ein verbitterter alter Mann.

Dass er immerhin 1675 die Schweden bei Fehrbellin vor Berlin abwehrte, muss einem im Jahr 2020 gewiss keine Fanfare mehr wert sein; eine halbwegs emotionslose Einordnung in die zeitgenössische Politik, in der mit der harten Währung kriegerischer Erfolge gezahlt wurde, würde genügen. Die legendäre Jagd über das Kurische Haff von 1679, mit der der Feldzug gegen die Schweden abschloss, wird im Buch erst gar nicht erwähnt.

Und die Sozialgeschichte?

Friedrich Wilhelm, so heißt es, „wollte nicht mehr der Spielball der Großen sein, der er nach eigenem Verständnis viel zu lange gewesen war“. Dass er mit seinem kümmerlichen Brandenburg am Ende in eine Art Hegemonialstellung viel eher hineinrutschte, statt einer eigenen grand strategy zu folgen, ist zwar richtig – nur hat Letzteres auch keiner je behauptet, außer den Vertretern jener mumifizierten Hohenzoller’schen Hofhistoriografie, an der Luh sich offenbar abarbeiten zu müssen glaubt.

Über den Menschen Friedrich Wilhelm und seine Zeit – und auch deren Sozialgeschichte – erfahren wir nur wenig. Luh schwenkt unaufhörlich den moralischen Zeigefinger, liefert aber schlussendlich eine hölzerne Geschichte der Haupt- und Staatsaktionen. Ja, es ist gut, dass historische Biografik keine nationalromantische Hagiografik mehr ist. Aber Denkmalkritik, so legitim sie ist, sollte nicht in Bildersturm ausarten.

Jürgen Luh: Der Große Kurfürst. Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Sein Leben neu betrachtet. Siedler Verlag, München 2020. 336 S. m. 6 Abb., 25 €.

Konstantin Sakkas

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