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Ein Kämpfer der Regierung Libyens während der Gefechte mit den Rebellen der „Libysch-Nationalen Armee“ (LNA) im Sommer 2019.

© picture alliance/dpa

Immer mehr irreguläre Konflikte in der Welt: Leicht zu umgehen

Tanisha M. Fazal hat Zweifel an der Wirksamkeit des Kriegsvölkerrechts

Fernsehzuschauer kennen die Formel „Unter den Waffen schweigen die Gesetze“ aus der Serie „Star Trek“. Juristen wissen, dass Cicero damit die Unwirksamkeit geltender Rechte im Krieg behauptet hat. Noch 1700 Jahre später ließ Thomas Hobbes das Diktum, obwohl er es abgedroschen nannte, nicht nur für das positive Recht gelten, sondern sogar für das ungeschriebene Naturrecht. Ganz anders Kant, der vom Naturrecht als Fundament ausging und selbst in „gerechten“ (die er verneinte) und Verteidigungskriegen auf dessen Geltung bestand.

So weit die Theorie. Konkret geworden in der Sphäre des Völkerrechts sind Kriegsrecht und Recht der Kriegsführung – „ius ad bellum“ und „ius in bello“ – erst im 19. Jahrhundert. Einseitige Regeln der Kriegsführung gab es zwar schon im amerikanischen Bürgerkrieg (den „Lieber Code“ der Nordstaatenarmee), aber das erste kodifizierte Kriegsrecht war die Pariser Seerechtsdeklaration 1856. Sie schützte im Kriegsfall Ladungen unter neutraler Flagge – außer Konterbande – und regulierte Seeblockaden feindlicher Küsten.

Allmähliche Rechtsbildung

Noch spektakulärer war die erste Genfer Konvention von 1864 mit der Einsetzung des „Roten Kreuzes“ in seine humanitären Schutzrechte. Weitere Beschränkungen bei Kampfeinsätzen wie das Verbot bestimmter Waffen und Angriffe oder der Bombardierung unverteidigter Siedlungen sowie die Behandlung von Kriegsgefangenen verfügten das Haager Abkommen von 1899 und seine Weiterentwicklungen. In Institutionen wie dem Internationalen Gerichtshof und den Vereinten Nationen fand das kodifizierte Völkerrecht auch transnationale Instanzen, allerdings ohne „starke Mechanismen“ zu seiner Durchsetzung. Schlimmer noch: Je strenger die Regulierung, desto größer wurde die Versuchung, statt erklärter Kriege verkappte, irreguläre Kriege zu führen.

Krieg findet nicht nur zwischen Staaten statt

An diesem Dilemma setzt die vorliegende Studie der amerikanischen Politologin Tanisha M. Fazal an. Sie trifft damit nicht nur einen blinden Fleck der einschlägigen Literatur, die meist auf zwischenstaatliche Kriege fixiert ist, sondern entwickelt auch überraschende Thesen über die Aus- und Nebenwirkungen des kodifizierten und institutionalisierten Völkerrechts. Danach wurden seit Gründung der Vereinten Nationen zwar 38 zwischenstaatliche Kriege geführt, aber nur zwei – der Koreakrieg und der zweite Golfkrieg – vom UN-Sicherheitsrat autorisiert. In den meisten übrigen Fällen erfolgte weder eine förmliche Kriegserklärung, noch ein Friedensvertrag als Selbstverpflichtung auf geltendes Kriegsrecht und die Haftung für Verstöße.

Das widerlegt für die Autorin die Schutzbehauptung, das regulierte Völkerrecht habe solche Formalitäten überflüssig gemacht. Stattdessen zögen es Krieg führende Staaten vor, ihre unerklärten Kriege als Selbstverteidigung, Polizeiaktion oder Terrorbekämpfung zu firmieren und sie mit diktierten Abkommen oder nachträglichen Referenden zu beenden. So die USA im Irak und Russland bei seiner Annexion der Krim durch verdeckte Kriegsführung in neutralen Uniformen. Und das sei nur eine der nicht intendierten Folgen einer immer strengeren Regulierung des Kriegsrechts und des Humanitären Völkerrechts. Geradezu paradox seien deren Nebenfolgen für Bürger- und Sezessionskriege, die Tanisha Fazal als bewaffnete innerstaatliche Konflikte in ihre Darstellung einbezieht.

Das Paradox der Rechtsbefolgung

Dort geht es den Rebellen, die um Oppositions- und Autonomierechte, Regime Change oder völlige Sezession kämpfen, um die Anerkennung der Völkergemeinschaft. Gegen ihren völkerrechtlich anerkannten Staat sind sie auf politische Legitimation und faktische Unterstützung von außen angewiesen – Waffenlieferungen, Zugang zu supranationalen internationalen Institutionen wie den UN und ihren Gliederungen. Deshalb neigen - so Fazal – „Kriegführende mit geringerer (oder ohne) Anerkennung eher dazu, sich an die entsprechenden Regeln zu halten als anerkannte Parteien, die eher nach Wegen suchen, deren Umsetzung zu umgehen“. Diese Strategie kann aufgehen, wie im Fall des Südsudan, oder scheitern, wie im Fall der Südmolukken, die 1950 den Vereinten Nationen sogar ihre Teilnahme am Koreakrieg anboten. Doch kurz vor ihrer Anerkennung beendete Indonesien ihre Sezession.

Tatsächlich kennen die UN zwar ein grundsätzliches Selbstbestimmungsrecht, aber kein Recht auf einseitig erklärte Unabhängigkeit. In zahlreichen Fällen – Fazal belegt ihre Thesen auch statistisch – kam es zwar zu internationalen und, am wirksamsten, multilateralen Vermittlungen von Waffenruhen und Friedensabkommen. Aber deren Bilanz für Rebellen und Unabhängigkeitskämpfer ist zwiespältig. Eine Fachkollegin von Tanisha Fazal, Monica Duffy Toff, kam 2003 zu dem Schluss, dass solche Vereinbarungen „sehr viel seltener für einen dauerhaften Frieden sorgen als militärische Siege, insbesondere Siege von Rebellengruppen.“ Möglicherweise hat der IS, dessen Aufstieg und Fall Fazal nicht mehr berücksichtigt, daraus die Schlussfolgerung gezogen, reguliertes Kriegsrecht und humanitäres Völkerrecht zu missachten.

Tanisha M. Fazal: (Kein) Recht im Krieg? Nicht intendierte Folgen der völkerrechtlichen Regelung bewaffneter Konflikte. A. d. Engl. v. E. Heinemann u. U. Schäfer. Hamburger Edition, 2019. 418 S., 35 €.

Hannes Schwenger

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