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Ehemaliger Wachturm der DDR-Grenztruppen am Schlesischen Busch im Grenzstreifen zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Kreuzberg.

© Thilo Rückeis

Grenztruppen der DDR: „Gegen Verräter ist die Schußwaffe anzuwenden“

Jochen Maurer hat den Dienst und Alltag der DDR-Grenztruppen untersucht. Eine Rezension.

Dass der Dienst an der Staatsgrenze der DDR „mit vielen Bewährungssituationen verbunden“ war, kann man auch Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer nachvollziehen. Aber was meinte Generalleutnant Klaus-Dieter Baumgarten als Chef der Grenztruppen wohl mit seinem Nachsatz in einer Broschüre für Laufbahnbewerber: „Und auch ein Stück Romantik gibt es im Grenzeralltag“?

Nichts davon findet sich in der Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr über die Grenztruppen der DDR. Zwar gab es nicht nur den physisch und psychisch belastenden Dienst zur „Grenzsicherung“ – vom routinemäßigen „Grundbetrieb“ bis zur „gefechtsmäßigen Grenzsicherung“ –, sondern auch den Dienst an der „grünen“ und an der „nassen“ (See-)Grenze und die bloße „Grenzüberwachung“ ohne Schusswaffengebrauch an der „Friedensgrenze“ zu Polen und der Tschechoslowakei. Aber mit Dienstzeiten von bis zu 79 Stunden für Offiziere und ständigen Problemen mit Wohnraum und passenden Arbeitsplätzen für Familienangehörige war die Berufslaufbahn als Grenzer so wenig attraktiv, dass bei Offizieren und Unteroffizieren ständig Personal- und Nachwuchsmangel herrschte.

Im Grenzdienst herrschte mehr Misstrauen als Kameradschaft

Zwar wurden seit Einführung der Wehrpflicht 1962 mehrheitlich Wehrpflichtige zu den Grenztruppen gezogen. Aber deren Einweisung erforderte nicht nur militärischen Drill, sondern auch ideologische „Filtrierung“, Überwachung und Kontrolle durch Personal der Staatssicherheit, das unter dem Decknamen „Verwaltung 2000“ in Uniformen der Grenztruppen Dienst tat und sowohl Inoffizielle Mitarbeiter als Spitzel in der Truppe als auch „Freiwillige Helfer der Grenztruppen“ (FHG) aus der grenznahen Bevölkerung rekrutierte. Die wehrpflichtigen Rekruten im Grenzdienst wurden von ihnen nach Kategorien A,B und C (positiv, schwankend und negativ) vorsortiert: Die Abfertigung an den Grenzübergangsstellen (GÜSt) lag vollständig in ihren Händen, seit das Grenzregime von der früheren Grenzpolizei auf die Armee und die Staatssicherheit übergegangen war. Natürlich entging den wehrpflichtigen Grenzsoldaten die Beaufsichtigung durch die Stasi nicht, sodass im Grenzdienst mehr Misstrauen als Kameradschaft herrschte.

Unbehagen und Unsicherheit empfanden die Grenzer auch gegenüber ihren zivilen Landsleuten: Außer Dienst entfernte mancher Verdienstmedaillen und Schützenschnüre von der Uniform, um nicht als Scharf- und Mauerschütze erkannt zu werden. Für viele von ihnen war die Erkenntnis demotivierend, die Staatsgrenze der DDR nicht gegen den „imperialistischen Gegner“, sondern flüchtende Mitbürger zu verteidigen. Kein Wunder, dass es auch unter ihnen zu Fahnenflucht, Suiziden und Sabotage des ihnen eingeschärften Schießbefehls kam. Obwohl dessen Existenz von ihren ehemaligen Vorgesetzten bis heute geleugnet wird, ist im Protokoll einer Lagebesprechung des zentralen Stabs von 1961 nachzulesen: „Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schußwaffe anzuwenden.“ Ausgesetzt wurde dieser Befehl erst 1989, wenige Monate bevor Mauer und Grenzregime fielen.

Jochen Maurer: Halt – Staatsgrenze! Alltag, Dienst und Innenansichten der Grenztruppen der DDR. Ch.Links, Berlin 2015. 492 Seiten, 50 Euro.

Hannes Schwenger

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