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Der Checkpoint Charlie kurz nach dem Mauerbau.

© ullstein bild - Jung

Eine Geschichte des Kalten Krieges: Eine Welt in zwei Blöcken

Odd Arne Westad nimmt endlich den gesamten Globus in den Blick

Von Hans Monath

Die Welt sei aus den Fugen, hat der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon vor Jahren gewarnt, und seitdem ist wenig besser geworden: Populisten und Nationalisten trumpfen auf, globale Ordnungsprinzipien erodieren, Autokraten müssen immer weniger mit Gegenmächten rechnen und können deshalb zunehmend ungestört ihre Macht entfalten. Aber war die Zeit vor der großen Unordnung, war der Kalte Krieg, der die Welt in zwei Blöcke teilte, wirklich besser?

Zumindest Europa hat die globale Gegnerschaft von USA und Sowjetunion „fast 50 Jahre Frieden geschenkt, einen Zustand, den es in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht gekannt hatte“, urteilt der norwegische Historiker Odd Arne Westad in seinem Buch „Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte“. Aber es war ein prekärer Frieden, denn mehrfach stand die Welt am Rande eines nuklearen Krieges, etwa während der Berlin-Blockade, des Koreakriegs, der Kubakrise oder auch des Jom-Kippur-Kriegs.

Eine Welt in Schwarz und Weiß

Und nicht nur Ost-Deutschland und andere Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den sowjetischen Machtblock und das Wirtschaftssystem des Warschauer Paktes integriert wurden, verloren Selbstständigkeit und Freiheit sowie ökonomische Entwicklungschancen. Auch sehr viele Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika wurden in den globalen Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus hineingezogen, mussten oder wollten mitstreiten im Ringen der beiden Denk- und Machtsysteme, statt sich auf die eigene Entwicklung konzentrieren zu können, was sich für ihre eigenen Bürger verheerend auswirkte: Die Auseinandersetzung der Supermächte hinterließ ihnen Hunger, Krankheit, Unwissenheit und Ungerechtigkeit.

Der Autor tendiert also keineswegs dazu, den Kalten Krieg oder dessen Erbe schönzureden. Die Konfrontation von USA und Sowjetunion habe dazu beigetragen, „eine von den Supermächten dominierte Welt zu zementieren, eine Welt, in der Macht und die Androhung von Gewalt zum Maßstab internationaler Beziehungen wurden und in der Überzeugungen zum Absoluten tendierten. Nur das eigene System war gut, das andere war von Grund auf böse“, schreibt er. Auf dieser Art von Absolutheit beruhe das Erbe des Kalten Krieges zum Großteil, die sich in ihren schlimmsten Ausprägungen noch in den amerikanischen Kriegen im Iran und Afghanistan studieren lasse.

Die schnelle Entfremdung

Zumindest dem historisch interessierten deutschen Leser dürften viele der Stationen der Entwicklung des Kalten Krieges mit Auswirkungen auf den europäischen Schauplatz bekannt sein, die der Professor für internationale Beziehungen und Globalgeschichte an der Kennedy School of Government in Harvard mit Kenntnis, Geschick und Schreibfreude nachzeichnet.

Das beginnt bei der gegen die jeweiligen Ideologien erzwungenen Zusammenarbeit der USA und der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland und Japan, führt über den rasch einsetzenden Entfremdungsprozess nach 1945, die Teilung Deutschlands, den Mauerbau und die Entspannungspolitik zur Phase der Rüstungskontrollverträge, zum Zusammenbruch der DDR und schließlich dem der Sowjetunion unter der Führung von Michail Gorbatschow.

Was geschah außerhalb Europas?

Neu für viele deutsche Leser, die nicht jeden Tag Spezialliteratur studieren wollen, dürften hingegen das Interesse und die Hingabe sein, mit der sich dieses Buch der Entwicklung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas im Kalten Krieg widmet. Auch die Kolonialgeschichtsschreibung behandelt die Kolonisierten neuerdings nicht mehr nur als bloßes Objekt fremder Mächte, sondern fragt nach ihrer jeweiligen Reaktion auf die Begegnung mit den Europäern, ohne die das Bild der Kolonialgeschichte unvollständig bliebe. Es gab nicht nur die eine Seite – die Entwicklung wurde durch Aktion und Reaktion vorangetrieben.

Westad geht ähnlich vor. Er beschreibt Entscheidungen und Handlungen von Ländern wie China, Indien, Indonesien, Kuba, Vietnam, Südafrika, Brasilien, Ägypten, Iran oder Afghanistan gegenüber den Angeboten oder Drohungen der USA und der Sowjetunion. Zwar verwendet das Buch den Begriff „Dritte Welt“ durchgängig ohne Anführungszeichen und setzt sich damit dem Verdacht einer eurozentrischen Weltsicht aus.

Doch davon ist sein Autor in Wirklichkeit weit entfernt. Auch die Entwicklungsländer sind für ihn Akteure mit eigenem Recht und eigenem Handlungsspielraum, was das Bild des Kalten Krieges breiter und vielschichtiger macht, als es vielen Lesern bisher bekannt gewesen sein dürfte. Den Untertitel „Eine Weltgeschichte“ hat Westad seinem Buch hart erarbeitet – und er ist wohlverdient.

Sonderfall China

Besonders fesselnd fällt die Beschreibung der Entwicklung Chinas nach 1945 aus. War die KP Chinas anfangs von Stalins zentral gelenktem Sowjetsystem kritiklos begeistert, brach Mao später mit seinen Mentoren in Moskau. Keine Konkurrenz mehr für den Führungsanspruch der Sowjetunion stellte China spätestens nach Ausbruch der Kulturrevolution mehr dar. Das Land musste im 20. Jahrhundert aber einen fürchterlichen Preis zahlen, bevor es in jüngster Zeit zur ökonomischen und politischen Supermacht aufstieg. Westad: „Nach neuesten Schätzungen kamen zwischen den zwanziger und den achtziger Jahren 77 Millionen Chinesen im Gefolge von Kriegen und politischer Verfolgung ums Leben, und der Großteil davon wurde von anderen Chinesen getötet.“

Dre "Triumphalismus" der USA

Das Buch liest sich umso spannender, je näher es der Gegenwart kommt. Gerade wo es um Verhandlungen von Ronald Reagan oder George W. Bush dem Älteren mit Sowjetführern oder das Ende der Sowjetunion geht, beschreibt der norwegische Autor nicht nur dynamische Entwicklungen, sondern zeichnet feine Miniaturen von Persönlichkeiten und präsentiert erstaunlich aussagekräftige Funde aus amerikanischen, sowjetischen beziehungsweise russischen Archiven. Der Nordeuropäer Westad befleißigt sich über weite Strecken einer angenehm angelsächsischen Nüchternheit und Fairness, ohne zugespitzte Urteile zu scheuen.

Zum Erbe des Kalten Krieges gehört, dass die USA heute ein hochgerüsteter Staat sind, der für mehr als ein Drittel der weltweiten Militärausgaben geradesteht. Schlimmer wiegt für den Autor, dass die USA schlicht vergessen haben, dass Ende des 20. Jahrhunderts die Bereitschaft zu verhandeln einmal eine wichtige Waffe im amerikanischen Arsenal gewesen ist.

Im Triumphalismus über ihren Sieg hätten die USA „die wichtigsten Lehren aus ihrem Verhalten im Kalten Krieg nicht genutzt (…), um ihre Rolle in der Ära nach dem Kalten Krieg optimal zu gestalten“. Stattdessen hätten sie sich wie eine Supermacht im Niedergang verhalten: „Sie führten erfolglose, nutzlose Kriege in weit entfernten Regionen und verwechselten dabei kurzfristige Sicherheit (oder sogar Bequemlichkeit) mit langfristigen strategischen Zielen.“

Der Ewige Friede ist so fern wie je

Für die Fehlschlüsse der Deutschen aus dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung, die viele hierzulande von der Durchsetzung des ewigen Friedens auf dem Globus träumen ließen, interessiert sich der Autor weniger. Aber das schmälert nicht sein Verdienst, ein beeindruckendes Buch vorgelegt zu haben, mit dem sich die Entwicklung unserer Welt bis in die Gegenwart weitaus besser als bislang verstehen lässt.

Odd Arne Westad: Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Hans Freundl. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2019. 763 S., 34 €.

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