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"Mein Kampf" neben einer Büste von Adolf Hitler.

© dapd

Die Geschichte von Hitlers "Mein Kampf": Einst Pflichtlektüre

Damals ein Bestseller, bald als Neuausgabe: Sven Felix Kellerhoff beschreibt in seinem Buch die „Karriere eines deutschen Buches“. Eine Rezension

Über ein Lieblingsbuch Adolf Hitlers, die sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“, schrieb die Historikerin Eva Horn, das ominöse Werk sei „wie die Werke von Marx, Machiavelli, Freud oder auch wie die Bibel und der Koran einer jener Klassiker, von denen man immer schon weiß oder besser: zu wissen glaubt, was darin steht und was man davon zu halten hat“. In ihrer Aufzählung fehlt nur ein weiteres Buch, Adolf Hitlers eigenes Werk „Mein Kampf“. Tatsächlich ist das 800-Seiten-Opus trotz des Nachdruckverbots in Deutschland seit 1945 „immer noch das Originalwerk eines Autors deutscher Sprache mit der höchsten jemals verbreiteten Auflage“. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff, der seine Entstehung, Verbreitung und Rezeption als Karriere eines deutschen Buches beschreibt, schätzt seine Gesamtauflage auf 12,4 Millionen, seine Verbreitung im Internet und als E-Book bei Amazon und im iTunes Shop von Apple nicht mitgerechnet.

Dass Heß das Buch mitverfasst habe, entkräftet Kellerhoff als Legende

Die Wortwahl von der höchsten jemals verbreiteten Auflage ist wohlbedacht, denn ob es auch das meistgelesene Buch eines Autors deutscher Sprache ist, wird – auch von Kellerhoff – bezweifelt. Schätzungen, die auf alliierten Befragungen nach 1945 beruhen, schwanken um die 20 Prozent und 30 Prozent der damals erwachsenen deutschen Bevölkerung, die es ganz oder teilweise gelesen haben wollten. Zählt man die im Krieg gefallenen Leser hinzu, die mit einer Dünndruckausgabe für die Front beglückt wurden, kannten nach alliierter Schätzung „wenigstens 12 Millionen Deutsche Hitlers Buch aus eigener Anschauung und mehr als nur oberflächlich (…) In fast zwei Dritteln der 1939 rund 21 Millionen Haushalte Deutschlands lebte also jemand, der wenigstens etwas ausführlicher in Hitlers Buch hineingeschaut hatte“. Damit sei es, schreibt Kellerhoff, „allen anderslautenden späteren Schutzbehauptungen zum Trotz“ jedenfalls kein ungelesener Bestseller gewesen.

Aber war es überhaupt ein Bestseller, den zwar Parteigenossen als eine Art Pflichtlektüre anschafften, aber auch unfreiwillige Leser als Hochzeitsgeschenk vom Standesbeamten erhielten? Wie freiwillig erwarben Schüler das Buch als Unterrichtsstoff oder Beamte in Görings preußischer Polizei, die per Erlass und mit Fristsetzung zur Lektüre verdonnert wurden? Zwar waren schon 1933 eine Million Exemplare verbreitet, aber zu galoppieren begannen die Auflagen erst 1933 nach Hitlers Kanzlerschaft. Und ob verkauft oder von Amts und Partei wegen verbreitet, sein Autor verdiente an jedem Exemplar Honorar. Und zwar Jahr für Jahr mehr als eine Million Reichsmark, schätzt Kellerhoff, auf die er als Führer und Reichskanzler keine Steuern mehr zahlte. Das war vor 1933 anders, auch wenn er dabei ziemlich großzügig Schreib- und Lektoratsarbeiten seiner Sekretärin und seines Vertrauten Rudolf Heß als „Werbekosten“ absetzen durfte. Dass Heß das Buch während Hitlers Haft in Landsberg als Mithäftling mitverfasst habe, entkräftet Kellerhoff als Legende. Hitler tippte den ersten Band eigenhändig in seiner Zelle und diktierte auch in Freiheit den zweiten Band persönlich. Hess, dem er in Landsberg aus seinen Schriften vorlas, lud er immerhin „feierlich zum gemeinsamen Durchkorrigieren“ ein.

Durchkorrigiert, stilistisch und inhaltlich frisiert wurde es durch sämtliche Auflagen, bei Bedarf auch „entschärft“ wie für eine französische Ausgabe, in der die schlimmsten Tiraden gegen den „Erbfeind“ getilgt wurden. Überhaupt sind die Auslandsausgaben – und so auch bei Kellerhoff – ein Kapitel für sich, weil sie nur zum Teil in deutscher Regie, zum anderen Teil als ungenehmigte Nachdrucke erschienen. In der Sowjetunion sogar in persönlicher Übersetzung durch Grigori Sinowjew, die auch Stalin selbst studiert haben soll – bevor er Sinowjew den Prozess machen ließ.

Sven Felix Kellerhoff: „Mein Kampf“. Die Karriere eines deutschen Buches. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 364 Seiten, 22,95 Euro.
Sven Felix Kellerhoff: „Mein Kampf“. Die Karriere eines deutschen Buches. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 364 Seiten, 22,95 Euro.

© Klett-Cotta

Kellerhoffs aus vielen Quellen kompiliertes Buch ist voll solcher Anekdoten, auch wenn ihm die eine oder andere entgangen ist wie ausgerechnet die Ausgabe im faschistischen Italien. Der Rezensent hatte vor Jahren ein Exemplar davon in der Hand, mit einem Einband und Schutzumschlag in futuristischer Ausstattung, die Hitler „entartet“ anmuten musste. Er bevorzugte – bis 1941 – Frakturschrift, Goldprägung und Hakenkreuzdekor.

Kellerhoff, der für deutsche Leser, die erst nach dem Ende der Urheberschutzfrist im kommenden Jahr auf eine deutsche Neuausgabe rechnen (oder sie ignorieren) dürfen, eine sachlich kurze Zusammenfassung des Inhalts von „Mein Kampf“ mitliefert, enthält ihnen auch sein eigenes Urteil nicht vor. Hitlers Werk sei „ein wirres und gleichzeitig vielfach redundantes Buch“. Gleichwohl enthält es, neben seinen durch neue Forschungen widerlegten autobiografischen Legenden Hitlers, die Grundlinien seines politischen Lebensprogramms, insbesondere seine Hauptintentionen: Antisemitismus bis zur Vernichtung, Gewinnung von „Lebensraum“ im Osten Europas und Vernichtung des Bolschewismus, Schaffung eines großgermanischen Reiches deutscher Nation. (Der Terminus „germanische Demokratie“ verschwand in späteren Auflagen zugunsten „unbedingter Autorität“.) Für dieses Ziel setzte er auf eine Eindämmung Frankreichs und eine Verständigung mit England über geopolitische Interessen.

Eine illusionäre Rechnung, die nicht aufging. Wer wird das, außer Historikern und unbelehrbaren Alt- und Neonazis, also noch nachlesen wollen? Angekündigt sind für eine wissenschaftliche Ausgabe mit Kommentar schon einmal 2000 Seiten. Kellerhoff kommt für seinen Schnelldurchgang mit Vor- und Nachgeschichte dieses „deutschen Buches“ auf „nur“ knapp 400 Seiten.

– Sven Felix Kellerhoff: „Mein Kampf“. Die Karriere eines deutschen Buches. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 364 Seiten, 22,95 Euro.

Hannes Schwenger

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