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Volkskongress in Peking

© Foto: kyodo/dpa

Chinas Weltpolitik: Als Vorbild gilt uns Dschingis Khan

Matthias Messmer und Hsin-Mei Chuang erkunden China an seinen Rändern

Seine längste Grenze hat China mit der Mongolei: Sie ist 4700 Kilometer lang – und trennt zwei Staaten, deren Geschichte eng und manchmal auf geradezu kuriose Weise miteinander verbunden ist. Dass die Yuan-Dynastie im 13. und 14. Jahrhundert eine Zeit mongolischer Fremdherrschaft war, hat die chinesische Geschichtsschreibung nicht davon abgehalten, sie der eigenen Zivilisation einzuverleiben. „Der erfolgreiche militärische Expansionismus der Yuan-Dynastie wird in China sogar gefeiert“, schreiben Matthias Messmer und Hsin-Mei Chuang in ihrem Buch „China an seinen Grenzen“.

Das Mausoleum von Dschinghis Khan – für die Mongolen ist der Krieger das Symbol ihres Nationalstolzes – befindet sich auf chinesischem Territorium, in der autonomen Region Innere Mongolei. Die bewusst zur Schau gestellte Verehrung des Eroberers solle nicht nur Pekings vermeintliche Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten zeigen, so Messmer und Chuang, sie „spornt die Regierung auch an, genauso mächtig zu werden, wie es Dschinghis Khan mit seinem Reich einst war“. In der Mongolei selbst betrachtet man den immer stärker werdenden Nachbarn mit Sorge, an den doch andererseits der übergroße Teil der Exporte geht. Ein Gefühl von Bedrohung und Unterlegenheit, das offenbar eine „grassierende Sinophobie“ speist: „Chinese“ ist ein alltägliches Schimpfwort, selbst rassistische Übergriffe auf Chinesen hat es in der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator schon gegegeben.

Die Peripherie verrät vieles

Der wachsende internationale Einfluss des Reichs der Mitte, politisch wie wirtschaftlich wie kulturell, beginnt an seinen Rändern. Das ist nicht nur im Falle der Mongolei so. Insofern haben Matthias Messmer, unter anderem Autor für die „Neue Zürcher Zeitung“, und die taiwanische Kulturwissenschaftlerin HsinMei Chuang einen unkonventionellen, aber gerade deshalb hochinteressanten und klugen Ansatz gewählt, China und seinen Aufstieg zu verstehen. Sie halten sich fern von den Zentren der Macht, erkunden stattdessen die Peripherie des riesigen Landes. „China grenzt aktuell an 14 souveräne Staaten“, schreiben sie, „damit hat es mehr Nachbarn denn jedes andere Land, abgesehen von Russland.“

Beginnend an der Grenze zu Nordkorea umrunden Messmer und Chuang China einmal entgegen dem Uhrzeigersinn. Von Russland führt der Weg nach Kasachstan, von Afghanistan nach Indien und Bhutan, von Myanmar bis nach Vietnam und zu den ökonomisch einflussreichen chinesischen Communitys in Südostasien. Was verraten die Beziehungen zu den Nachbarn über das chinesische Selbstverständnis? Wer sind Verbündete, wer Rivalen – und warum? Wie stark werden historische Konflikte im Grenzland die Zukunft des kommunistischen Großreichs beeinflussen? Und ist ein friedlicher Aufstieg, wie ihn die Führung in Peking immer wieder beschwört, wahrscheinlich?

Pakistan, der "Allwetter-Partner"

Um sich den Antworten auf diese Fragen zu nähern, verweben die beiden Autoren Eindrücke von vor Ort mit Exkursen zu Geschichte und aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Ein wenig erinnert diese Mischung an Texte der verstorbenen Reporterlegende Peter Scholl-Latour, wenngleich Messmer und Chuang sich mit persönlich gefärbten Deutungen und Prophezeiungen zurückhalten.

Kühe auf der stillgelegten Ringeisenbahn in Karatschi.
Kühe auf der stillgelegten Ringeisenbahn in Karatschi.

© Ppi / dpa

Wirken die Berichte von ihren Reisen entlang der Grenze manchmal etwas beliebig, und hätte einigen Passagen des Textes eine sprachliche Überarbeitung gutgetan, so ist die Sachlichkeit – neben der ungeheuren Dichte an Informationen – die Stärke des Buches. Messmer und Chuang benennen und beschreiben etwa historische Animositäten oder die Machtpolitik Pekings, ohne dabei in wohlfeiles Moralisieren und allzu schlichte Schwarz-Weiß-Muster zu verfallen. Insgesamt ist ihnen mit „China an seinen Grenzen“ eine beeindruckende Überblicksdarstellung gelungen, die nicht nur prominentere geopolitische Schauplätze wie das Südchinesische Meer oder die Koreanische Halbinsel in den Blick nimmt, sondern auch solche, die medial weniger Aufmerksamkeit erhalten.

Eben zum Beispiel die Mongolei. Oder Pakistan, das von China als „strategischer Allwetter-Partner“ geschätzt wird. Die Freundschaft mit dem Land beschrieb der frühere Präsident Hu Jintao einmal als „höher als der Himalaja, tiefer als der Indische Ozean und süßer als Honig“. Sie gründet nicht allein in der verbindenden Abneigung gegen Indien.

Taiwan sperrt sich

Pakistan ist seit Langem Ziel chinesischer Investitionen, darunter in gewaltige Infrastrukturprojekte. Doch die wohlkalkulierte wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit geht nicht einher mit einem Austausch auf kulturellem Gebiet. „Chinas Soft-Power-Strategie hat eben auch ihre Grenzen, die sich aus ihrem pragmatischen Ansatz des Gebens und Nehmens erklären“, urteilen Messmer und Chuang.

Demonstration für Taiwans Unabhängigkeit, 2018.
Demonstration für Taiwans Unabhängigkeit, 2018.

© Chen Chiau-ge/dpa

Nennenswerte Soft Power kann Peking auch nicht auf Taiwan entfalten. Jene Insel, die China als „abtrünnig“ betrachtet – und die für die kommunistische Führung ideologisch eine veritable Gefahr darstellt, weil sich auf ihr eine lebendige Demokratie entwickelt hat. Gleichzeitig sind die Taiwaner wirtschaftlich zunehmend abhängig vom Festland. Auch hier zeigt sich ein Muster, das man an vielen Stellen entlang der Grenze beobachten kann: China wird mächtiger, populärer wird es nicht. Björn Rosen

Matthias Messmer, Hsin-Mei Chuang: China an seinen Grenzen. Erkundungen am Rand eines Weltreichs Übers. a.d. Chines. v. Ingrid Fischer-Schreiber. Reclam Verlag, Stuttgart 2019. 319 S., 48 Abb., 13 Kart., 28 €.

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