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Glienicker Brücke zu Mauerzeiten, mit Schlagbaum und Grenzer.

© privat

Agenten, die im Dunkeln tappen: Nichts gewusst vom Mauerbau

Ronny Heidenreich kommt zu einem vernichtenden Urteil über die DDR-Spionage des BND

Am 1. Juli 1960, ein Jahr vor dem Bau der Berliner Mauer, musste die Technikabteilung des Bundesnachrichtendienstes eingestehen, dass sie über zu wenige Funkstationen verfügt, um alle Meldungen von Agenten und V-Leuten in der DDR aufzuzeichnen und zu entschlüsseln. Das sei frühestens 1962 möglich, während bei einer plötzlichen Abschnürung West-Berlins mit „unheilvollen Störungen in der Führung und Meldungserstattung unserer Quellen“ zu rechnen sei. Was denn geschehen solle, wenn „die Totalzernierung Berlins vorher erfolgt?“

Die Antwort Reinhard Gehlens hat ein Mitarbeiter schriftlich festgehalten: „Dann sind wir verratzt. Aber sagen Sie das niemandem.“ Wenn es nach Gehlen gegangen wäre, wäre dieses Eingeständnis ebenso unter Verschluss geblieben wie die gesamten Unterlagen des BND und seines Vorläufers bis 1955, der „Organisation Gehlen“. Bis dahin hatte sie unter amerikanischer Kontrolle, aber schon in verdecktem Zusammenspiel mit dem Kanzleramt als geheimer deutscher Nachrichtendienst gearbeitet. Noch in seinen Erinnerungen „Der Dienst“ bestritt Gehlen, seinen Spionageauftrag durch innenpolitische Aufklärungsarbeit, „welche Aufgabe des Verfassungsschutzes ist“, überschritten zu haben. Er vertraute dabei auf die ewige Geheimhaltung der BND-Akten, die jedoch seine Memoiren als „Lügenbrevier“ (Klaus-Dieter Henke, Geheime Dienste, Berlin 2018) entlarven.

Nur hohe Funktionäre wussten Bescheid

Tatsächlich haben aber beide Organisationen – BND und Bundesverfassungsschutz – Nachrichten in beiden Teilen Deutschlands gesammelt. Der Verfassungsschutz war wahrscheinlich sogar erfolgreicher als Gehlen, wie sich der Historikerstudie über den BND indirekt entnehmen lässt, die einen Seitenblick auf das Wechselspiel der Dienste, ihre geheime Konkurrenz und widerwillige Kooperation erlaubt. Auch der Verfassungsschutz sah sich für die Aufklärung der DDR zuständig, die aus Sicht der Bundesrepublik als Inland betrachtet wurde. Anders als der BND, der von Doppelagenten des KGB irregeführt wurde, Chruschtschow habe Ulbricht den geplanten Mauerbau untersagt, wusste der Verfassungsschutz im August 1961 von den militärischen Vorbereitungen in der Ost-Berliner Innenstadt am Vorabend des Mauerbaus.

Gehlens eigene Rechtfertigungsversuche im ersten Wochenbericht nach dem 13. August fehlen sowohl in den Akten des BND wie im Bundesarchiv. Adenauers Darstellung im Bundestag, die „Zonenmachthaber“ hätten den Mauerbau erst am Vorabend beschlossen, seien „von Pullach diktiert worden“, bezeugt Gehlens Leiter der Aufklärung Kurt Weiß. Gehlen selbst behauptet in seinen Memoiren, Chruschtschows Einverständnis mit dem Mauerbau gekannt zu haben, nur den „Stichtag“ nicht. Der sei „nur wenigen Spitzenfunktionären bekannt“ und deshalb nicht zu ermitteln gewesen.

Leere Versprechungen

„Nichts an dieser Darstellung ist zutreffend“, kommentiert der Historiker Ronny Heidenreich in seiner umfangreichen Studie. Sie schließt mit einem Ausblick auf Gehlens letzte Dienstjahre bis 1968 und die komplette Reorganisation des BND durch seinen Stellvertreter und Nachfolger Gerhard Wessel.

An Gehlens Versprechungen, der amerikanischen Militäraufklärung mit seinem Netz von angeblich 2000 V-Leuten ein „fast lückenloses Bild“ der sowjetischen Besatzungskräfte zu liefern, gab es schon 1947 erste Zweifel, als die Sowjets 20 000 angebliche Spione und „verdächtige Elemente“ verhafteten. Wenig später zerschlugen sie zwei Kerngruppen von Gehlens Netzwerk. Das amerikanische Oberkommando EUCOM wies die eigene Militäraufklärung an, den Ausfall zu kompensieren, und stellte die Zahlungen an Gehlens Organisation ein.

Agenten und Doppelagenten

Glücklos blieb auch Gehlens Gegenspionage, als es dem neu gegründeten Ministerium für Staatssicherheit gelang, mit zwei Aktionen fast ihr gesamtes Netzwerk in der DDR zu sprengen und zur Abschreckung Schauprozesse mit Todesurteilen vorzuführen. Danach war es Gehlens Diensten nur noch möglich, Standorte und Aktivitäten von Militär und Staatssicherheit in der DDR durch Funküberwachung und „Außenquellen“ in der DDR zu beobachten. Eine Ausnahme bildete die Wirtschaftsspionage, die durch die destruktive Wirtschaftspolitik der SED und den Interzonenhandel begünstigt wurde. Nur als Trittbrettfahrer konnte der BND Erkenntnisse anderer Dienste und Organisationen nutzen wie der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, des „Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen“ und der Flüchtlingsbefragungen durch Verfassungsschutz und Alliierte.

Vermeintliche „Innenquellen“ im Partei- und Staatsapparat der DDR stellten sich als verdeckte Einflussagenten heraus. Die beiden trügerischen „Spitzenquellen“ am 13. August, der Leiter des „Verlags der Nation“, Günter Hofé, und der frühere Funktionär der Ost-CDU Willi Leisner, waren Konfidenten des KGB, Hofés „Agentenführer“ beim BND, Heinz Felfe, sogar als Doppelagent Leiter von Gehlens Gegenspionage. Ihren Auftraggebern waren sie so wertvoll, dass sie nach mehrjähriger Haft in der Bundesrepublik ausgetauscht wurden, Hofé gegen 500 (!) politische Gefangene der DDR.

Heidenreich beurteilt im Schlusswort seiner Studie Gehlens Dienste als „weitgehend dysfunktional und defizitär“, den BND am Ende seiner Amtszeit als „in desolater Verfassung“.Hannes Schwenger

Ronny Heidenreich: Die DDR-Spionage des BND. Von den Anfängen bis zum Mauerbau. Chr. Links Verlag, Berlin 2019. 704 S., 50 €.

Hannes Schwenger

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