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Die Fotos von Martha Cooper (hier: „B-Boys breaking on cardboard, Upper West Side, NYC, 1982“) sind ab 2. Oktober im Urban Nation – Museum for Urban Contemporary Art (Bülowstraße 7) zu sehen.

©  Martha Cooper

European Month of Photography: Linsenweisheiten

Am 1. Oktober beginnt der European Month of Photography, mit über 100 Ausstellungen in Berlin. Leiter Oliver Bätz erklärt, wie man den Überblick behält.

Drei verschiedene Cover zieren wahlweise den Katalog des diesjährigen EMOP, des European Month of Photography. Man kennt das von Magazinen; hier aber ist es ein Ausweis der Vielfalt, die den EMOP kennzeichnet. 114 Ausstellungen von über 100 Institutionen – Projektmanager Oliver Bätz nennt die Zahlen beim Gespräch im sonnigen Innenhof der Kulturprojekte Berlin in der Klosterstraße. Sonnig, aber kühl, der Herbst hält Einzug in Berlin. Für die eine, einzige Outdoor-Ausstellung dieser Saison wird man sich also wappnen müssen; sie wird vom Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter zwischen Brandenburger Tor und Reichstag veranstaltet und trägt den Titel „Close By – Das Miteinander 2020“.

Mit diesem Titel ist man mittendrin im EMOP. Denn zum einen wird er naturgemäß von der Corona- Krise in Mitleidenschaft gezogen, was die Hygiene- und Besuchsregelungen betrifft. Andererseits verweist das „Miteinander“ auf das Schwerpunktthema des EMOP: „Europa – Identität, Krise, Zukunft“. Dazu gibt es zunächst einmal die Gemeinschaftsausstellung „Kontinent – Auf der Suche nach Europa“ am Hauptsitz der Akademie der Künste am Pariser Platz. Dort finden ebenfalls die „Opening Days“ statt, wenngleich in diesem Jahr – Coronas Schatten – ohne Eröffnungsparty. Wer wollte die Abstandsregeln überwachen, wenn sich so viele Freunde und Bekannte treffen, um in den seit 2004 im Zweijahresturnus veranstalteten EMOP in diesem Ausnahmejahr 2020 hineinzufeiern!

Das Europa-Thema ist so aktuell wie je

Es ist der letzte Veranstaltungszyklus, den Oliver Bätz verantwortet; im kommenden Jahr verabschiedet er sich in den Ruhestand. Für den nächsten, den dann zehnten EMOP wünscht er sich zuallererst die Verfügbarkeit eines Corona-Impfstoffes. Alle, alle spüren, dass es vorher keine Rückkehr zur Normalität geben kann; wenn überhaupt. Das diesjährige Ausstellungsprogramm aber ist stark genug, um auch die Ängstlichen zu überzeugen. Das Europa-Thema mag vielleicht abgedroschen klingen, doch es ist so aktuell wie je, angesichts der Friktionen, der zwischenzeitlichen Grenzschließungen und der emotionalen Distanzen, die Corona hervorgerufen hat. Die Gemeinschaftsausstellung von 23 derzeitigen Mitgliedern der Agentur „Ostkreuz“ ruft genau diese Fragestellungen auf, die sich im Hinblick auf Europa von selbst ergeben: „Was verbindet uns? Wie leben wir zusammen? Wie wird sich dieser Kontinent entwickeln?“

Oliver Bätz

© Jirka Jansch

Nicht, dass Fotografie darauf eine Antwort geben könnte. Sie kann Gegenwart fixieren und bewahrt Vergangenheit. Die Gegenwart Europas kommt nicht zuletzt in den Beiträgen zur Ansicht, die die diplomatischen Vertretungen und die Kulturinstitute europäischer Nationen beisteuern, etwa das Polnische Institut mit der Serie „Die Masse“ von Krysztof Miller oder das Rumänische Kulturinstitut mit „Zwischenzeit“ von Ioana Moldovan. Oder das Collegium Hungaricum mit einer Übersicht über die ungarische Fotografie zwischen 1970 und 2000. Oder die aufwühlenden Fotos von Letizia Battaglia im Italienischen Kulturinstitut, die „Palermo und den Kampf gegen die Mafia“ zum Gegenstand haben.

Umgekehrt handelt eine Vielzahl von Ausstellungen von Vergangenheit, und im Jahr des 30. Jubiläums der deutschen Einheit, die zuallererst die Wiedervereinigung Berlins bedeutete, sind Reminiszenzen an Ost- und West-Berlin mehrfach zu finden. Bätz verweist auf das Landesarchiv, das „Drei Dekaden Berlin“ in der Stadtlandschaften von Thomas Platow vorführt, oder auf die Stiftung Reinbeckhallen, die gleich 55 Jahre Nachkriegszeit ab 1945 mit so unterschiedlichen Charakteren wie Nan Goldin, Arno Fischer oder Will McBride in Erinnerung ruft. Die Galerie Schöne Weide – der Name verrät den Standort – zeigt „Niemandsstadt“ von Aram Radomski, der die kurze, beinahe utopische Zeitspanne zwischen Maueröffnung und sich anbahnender Wiedervereinigung begleitet hat. Das Architekturerbe der Alliierten hat Mila Hacke in den Blick genommen, in der Urania und ausgerichtet vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg sind ihre Farbfotos zu sehen. Bemerkenswert das Projekt der Irischen Botschaft, die die Spurensuche von Ethna O’Regan vorstellt: „Unerreichbar – In Erinnerung an all jene, die von 1961 bis 1989 durch das Grenzregime der DDR ihr Leben verloren haben“.

Die Grautöne im Berlin der 80er Jahre

Es sei eine gewisse Tendenz zurück zu Schwarz-Weiß zu konstatieren, meint Oliver Bätz in aller Vorsicht. Womöglich hat es mit der Zahl von Ausstellungen historischer Fotografie zu tun. Mit Blick auf 30 Jahre Einheits-Berlin muss natürlich das Œuvre des Ost-Berliners Harald Hauswald bei C/O Berlin erwähnt werden, deren Pendant – wenn man so will –, dasjenige des West-Berliners Michael Schmidt im Hamburger Bahnhof und damit nicht in einer Partnerinstitution des EMOP stattfindet. „Der Hamburger Bahnhof war bei uns nicht auf dem Schirm, und umgekehrt hat er sich nicht gemeldet“, bedauert Bätz. Beider Fotografen Werk ist in Schwarz-Weiß und damit genau richtig für die Grautöne, die das Berlin der achtziger Jahre beiderseits der Mauer so sehr kennzeichnet. Dann verweist Oliver Bätz auf Entdeckungen der Fotografiegeschichte: etwa im Atelier Soldina die Fotos von Zirkusartistinnen von Renate von Gebhardt oder die Arbeiterfotografie der 1920er Jahre unter dem Titel „Der proletarische Blick“ im Bröhan-Museum, ferner bei Argus Fotokunst die Erkundung von Paris, die Roger Melis 1982 mit einem Ausreisevisum der DDR vier Wochen lang vornehmen konnte und die in einem ungewöhnlich auflagestarken Bildband resultierte. Besondere Erwähnung erfährt die langjährige Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Willy- Brandt-Haus, der diesmal die Schwestern Lotte und Ruth Jacobi vorstellt – die eine berühmt, die andere, jüngere unbekannt geblieben.

[ European Month of Photography, 1.–31. Oktober, www.emop-berlin.de]

Überhaupt freut sich Oliver Bätz über die Vielfalt des Teilnehmerfelds: Kulturinstitutionen, Galerien, bezirkliche Einrichtungen, die schon erwähnten Botschaften und Kulturinstitute, ganz besonders aber „die kleinen Projekträume“. Die Finanzen werden in diesem Jahr je zur Hälfte aus dem Etat des Kultursenators und aus den europäischen Efre-Mitteln bestritten, deren Feinverteilung wiederum das Land Berlin vornimmt. Rund eine halbe Million Euro stand zur Verfügung. Davon wird zusätzliches Personal bei der Kulturprojekte-GmbH als Veranstalter bezahlt, dann natürlich alle Printprodukte wie der wiederum opulente, knapp 300-seitige Katalog für sämtliche Ausstellungen, schließlich die „Opening Days“ am ersten Oktoberwochenende – und dann noch ein dicker Batzen von 200 000 Euro als Zuschuss zur europazentrierten Gemeinschaftsausstellung der Akademie.

Planung ist angesagt

„Der Ursprungsgedanke des EMOP war, ein Publikumsfestival zu generieren“, erinnert Oliver Bätz: „Wir wollten den kleinen Galerien und Projekträumen die Möglichkeit geben auszustellen.“ Die Frage – oder beinahe schon das Ansinnen – des Besuchers, ob nicht eines Tages eine Messe wie „Paris Photo“ in Berlin stattfinden könne, weist Bätz mit dem Verweis auf diesen „egalitären Ansatz“ höflich zurück. Und hat recht damit: Denn es ist gerade der dezentrale, dicht gewebte Veranstaltungsteppich, der sich im Oktober über die ganze Stadt legt, der den Charakter und den Charme des EMOP ausmacht. Und weil die Neugier des Publikums gerade nach den Corona-Monaten groß ist, rät Bätz, ganz der Kulturmanager, sich vor dem Start ins Ungewisse ein Programm zurechtzulegen: „Fast überall gibt es time slots, da ist Planung angesagt!“ Und hat für den Mehraufwand Trost parat: „Dafür kann man sich die Fotos in Ruhe anschauen.“ Man darf auf den Fotomonat im Corona-Modus gespannt sein.

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