zum Hauptinhalt
Mit seinen oft brutalen Motiven versucht Lars Theuerkauff die eigenen Eindrücke malend zu bewältigen.

© Holger Biermann

Liebe und Strafe: Der Maler Lars Theuerkauff geht in seinen Bildern an Grenzen

Lars Theuerkauff konfrontiert die Betrachter mit Kriegsverbrechen und staatlicher Demütigung. Seine Retrospektive ist in einem unsanierten Haus an der Friedrichstraße zu sehen.

Diese Schleier. Lars Theuerkauff legt sie oft und offenbar gern über seine Bilder von Männergesichtern oder intimen Szenen mit nackten Körpern. Man könnte ihn für einen späten Romantiker halten, seine Gemälde leuchten von innen heraus und bringen das orange Hemd eines der Porträtierten zum Strahlen. Doch gerade diese Farbe hat mit Guantanamo alle Unschuld verloren – zumal auch der IS seine Gefangenen im selben Ton einkleidete, bevor er sie demonstrativ hinrichtete.

Die Videos kursieren bis heute im Netz, eine Erniedrigung der Opfer in Endlosschleife. Und sicher kann man die Augen vor dem verschließen, was Menschen mit anderen Menschen machen: Ohne Recherche gibt es nichts zu sehen. Doch Theuerkauff, Jahrgang 1968 und an der Münchner Akademie bei Robin Page zum Maler ausgebildet, war ab 1997 drei Jahre lang in der Filmklasse von Heinz Emigholz an der Berliner Universität der Künste. Das Medium ist sein Metier. Außerdem kann er sich nicht einfach wegdrehen.

Theuerkauff sieht nicht weg

Gerade ist er mit einer großen Ausstellung in einem Haus von Yoram Roth präsent. Und bevor die Idee aufkommen könnte, es handle sich bei dem Angebot des Investors um eine Aufhübschung seiner Immobilie kurz vor deren Sanierung, erzählt Theuerkauff von ihrer alten Freundschaft.

Tatsächlich klemmt das Objekt mit seinen blätternden Fassaden, dem typischen Berliner Hinterhof und Engagement des Kulturprojekts 1_06, das hier ebenfalls bis zum Start der Bauarbeiten bleiben kann, unweit des Tacheless-Areals zwischen Neubauten an der Friedrichstraße. Es ist also ohnehin eine 1A-Lage und braucht keine Aufwertung.

Der Künstler aber findet in dem ebenerdigen, seltsam langgestreckten Raum, dessen frühere Funktion völlig unklar ist, einen adäquaten Ort für seine spannende Retrospektive. Angefangen mit frühen Porträts über die Gesichter ziemlich abgeliebter Stoffaffen, die Theuerkauff wie pelzige Individuen auf die Leinwand bringt, bis hin zu jenen Bildern, über denen der schon erwähnte Schleier liegt. Bloß ist nun klar, dass sie zum Schutz gedacht sind.

Sind das wirklich Paradiese?

Man ahnt auch so die Brutalität der Strafen, um die es geht. Neben den Kriegsverbrechen konfrontiert der Künstler einen mit Schnipseln aus Indien oder Südafrika. Festgehalten sind die Konsequenzen für nonkonformes Verhalten in ebenso kurzen wie gewaltvollen Sequenzen. Nacktheit, Schläge, die öffentliche Exposition. Ein Junge, fast noch ein Kind, wird für seinen Diebstahl gemartert, ein Mann für sein Verhältnis zu einem intersexuellen Partner gefesselt vorgeführt.

Manche deuten ihre Geschichten als Tryptichon an, andere fokussieren auf einen Moment. Immer aber nennt Theuerkauff diese Bilder „Paradies“ und nummeriert sie durch – als ob die Entblößung oder der Moment vor der Entdeckung die vollkommene Unschuld jener Situationen spiegle .„I need a thicker Skin” heißt es im Titel der Ausstellung. Dieser Wunsch nach einem dickeren Fell bestätigt, was einem die Motive durchweg vermitteln. Nie geht es um Sensationsgier, sondern um den Versuch, die eigenen Eindrücke malend zu bewältigen.

Ausgleichend wirken Theuerkauffs jüngste Experimente mit KI. „Vincent Sturmvogel“ mixt die Landschaften van Goghs mit diversen Drohnen im Stil des niederländischen Expressionisten. „Lucien Tilda“ ist der Versuch, Unvereinbares zu generieren: Porträts von Tilda Swinton, stilistisch interpretiert durch den 2011 verstorbenen Lucien Freud. Ergebnis sind vier eindrucksvoll unsympathische Ansichten.

Vielleicht hätte es KI aber auch gar nicht dazu gebraucht: In „Burn after Reading“, der schwarzen Satire von Ethan & Joel Coen aus dem Jahr 2017, kommt Tilda Swinton als Kinder hassende Kinderärztin mindestens so streng und kühl herüber wie auf Theuerkauffs changierenden Bildern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false