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Ertappt. Schriftsteller Adolf Endler wurde als Student des Instituts beim Lesen von Musils "Mann ohne Eigenschaften" zur Rede gestellt.

© Torsten Leukert/dpa

Leipziger Literaturinstitut der DDR: Die Künstler sind wir!

Wie man das Schreiben verlernt: Eine Studie blickt zurück auf das Leipziger Literaturinstitut der DDR.

Johannes R. Becher, von 1954 bis 1958 erster Kulturminister der DDR, fehlte 1955 ausgerechnet zur Eröffnung des später posthum nach ihm benannten „Instituts für Literatur“. Er wollte Distanz zu der Idee einer Schriftstellerschule als „Literatur-Erziehungs-Institut“ wahren. In seinem Tagebuch hatte er sie als „tolles Stück“ eines „unfreiwilligen Spaßmachers“ abgetan. Wer dieser Spaßmacher war, verriet auch sein Stellvertreter Alexander Abusch nicht, der statt seiner das Leipziger Institut mit den Worten eröffnete, die Gründung gehe „auf die persönliche Anregung zurück, die Walter Ulbricht auf dem IV. Parteitag der SED im April 1954 gemacht hat“. Hieß das: Nicht ich, Walter Ulbricht ist’s gewesen?

Die vorliegende Studie vermutet, dass der spiritus rector Alfred Kurella war, Bechers „Intimfeind“ aus dem Moskauer Exil. Als Gründungsdirektor hielt er den Eröffnungsvortrag „Von der Lehrbarkeit der literarischen Meisterschaft“, in dem er sich wundern wollte, warum man bisher „nicht einmal den Versuch unternommen hat, ,Technische Hochschulen’ für diese Ingenieure der menschlichen Seelen einzurichten.“ Seine Zuhörer erkannten vermutlich sowohl das verdeckte Stalin-Zitat wie das sowjetische Vorbild, das Gorki Institut in Moskau.

Wenn es dennoch eine ganz andere Entwicklung nahm, lag das an den „verschlungenen, widerspruchsvollen Wegen“, deren Erfahrung (!) Kurella den Studierenden empfahl, weil sich auf ihnen „die Geburt des Neuen immer wieder vollzieht“. Das Neue, das sich nach dem Ende der DDR und ihres Literaturinstituts mit der Wiedergründung als Deutsches Literaturinstitut vollzog, hat er nicht mehr erlebt. Er starb 1975. Seine Studenten fanden – und finden noch heute – kein gutes Wort über ihn.

Die viele Theorie stieß auf wenig Gegenliebe bei Studenten

Für Erich Loest, Gotthold Gloger und Ralph Giordano, alle drei Teilnehmer des ersten Lehrgangs, war er – mit Giordanos Worten – ein „Natschalnik“ (Chef), dessen Dogmatik und Didaktik ihr „Talent und seine Entfaltung tödlich bedrohten“. Dennoch holte er auch freiere Geister als Gastdozenten, etwa Ernst Bloch, Wieland Herzfelde und Hans Mayer. Er richtete sogar die legendäre Bibliothek ein. Adolf Endler, den Kurella bei der Lektüre des „Mann ohne Eigenschaften“ ertappte, berichtet von seiner unwirschen Frage, was er denn davon habe? Auf Endlers Antwort, das sei doch eine ungeheuer gute Prosa, habe er „nur na,na,na gesagt und ist weggegangen.“

Schon unter Kurellas Ägide und dessen Nachfolger Max Zimmering stellte sich heraus, dass das Hauptinteresse der Kursanten den guten Stipendien von 600 DDR-Mark, der frei zugänglichen Lektüre und der Gelegenheit zu selbstbestimmtem Schreiben galt. Die im ersten Jahrzehnt überwiegend literaturtheoretischen Kurse stießen auf wenig Gegenliebe. Erich Loest, der sich als bereits ausgewiesener Autor Freiraum für sein Schaffen ausbedungen hatte, geriet darüber mit Kurella in Konflikt. Eva Strittmatter befürchtete 1961 sogar, „dass die Freunde, die dort hingehen, das Schreiben verlernen.“ 1968 verfassten 14 Studenten, darunter Gert Neumann und Heidemarie Härtl, die prompt exmatrikuliert wurden, sogar eine Resolution, die eine Kürzung des theoretischen Pensums und mehr Raum für die schriftstellerische Arbeit forderte. Von Heidemarie Härtl stammt die dem Herbst 1989 vorauseilende Parole: „Die Künstler sind wir!“

Sozialistischer Realismus war eine Worthülse

Am ehesten Zuspruch fanden noch die „Schöpferischen Seminare“ des parteilosen Lyrikers Georg Maurer. Maurers Ruf steigerte sich – zumal nach der Formierung der „Sächsischen Dichterschule“ aus dem Umkreis seiner Studenten und dem persönlichen Einsatz für den relegierten Andreas Reimann – zum Mythos, den die vorliegende Studie zu dämpfen versucht: Sein eigenes Werk sei „mitunter pathetisch und lehrhaft“ gewesen. Dennoch erfuhr man bei ihm und seinem Kollegen Gerhard Rothbauer mehr über moderne Weltliteratur als verordnet. „Über Sozialistischen Realismus regte man sich nicht auf. Das war eine Worthülse“, erklärte Sarah Kirsch.

Allerdings genoss sie den Schutz früher Prominenz, während andere widerspenstige Kursanten relegiert wurden. Ihrem Mann Rainer Kirsch wurde das Diplom verweigert, weil er unerlaubt in der Schweiz publiziert hatte. Im einzigen veröffentlichten „Zwischenbericht“ des Instituts fehlen die Namen relegierter Studenten, vom 11. Plenum bis 1970 allein acht von 21 Studenten. Darunter Helga Novak, die neben Sarah Kirsch bedeutendste Lyrikerin der DDR, die dort nie eine Zeile veröffentlichten konnte.

Ohne Empfehlung keine Chance auf Bewerbung

Ein Aufstieg ins Direktstudium mit Volldiplom gelang nur wenigen Autoren wie Kurt Drawert, Kerstin Hensel und Angela Krauß. Wer keine Empfehlung durch die Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren im Schriftstellerverband, die FDJ oder Betriebe mit Zirkeln schreibender Arbeiter mitbrachte, hatte kaum eine Chance für seine Bewerbung. So wurde der Liedermacher Gerulf Pannach abgewiesen, seine Texte hätten „nicht das hier verlangte Niveau“. Als Sänger und Texter der Renft Combo wurde er auch so ein Star der DDR-Rockszene und wegen seines Protests gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann selbst ausgebürgert.

Glimpflicher kamen die Dozenten Gosse und Rothbauer davon, die 1976 eine Akklamation der Ausbürgerung verweigerten. Obwohl die Stasi gegen sie ermittelte, verfügte die um den Institutsfrieden besorgte Parteiführung, ein Ausschluss sei „nicht vorgesehen“. In den achtziger Jahren war der Lehrkörper ideologisch so aufgeweicht, dass er kollektiv zu einer „Auffrischung in sozialistischer Ideologie“ verdonnert wurde. Nach 1990 fiel dann ausgerechnet Peter Gosse die Aufgabe zu, die Abwicklung des Instituts zu organisieren. Die Leitung des neu gegründeten Deutschen Literaturinstituts übernahm Bernd Jentzsch, den nichts mit dem aufgelösten Institut verband. Umso erstaunlicher, dass die Autoren der Studie glauben, ihr Material könne „auch für die heutige Lehrpraxis nachgenutzt werden“. Das eingearbeitete Kapitel über Lern- und Schreibprozesse im Studium spricht nicht dafür.

Isabelle Lehn, Sascha Macht, Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 560 Seiten, 34,90 €.

Hannes Schwenger

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