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Alexander von Humboldt auf einem Gemälde von Friedrich Georg Weitsch.

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Konzert zum Humboldt-Jahr: Lateinamerika am Lustgarten

Kreolische Verse und ein Sängerwettstreit mit dem Teufel: Die Sing-Akademie zu Berlin feiert Alexander von Humboldt im Berliner Dom.

Ein denkwürdiges Ereignis wird an diesem Abend im Berliner Dom begangen. Während die Philharmoniker drüben am Brandenburger Tor Beethovens Neunte Symphonie aufführen, wird hier unter dem Titel „Grandes Trópicos!“ der 250. Geburtstag Alexander von Humboldts und damit der Beginn der Humboldt-Festwoche der Humboldt-Universität gefeiert, und zwar mit einer Spezialmischung aus Kunst, Kintopp und Klamotte oder, wie die ausrichtende Sing-Akademie es formuliert, mit einem Programm, das „ganz im Zeichen des Kreolismus steht“. Sabine Kunst, Präsidentin der HU, spricht ein freundliches Grußwort, der Dramaturg Christian Filips hingegen hat ein Musikprogramm zusammengestellt, dessen Ehrgeiz jenem Humboldts gleichkommt, der im Sommer 1799 aufbrach, um Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru und Mexiko zu bereisen: Nach Jacqueline Novas famoser elektroakustischer Komposition „Creación de la tierra“ (deren Wummern, Zwitschern und Zirpen so leger durch den Dom klingen, dass man schon glaubt, es handle sich um reine Pausenmusik), wird ein kreolischer Hymnus auf Verse in der Quechua-Sprache vorgetragen, klingendes Zeugnis früher Missionierungsbemühungen. 

Traurigbittere Musik beim Thema Sklaverei

Danach ist Felix Mendelssohn Bartholdys gepflegte „Humboldt-Kantate“ auf ein Libretto von Ludwig Rellstab zu hören, die 1828 als Schmuck für eine naturwissenschaftliche Tagung in Berlin in Auftrag gegeben wurde, überdies gibt es Einlassungen von Humboldt selbst zum Thema Sklaverei (empört ist er, zutiefst abgestoßen von den Praktiken der Sklavenhändler). Traurigbittere Kompositionen von Alberto Ginastera stehen auf dem Programm sowie Antonio Estévez‘ „Cantata Criolla“, die den Sängerwettstreit zwischen einem jungen Mann und dem Teufel schildert. So weit, so gut. Spitzenmäßig ausgedacht! Und die Sing-Akademie, sekundiert von den jungen Herren des Staats- und Domchores, singt ganz ausgezeichnet, und die Kammersymphonie Berlin, ergänzt von Schlagzeug-Gästen und Jesús Reyes am Klavier, spielt sehr aufmerksam, alles das unter der Leitung von Kai-Uwe Jirka. Die Schauspielerin Margarita Breitkreiz, die den Text von Humboldt rezitiert, sticht deutlich hervor, und Andrés Moreno Garciá, Leiker López sowie Michael Adair sind exzellente Gesangssolisten. 

Was sollen die Videos?

Nur hat der Abend trotzdem einige Probleme. Wie stets bietet der Berliner Dom miserable akustische Bedingungen. Undankbar ist das schon für die Singenden, doch auch die hohen Streicher mögen sich noch so sehr bemühen, gegen den Hall im Haus ist kein Ankommen. Überdies ist die Aufführung gerüscht und ausstaffiert: Einige Protagonisten stecken in historischen Kostümen, und auf einer Leinwand sind immer wieder Videoschnipsel zum Thema „frühe Reisen in ferne Welten“ zu sehen, Ozeane, Segelschiffe, Landkarten oder Begegnungen mit Indigenen. Mit den fantastisch schönen Kompositionen hat das nur mittelbar zu tun. Soll man nun zuhören, die Gewandtheit der Chöre und Solisten bewundern? Dabei die Übersetzung der Verse im Programmheft unter den Tisch fallen lassen oder Filips‘ aufschlussreichen Textkommentar? Stattdessen Videos gucken? Es hilft nicht, dass Sprecherin Margarita Breitkreiz während der Kantate von Antonio Estévez im roten Abendkleid und unter einer schweren Maske durch den Altarraum des Berliner Doms geistert. Das könnte den Teufel selbst darstellen, der in dieser Kantate auftritt, in Wirklichkeit aber ist gerade diese Aktion ein schlechter Traum von Kunst, Verrat am sogenannten Fremden ebenso wie an dem Raum, in dem die Aufführung stattfindet.

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