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„Morgenausritt am Strand“, 1876, von Anton Mauve, der später Vincent van Gogh im Aquarellieren unterrichtete.

© Barberini

Längst überfällige Entdeckung: Holländischer Impressionismus im Museum Barberini

Eine großartige Ausstellung zeigt, wie die Niederländer als Experten für Landschaftsmalerei unter französischem Einfluss eine ganz eigene Form des Impressionismus entwickelten.

Sand und Meer und darüber ein gleichmäßig heller Himmel – dieser Blick bot sich dem holländischen Maler Hendrik Willem Mesdag von der Düne vor Scheveningen, nachdem er 1880 den Auftrag erhalten hatte, ein Panorama der Küste zu malen, beim Fischerdorf vor den Toren der Residenzstadt Den Haag. Auf dem Strand breite, kiellose Fischerboote, von Pferdegespannen aus dem Wasser gezogen. Im Rücken des Betrachters mochten Häuser gestanden haben, die sich hinter die Düne duckten; vielleicht aber auch schon eine breite Straße und sogar ein Schienenstrang.

Mesdag, damals 49 Jahre alt und ein anerkannter Künstler, nahm die Gelegenheit war, diese so unspektakuläre Landschaft in dem Augenblick festzuhalten, als ihr tiefgreifender Wandel begann. Die Düne sollte abgebaggert werden, wie Scheveningen sich überhaupt zum Touristenort wandelte und bereits mit der Eisenbahn erreichbar war.

Das 114 Meter lange und 14,5 Meter hohe Rundbild, das Mesdag mit tatkräftiger Hilfe einiger Nachwuchskünstler 1881 binnen drei Monaten auf 1660 Quadratmeter Leinwand bannte und das seither im nahen Den Haag zu besichtigen ist, birgt kaum Erzählung und schon gar kein Drama. Seine Anziehungskraft beruht inzwischen darauf, dass Panoramen, einst vielerorts ein Freizeitvergnügen, kaum mehr erhalten sind. Immerhin 150.000 Besucher zählt das Mesdag Panorama im Jahr.

Um und nach 1881 war die Blütezeit des holländischen Impressionismus, dem das Museum Barberini nun eine neue Ausstellung widmet. Ihr Obertitel „Wolken und Licht“ mag für den Impressionismus insgesamt Gültigkeit besitzen, aber in Holland, dem Land des niedrigen Horizonts und des beständig wechselnden Schauspiels am Himmel, umreißt er Malweise und Themen gleichermaßen. Denn die große Tradition der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts lebte fort oder vielmehr, sie wurde im späten 19. Jahrhundert mit der Besinnung auf nationale Eigenarten erneut gefeiert.

Unprätentiöse Wiedergabe der Wirklichkeit

Die Zeitgenossen, darunter Anton Mauve, die Brüder Maris, Jozef Israëls und sein Sohn Isaac, widmeten sich der Wiedergabe der Wirklichkeit in einer gänzlich unprätentiösen, wenn man so will, bürgerlichen Haltung. Max Liebermann, der 1884 erstmals nach Holland reiste und mit Jozef Israëls Freundschaft schloss, fühlte sich in diesem Milieu zwischen Naturalismus und Impressionismus zu Recht heimisch.

Mesdags Panorama war naturgemäß nicht auszuleihen, doch der Auftakt der von Chefkurator Michael Philipp besorgten Potsdamer Ausstellung ist eindrucksvoll genug. Philipp, dies nebenbei, ist ein ausgewiesener Kenner der Materie und hat selbst mehrere Jahre in den Niederlanden verbracht. Seinen Kontakten verdankt sich die beeindruckende Zahl erstrangiger Leihgaben, wie gleich am Eingang Jacob Maris’ „Steinerne Mühle“von 1890. Sodann entfaltet sich im ersten Raum die Landschaft unter stets von Wolken belebtem, von blassblau über weiß bis grau changierendem Himmel, mit tiefer, schnurgerader Horizontlinie, mit Wiesen und Weiden, Mühlen und Wasserläufen.

„Der holländischen Landschaft fehlt jede Form von Dramatik“, heißt es bündig im exzellenten Katalog. Vorbild war – oder wurde erneut – die Landschaftsmalerei des „Goldenen Jahrhunderts“ der niederländischen Kunst. Den Horizont von Jan Hendrik Weissenbruchs „Ansicht von Haarlem“ markiert die mächtige Kirche Sint-Bavo, gerade so wie auf dem berühmten Gemälde von Jacob van Ruisdael knapp zwei Jahrhunderte früher.

Diese „Haager Schule“ ab etwa 1870 ist bereits die zweite Ausprägung einer spezifisch niederländischen Moderne. Zuvor schon waren Maler nach dem französischen Vorbild der „Schule von Barbizon“ in die Wälder gezogen, die sie in Oosterbeek im Osten des Landes fanden. Dafür stehen in Potsdam Gemälde von Johannes Warnardus Bilders und seinem Sohn Gerard. Hendrik Willem Mesdag spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, da er, der als Bankier wie durch Erbschaft äußerst wohlhabend geworden war, gemeinsam mit seiner ebenfalls malenden Frau Sientje van Houten eine ganz vorzügliche Sammlung der französischen Vorbilder von Naturalismus und École de Barbizon anlegte. Das Mesdag Museum in der Den Haager Villa samt Galerie-Anbau des Sammlerpaares bewahrt die gehaltvollste Kollektion dieser Kunstrichtungen außerhalb Frankreichs und lohnt jede Reise.

Denkmäler für die Windmühle

Dass die Haager Maler „die Veränderungen der modernen Zeit wie Eisenbahnen oder Telegraphenleitungen“ ignorierten, wie ihnen in einem Museums-Text nachgesagt wird, ist nicht ganz gerecht. Treffender wäre: Sie wollten sie kleinhalten. Weissenbruch etwa lässt sie schon 1848 in der Ferne unter weißem Rauch dahinziehen. Doch blieb Holland abseits seiner Wirtschaftszentren auch agrarisch geprägt, war es zugleich wie keine andere Landschaft in Europa vom Menschen geformt. Die Windmühle steht symbolisch für die Ingenieurskunst, ohne sie war die Polderlandschaft so wenig denkbar wie überhaupt der bäuerliche Wohlstand. Zahllose Maler haben ihr ein Denkmal gesetzt, bis zu Piet Mondrian 1917 im vorletzten Bild der Ausstellung. Davon später.

Jan Hendrik Weissenbruch, „Blick auf drei Mühlen“, 1890
Jan Hendrik Weissenbruch, „Blick auf drei Mühlen“, 1890

© Barberini

Die Zeit blieb nicht stehen. George Hendrik Breitner, der als junger Mann bei Mesdags Panorama mitgearbeitet hatte, entwickelte sich zum herausragenden Maler des Amsterdamer Impressionismus mit seiner Vorliebe für das Stadtleben. Das hielt er 1898 in der winterlichen „Singelbrücke bei der Paleisstraat“ in bester Augenblickswahrnehmung fest. Im Barberini ein Stockwerk über den Landschaften ausgebreitet, ist der Kontrast fundamental.

Von Horizont und Himmel kann in der Stadt keine Rede sein, dafür von Masse, Anonymität, Zerstreuung, sei es beim „Schlittschuhlaufen im Haager Bos“ von Willem Bastian Tholen, bei dem man kaum die Eisdecke sieht, sei es beim künstlich beleuchteten „Hutgeschäft Mars“ von Isaac Israëls oder dem in einem Farbnebel zerfließenden „Oranjefest“ von Jacobus van Looy; alle drei Bilder von Anfang der 1890er Jahre.

Um diese Zeit hatte sich in bequemer Nähe zu Amsterdam, doch in noch kaum berührter Landschaft die Künstlerkolonie von Laren gebildet, angeregt durch Anton Mauve, der hier 1885 neue Eindrücke gefunden und malerisch verarbeitet hatte. Der amerikanische Industriellensohn William Singer, der sich mit Erfolg der Malerei verschrieben hatte, ließ sich 1901 hier mit seiner Frau nieder; ihre großzügige Villa bildet den Kern des heutigen Singer Museums Laren, eines der überaus großzügigen Leihgeber der Potsdamer Ausstellung.

Darunter sind die „Dünen bei Zandvoort“ von Ferdinand Hart Nibbrig, der von 1894 bis zu seinem Tod 1915 in Laren lebte. Das im Einfangen des flirrenden Lichts ganz dem Impressionismus verpflichtete „Dünen“-Bild von 1891/92 ziert nicht von ungefähr den Katalog, der im deutschsprachigen Raum ein Referenzwerk für die holländische Malerei um 1900 bleiben dürfte.

1660
Quadratmeter umfasst das Panorama Mesdag des niederländischen Malers Hendrik Willem Mesdag

Nach 1890 spaltet sich die Kunst in verschiedene Richtungen auf, die Zeit der „-ismen“ setzt ein. Diesem dritten Teil der Ausstellung sind im Obergeschoss die größten Säle des Barberini gewidmet. Mit dem wiederum in Frankreich entwickelten Pointillismus, der Malerei von nebeneinander gesetzten Farbpunkten, die sich erst auf der Netzhaut des Betrachters zu einem Abbild verdichten, kommt ein neue Auffassung nach Holland, die zahlreiche Adepten findet, wie Frits Maris mit seiner „Ansicht von Den Haag“ 1905.

Auch Mondrian versucht sich in der Technik der Bildpunkte; er bildet eine Brücke zum folgenden Raum, in dem er mit farbkräftigen Gemälden wie der „Reihe von elf Pappeln“ vertreten ist. Von den deutschen Expressionisten als Gleichgesinnte hochgeschätzt wird Jacoba van Heemskerck (1876-1923), die in der Berliner Galerie „Der Sturm“ ausstellt und in der gleichnamigen Zeitschrift veröffentlicht. Ihre starkfarbigen Bilder waren übrigens vor genau 40 Jahren im Berliner „Haus am Waldsee“ zu sehen und seither nicht wieder; es wäre Zeit für eine monografische Wiederbegegnung.

Jacoba van Heemskerck, „Zwei Bäume“, 1910
Jacoba van Heemskerck, „Zwei Bäume“, 1910

© Kunstmuseum Den Haag

Vier Werke von Vincent van Gogh

Ebenso singulär ist Piet Mondrian, 1872 geboren und ursprünglich mit Doppel-a geschrieben, wenngleich er sich lange an der abbildenden Malerei seiner Zeit ausrichtete. Vom Elternhaus her strenger Calvinist, beschäftigte er sich intensiv mit der Theosophie, von der sich so viele Zeitgenossen einen Weg aus den Zumutungen der modernen Welt erhofften. Künstlerisch ging Mondrian vom Abbild zum Symbolbild weiter, etwa in der als violette Fläche vor dunkelblauem Himmel geformten „Mühle bei Domburg“ 1908. Ein Raum weiter dann die oben erwähnte Mühle von 1917, ehe er unmittelbar darauf im Sinne der neuen, nach der gleichnamigen Zeitschrift betitelten Richtung „De Stijl“ zur geometrischen Abstraktion fand, die heute mit seinem Namen verbunden ist. Die „Rasterkomposition“ von 1919, die die Ausstellung beschließt, soll er selbst als „Sternenhimmel“ bezeichnet haben.

Neben Mondrian ist auch Vincent van Gogh ein Künstler, dessen Name im Zusammenhang des Ausstellungsthemas überrascht. Doch ehe er zu den strahlenden Blumenbildern seines reifen Œuvres fand, arbeitete er sich buchstäblich an Vorbildern ab, etwa des Franzosen Millet, oder auch an Zeitgenossen. Vier kleinere Arbeiten sind im Barberini zu sehen, zwischen 1883 und 1885 entstanden, bescheiden im Anspruch auch in der Themenwahl von „Waldesrand“ oder „Zwei Bäuerinnen bei der Kartoffelernte“. Es sind Bilder eines Suchenden und noch ohne Ansatz zum bald folgenden künstlerischen Höhenflug.

So ist denn im Ganzen der Ausstellung weit mehr als der Impressionismus ausgebreitet, mehr auch als die titelgebenden „Wolken und Licht“. Die Landschaftsmaler um die drei Brüder Maris, oder eben Mesdag mit seinem Panorama von 1881 markieren einen Höhepunkt in der Wiedergabe der Realität und ihrer Verdichtung zum Nationalstil, ehe sich das künstlerische Sensorium davon zu entfernen beginnt und in andere Sphären vordringt, dabei sich in unterschiedliche und miteinander nicht mehr verbundene Richtungen aufsplitternd. Diese Grundbewegung der Moderne zeigt die Potsdamer Ausstellung am Beispiel Hollands, und sie bedeutet nichts weniger als eine großartige und längst überfällige Entdeckung.

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