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Macht der Gefühle. Isabelle (Juliette Binoche) lässt sich von ihrer Leidenschaft treiben, bis zur Erschöpfung.

© Pandora

Französische Komödie mit Juliette Binoche: Kunst des Loslassens

Welche Sprache spricht die Liebe? Juliette Binoche brilliert in Claire Denis' Komödie „Meine schöne innere Sonne“.

Von Andreas Busche

Sex kann ganz schön anstrengend sein. Etwas, das man manchmal einfach hinter sich bringen muss, pflichtbewusst, routiniert. Libidinöses Begehren wiederum hat auch etwas Rauschhaftes, das Erwachen kann durchaus einem Katergefühl ähneln. Die Eröffnungsszene von „Meine schöne innere Sonne“ weckt solche unsentimentalen Assoziationen, nach Sinnlichkeit und Lustgewinn sieht die „Mach du, ich hab schon“-Bettszene zwischen Isabelle (Juliette Binoche) und ihrem Workoutpartner (Xavier Beauvois) jedenfalls nicht aus. Ein Charmebolzen ist er auch nicht, für eine kleine Indiskretion gibt es erst eine Ohrfeige, dann folgen Tränen.

Es überrascht nicht, dass Claire Denis ein derart ungerührtes Bild zwischenmenschlicher Leidenschaft entwirft. Die französische Regisseurin sorgte schon mit ihrem Vampirliebesfilm „Trouble Every Day“ für einen mittleren Skandal. Der Schocker, in dem Béatrice Dalle – mit der schönsten Zahnlücke des französischen Kinos – und Vincent Gallo unterhalb der Gürtellinie ihre blutrünstigen Triebe ausagierten, ist ihr definitives Statement zum Verhältnis von Mann und Frau.

Das kann nur noch der große Zeichendeuter Roland Barthes toppen. Der schrieb 1977, drei Jahre vor seinem Tod, eine Art von enzyklopädischer Novelle mit dem umständlichen Titel „Fragmente einer Sprache der Liebe“. Eine Typologie menschlicher Begehren.

Kein glückliches Händchen bei der Männerwahl

Claire Denis und die Schriftstellerin Christine Angot, die zusammen am Drehbuch gearbeitet haben, nehmen sich ein Beispiel an Barthes’ lyrischen Hypothesen über das Wesen der Liebe, das Unausgesprochene und innerlich Quälende, das stets nach einem adäquaten Ausdruck sucht. „Meine schöne innere Sonne“ versetzt Barthes’ „Figuren“ in konkrete Alltagssituationen, eine kongeniale Annäherung von Theorie und Praxis, Text und Bildsprache. Denis arbeitet ebenfalls mit Miniaturen, szenischen Vignetten, immer auf den Spuren von Juliette Binoches Protagonistin, einer geschiedenen Künstlerin, die an ihrer unerwiderten Leidenschaft schier verzweifelt.

Sie hat aber auch wirklich kein glückliches Händchen bei der Wahl ihrer Männer. Zu allem Überfluss quält sie eine tiefe Unsicherheit. Eine Weile hat sie eine Affäre mit einem verheirateteten Banker (der Charmeur vom Anfang), der sich nicht nur ihr gegenüber wie ein Widerling aufführt. Dass er ein Mistkerl ist (französisch salaud, der Titel eines anderen Denis-Films), ist der einzige Grund, warum sie beim Sex noch einen Orgasmus bekommt – wie Isabelle einer Freundin auf der Damentoilette erzählt. Als er sich übers Wochenende nicht meldet, macht sie ihm in seinem modernistisch-kühlen Loft eine Szene – an der Wand hängt ein blutrotes Splattergemälde aus „Trouble Every Day“. Anziehung, Abstoßung, push – pull, der Beziehungsklassiker. Die widerstrebenden Anziehungskräfte lassen Isabelle an sich selbst zweifeln.

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Die Zweifel quälen nicht nur sie. Ein junger Schauspieler, ein anderes Objekt ihrer Begierden, ist mehr auf sich und den Alkohol fixiert. Das amouröse Geplänkel in einer Bar, später im Auto, verdichtet die ganze Absurdität moderner Paarbildungsrituale. Man kann gar nicht sagen, was peinigender ist: ihre drängenden Avancen oder sein Herumgeeiere, ob er noch mit auf ein Glas nach oben kommen soll. Als er ihr später erklärt, dass er sich nach der gemeinsamen Nacht wieder nach der Magie des „Davor“ sehnt, hat „Meine schöne innere Sonne“ auch diese Frage abschließend geklärt.

Gérard Depardieu als esoterischer Scharlatan

Isabella ist eine buchstäblich treibende Kraft, kein hilfloses Opfer. Sie lässt sich von ihren Begehren treiben, aus ihrer emotionalen Bedürftigkeit spricht ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Persönlichen Ausdruck findet sie in der Malerei, wenn sie mit großen Gesten über eine auf dem Boden ausgebreitete Leinwand tanzt. Kamerafrau Agnès Godard wählt für die Szene eine frontale Einstellung von oben, Binoches kraftvolle Choreografie erfüllt das nahezu quadratische Bild mit sinnlichen Bewegungen. Nicht sie gehört auf die Behandlungscouch, sondern die Männer. Die muss man nur beim Lavieren beobachten, um zu verstehen, warum Isabelle ihrer Intuition zu misstrauen beginnt.

Welch absurde Komik dieses romantische Drama auch bereithält, zeigt sich spätestens, als Binoche am Ende auf eine andere Größe des französischen Kinos trifft, auf den in seiner heutigen ausufernden Gestalt wohl unmöglichsten Darsteller für einen romantischen Part. Gérard Depardieu spielt einen esoterischen Scharlatan, einen „Liebesschwindler“ mit Pendel, der ihr auch nur an die Wäsche will, wie alle Männer. Er empfiehlt ihr bei der Partnersuche einen unvoreingenommenen Blick, meint damit aber nur sich selbst. Isabelle versteht seine Andeutungen nicht und lächelt in der Schlusseinstellung selig. Ignoranz kann wahrlich ein Segen sein. Und manchmal auch ein Hoffnungsschimmer.

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