zum Hauptinhalt
Treffen im Wald. "Tannhäuser" von Calixto Bieito in Leipzig.

© Annemie Augustijns

Kulturtipps für Sachsen: Mit Anspruch

Nicht nur in den Großstädten Leipzig und Dresden wird Hervorragendes auf die Bühnen gebracht. Auch die Theater und Opernhäuser in Görlitz, Halle oder Dessau bieten Verblüffendes. Klassiker werden mutig gegen den Strich gebürstet, Dramen über Freiheit und Verfolgung inszeniert.

Mit Gian Carlo Menottis Oper „Der Konsul“ beweist das Görlitzer Theater gesellschaftspolitisches Gespür. Denn obwohl das Werk unter dem Eindruck von Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg entstand, könnte die Geschichte auch im heutigen deutschen Konsulat von Istanbul spielen. Die Sekretärin des Konsuls leistet ihren Dienst stramm nach Vorschrift und weigert sich, die verzweifelte Magda vorzulassen. Sie braucht dringend ein Visum, um ihrem Hals über Kopf vor politischer Verfolgung geflüchteten Ehemann folgen zu können. Die Musik ist zwar an den Melodien Giacomo Puccinis geschult, die dem brillanten Generalmusikdirektor Andrea Sanguinetti liegen, die Handlung trifft aber den Nerv der bundesdeutschen Gegenwart.

Der scheidende musikalische Leiter der Neuen Lausitzer Philharmonie wird im März auch Richard Wagners „Tannhäuser“ dirigieren und beweist damit erneut, dass man an diesem kleinen Theater keine Angst vor dem ganz großen Repertoire hat. Die Görlitzer sind zu Recht stolz auf ihre „kleine Semperoper“, zu der viele Kulturtouristen pilgern, nachdem sie die restaurierte Altstadt bewundert haben.

Die „große“ Semperoper in der Landeshauptstadt Dresden bringt im Dezember mit Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ ein süffiges Musikdrama, in dem der Witwer Paul sich in seiner Trauer um seine früh verstorbene Gattin Marie verliert. Eine der anspruchsvollsten Tenorrollen überhaupt wird in Dresden von Burkhard Fritz übernommen, Manuela Uhl singt die verführerische Marietta, David Boesch sorgt für die Inszenierung (Premiere am 16.Dezember).

Berliner mit Entzugserscheinungen pilgern nach Dresden

Bereits vom 18. November an treibt dort Dietrich W. Hilsdorf Donizettis „Lucia di Lammermoor“ in den Wahnsinn. Der in Berlin sträflich unterrepräsentierte Regisseur entwickelt gerade bei den tragischen Frauenfiguren der italienischen Romantik immer wieder einen grimmigen Humor, der neue Dimensionen hinter den Belcanto-Melodien freilegt.

Hauptattraktion der Semperoper ist die Staatskapelle Dresden, die will sich nicht auf die Pflege toter Komponisten beschränken und beruft deshalb in jeder Spielzeit einen „Capell-Compositeur“. Außer mit einem geschmäcklerischen Titel wird zurzeit Arvo Pärt mit einer ganzen Reihe von Symphoniekonzerten geehrt.

Warten. Gian Carlo Menotti schrieb seine Oper "Der Konsul" 1949. Das Theater in Görlitz transportiert sie in die Gegenwart.
Warten. Gian Carlo Menotti schrieb seine Oper "Der Konsul" 1949. Das Theater in Görlitz transportiert sie in die Gegenwart.

© GTH

Berliner mit Entzugserscheinungen pilgern ohnehin regelmäßig zu den Konzerten des Chefdirigenten Christian Thielemann oder zu den Konzerten von Andris Nelsons bei den innersächsischen Konkurrenten vom Leipziger Gewandhausorchester. Die spielen neben ihren zahlreichen Symphoniekonzerten ebenfalls in der Oper auf der anderen Seite des Augustplatzes, wo der Dirigent Ulf Schirmer ein gediegen-konservatives Regiment führt.

Dorthin fährt der Opernfan weniger, um Entdeckungen zu machen, sondern um alte Bekannte in wiedererkennbarer Form anzutreffen. Von Anfang Dezember an beispielweise Antonin Dvoraks „Rusalka“, inszeniert von Michiel Dijkema. Den „Tannhäuser“ des gebürtigen Leipzigers Richard Wagner dirigiert ab März der Generalmusikdirektor und Intendant selbst, wenn die Antwerpener Inszenierung von Calixto Bieito zu Gast ist. Zum Wagner-Schwerpunkt gehört auch der komplette „Ring des Nibelungen“ im Januar. Und auch in Dresden leitet Christian Thielemann zwei "Ring"-Zyklen, vom 13. - 20. Januar respektive vom 29. Januar bis 4. Februar.

Das wird ein schwer umkämpfter Abend

Eine Szene aus "Fidelio", inszeniert in Halle.
Eine Szene aus "Fidelio", inszeniert in Halle.

© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Falk Wenzel

Ein paar Kilometer weiter westlich versucht gerade an der Oper Halle ein junges Team, das Genre für das 21. Jahrhundert zu modernisieren. Intendant und Regisseur Florian Lutz hat kürzlich Ludwig van Beethovens „Fidelio“ als Drama über Freiheit und Verfolgung innovativer Künstler inszeniert und mit einer Mischung aus historischen Dekorationen und moderner Technik zu einem faszinierenden Vexierbild gemacht. Im Januar nimmt sein Kollege Michael v. zur Mühlen sich Giuseppe Verdis „Aida“ zur Brust.

Das wird wieder ein schwer umkämpfter Abend, denn während die eine Seite den Regisseur schlicht für einen Scharlatan hält, verteidigt die andere ihn als eigenschöpferischen Künstler, der die alten Opernschlachtrösser erst wieder fit für unsere Zeit macht (ab dem 20. Januar) – da ist ein heftiges Für und Wider beim Schlussapplaus sicher. Solche Polarisierung ist am Anhaltischen Theater Dessau nicht zu erwarten, wenn Intendant Johannes Weigand Cole Porters Shakespeare-Adaption „Kiss me, Kate“ inszeniert. Der frühere Wuppertaler Intendant will möglichst viele Zuschauer in das überdimensionierte Theater locken und setzt dabei auf eine Mischung aus weniger bekannten Werken und Publikumsmagneten.

Im Jugendstiltheater Cottbus regiert Martin Schüler

Bis Ende des Jahres lockt Eduard Künnekes Operette „Lady Hamilton“ noch Raritätensammler nach Dessau, ebenso wie die ungewöhnliche Kombination von Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Pietroantonio Tascas „A Santa Lucia“, einem in Neapel spielenden Einakter, der 1892 in Berlin uraufgeführt wurde und selbst Spezialisten vollkommen unbekannt sein dürfte. Generalmusikdirektor Markus L. Frank bürgt für höchste Qualität und wird beim Kurt-Weill-Fest dessen „Dreigroschenoper“ leiten (ab 2. März.). Damit beweist er erneut seine stilistische Vielfalt, die sich nicht auf das deutsche Repertoire beschränkt.

Womanizer. Die Oper "Blaubart" von Jacques Offenbach, inszeniert im Staatstheater Cottbus.
Womanizer. Die Oper "Blaubart" von Jacques Offenbach, inszeniert im Staatstheater Cottbus.

© Marlies Kross

Im Jugendstiltheater Cottbus regiert schon seit Jahren unangefochten der Regisseur Martin Schüler. Dabei steht ihm der amerikanische Dirigent Evan Alexis Christ zur Seite, der originelle Konzertprogramme zusammenstellt. Im Februar wagen sich die beiden an Wolfgang Amadeus Mozarts Verführer „Don Giovanni“. Wer sich bis dahin noch über einen erfolglosen Womanizer amüsieren will, kauft sich Tickets für Jacques Offenbachs „Ritter Blaubart“. Steffen Piontek hat die legendäre Inszenierung Walter Felsensteins neu eingerichtet und stellt den vermeintlich unwiderstehlichen Frauenmörder in Strumpfhosen bloß. Brandenburgs einziges Opernhaus bewahrt so ein wichtiges Dokument der Berliner Theatergeschichte.

Übernachten

Hotel Italia Renaissancehaus: Obermarkt 28, 02826 Görlitz, Telefon: 035 81/899 90 50; detailgetreu renoviertes Haus mit Deckenmalereien aus dem 16. Jahrhundert. Zentral gelegen, Doppelzimmer rund 100 Euro

Hotel Radisson Blu Fürst Leopold: Friedensplatz 1, 06844 Dessau-Roßlau, Telefon: 0340/25150; modernes Haus mit behaglichem Ambiente und viel Komfort. Perfekte Lage gleich gegenüber dem Theater, Doppelzimmer ab 75 Euro ohne Frühstück

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false