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Wer fällt hier wem ins Wort? Bobby McFerrin und Chick Corea in Berlin.

© DAVIDS/Sven Darmer

Chick Corea und Bobby McFerrin: Kopf oder Brust

Lässig und extrahip: Chick Corea und Bobby McFerrin geben in der Philharmonie ein routiniertes Konzert .

Von Gregor Dotzauer

So lässig, wie sie beieinandersitzen, machen sie den Eindruck, als würde es sie wenig kümmern, dass gerade fast 2500 Menschen auf sie starren. Chick Corea, der seine Finger losschickt, um mit ein paar schnell hingeworfenen Phrasen auszuprobieren, ob der Steinway auch wirklich ein Steinway ist. Und in seinem Rücken, Tee nippend auf einem Stuhl, Bobby McFerrin, der erst einmal einige Linien zwischen Kopf und Brust hin- und herjagt, um zu sehen, ob die Stimme noch da sitzt, wo sie gestern war.

Zwei alte Freunde, die, kommentar- und blicklos für das Publikum in der Berliner Philharmonie, mal eben sehen wollen, ob sie eigentlich noch drauf haben, was sie vor rund 20 Jahren angefangen haben und nach jedem Stück entdecken: Ja, wir haben. Reichen sich grinsend die Hände, weil sie sich wieder nicht den Hals gebrochen haben.

Nein, sie wackeln und wedeln in irgendeinem extrahippen Handshake umeinander herum, besprechen, was als Nächstes kommt und stürzen sich von Cole Porters „Night and Day“ in Thelonious Monks „Bemsha Swing“ und von da aus in Harold Arlens „I’ve Got the World on a String“. Lauter Standards, die sie eher umspielen als spielen, in bis zur Unkenntlichkeit reharmonisierten und verwirbelten Zitatfragmenten, deren unendliche Vorläufigkeit zu der Erwartung verleiten könnte, dass es gleich richtig losgehen werde, während man doch längst mittendrin ist. Und auch die beiden vorne auf der Bühne denken gar nicht daran, ihre ostentative Laid-Back-Pose aufzugeben. Was Chick Corea und Bobby McFerrin miteinander treiben, ist auf der Grundlage minimaler Arrangements immer noch die erste Liga der Jazzimprovisation und ein großer theatralischer Spaß. Wer von beiden hier das Sagen hat und wem ins Wort fällt, wechselt ständig – nur dass sie dabei die herkömmliche Rolle ihrer Instrumente dauerhaft infrage stellen. Denn McFerrins Stimme, unterstützt von Body Percussion, die Brust und Kehlkopf erbeben lässt, ist vom Zungenschnalzen bis zum reinen Beatboxing letztlich das perkussivere Element. Coreas Klavier dagegen, das seiner mechanischen Konstruktion zum Trotz über weite Strecken hin gesanglich-melodische Aufgaben übernimmt. In jedem Fall ist Corea ungeachtet seiner 70 Jahre der wesentlich Artikuliertere, während McFerrin gerade in seinen Kopfstimmenexzessen so manchen Ton verfehlt und vor allem bei Hochgeschwindigkeitspassagen die Noten oft eher imitiert als aussingt.

Das Enttäuschende ist allerdings, dass die beiden ihre Duowelt keinen Schritt weiterentwickelt haben. Sie tänzeln wie eh und je durch Coreas „Frog“ und „Armando’s Rhumba“, pflügen durch Duke Ellingtons „Sophisticated Lady“ und Gershwins „Love Is Here To Stay“, um mit einem Abstecher über Joaquín Rodrigos „Concierto de Aranjuez“ schließlich bei „Spain“ zu landen, Chicks ebenso unverwüstlichem wie offenbar unvermeidlichen greatest hit. Da passt es, dass das Publikum als Zugabe auch noch „Autumn Leaves“ fordert – und sogar bekommt, auch wenn die letzten Minuten in einem Lachanfall von McFerrin untergehen.

Corea und McFerrin sind Routiniers, denen es nur so aus den Fingern und der Kehle perlt. Ihrer musikalischen Substanz nach bewegen sie sich aber permanent unterhalb ihrer Möglichkeiten. Wohin könnten sie ihr Publikum, das ihnen in blinder Bewunderung zugetan ist, nicht mitnehmen statt nur in jene Regionen höheren Entertainments, wo nach der Pause ein 13-jähriger Pianist mit Chick jammen und ein junger Sänger mit Bobby um die Wette scatten darf. Der Saal tobt. Aber ist das ein Ersatz für die schier übermenschliche Kommunikationsfähigkeit, mit der sie einst begannen?

In den Projekten, die sie zuletzt unabhängig voneinander verfolgten, ist diese Energie durchaus vorhanden. Mit dem von Roger Treece arrangierten „VOCAbuLarieS“ hat McFerrin vor zwei Jahren noch einmal ein sensationelles Album aufgenommen, das fast ausschließlich aus A-Cappella-Chören besteht. Und Corea hat in allen denkbaren Formaten – unter anderem einem staunenswerten Duo mit dem Banjo-Verrückten Béla Fleck – seinen Rang bewiesen. Mag sein, dass auch diese Konstellationen früher oder später ihre fast zwangsläufigen Routinen nach sich ziehen. Von Musikern, die einmal alles darangesetzt haben, sie zu zertrümmern, träumt man zumindest, sie könnten es bis in alle Ewigkeit tun.

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